Montag, 6. Januar 2020

Erwachen und Gehirnforschung


Das Erwachen im Buddhismus wird manchmal so erklärt, als ob man aus dem nächtlichen ´ungeistigen´ Schlaf der Nacht aufwacht und dass der Geist erst dann zum Bewusstsein erwacht und Wichtiges beitragen könne. Der Geist sei also beim Schlafen wie ohnmächtig oder tot oder würde erst danach aus irrealen Träumen aufwachen. Der Geist könne im Schlaf also nichts Sinnvolles beitragen. Das ist nach verlässlichen Ergebnissen der Gehirnforschung ganz falsch!

Denn unser Gehirn ist im Schlaf hoch aktiv und leistet Großartiges: Es ordnet zum Beispiel neue Informationen des Tages in das bereits vorhandenen Wissen und Können ein und arbeitet daran, unvernetzte Einzelheiten zu einem harmonischen Ganzen zusammen zu fügen. Dazu vernetzt sich das Kurzzeit-Gedächtnis mit unserem ganzen Gehirn und Geist und zwar sehr dynamisch gerade in der Schlafphase. Und dabei stört uns im Schlaf kein willentliches oder doktrinäres Denken! Das unbewusste Wissen ist oft klüger, vernünftiger und umfassender als das intellektuelle bewusste Wissen. Davon kann also das Bewusstsein lernen. Das ist meines Erachtens ein sehr wichtiger Beitrag zur buddhistischen Leerheit: Sich gut und positiv entwickeln ohne Doktrinen, Vorurteile oder sonstige Hemmnisse. Der Schlaf ist also von Natur aus klug und von großer Wirksamkeit für das Erwachen. Hättest Du das gedacht? Wir sollten aber erwachen aus den unnatürlichen Ideologien, Vorurteilen, Verzerrungen und Illusionen, die durch Gier, Hass, Eitelkeit und Ego-Stress getrieben werden.  

Die buddhistische Weisheiten und Übungen entwickeln positiv und verlässlich unser Bewusstes, Nicht-Bewusstes und deren Wechselwirkung als Ganzheit. Dadurch kann sich das Wahre Ich befreien und wir verwirklichen gute neue Lebensbereiche der Freude, des Friedens, des Gleichgewichtes und neuer Lebens-Energien, wahrscheinlich also des Großen Friedens. Das kann ich durch die Erfahrung meines eigenen Lebens bestätigen. 

Und wir wissen recht genau, dass bewusstes Denken, Planen, Erinnern, Handeln usw. im sogenannten Frontal-Hirn nur ein sehr kleiner Teil des gesamten Gehirns und Geistes ist: Das Verhältnis von Bewusstem zu Nicht-Bewusstem ist etwa eins zu zweihundert tausend. Das heißt, dass wir wichtige Zusammenhänge, wichtiges Wissen und wichtige Fähigkeiten nur in Wechselwirkung von Bewusstem und Nicht-Bewusstem erkennen und verbessern können. Nur so können wir uns wirklich heilsam entwickeln. Das ist der große intuitive Geist des Zen: Denken auch aus dem nicht bewussten Denken. Und diese Klarheit kann und sollte geübt und trainiert werden.

Was sagt dazu mein Lehrer Zen-Meister Nishijima? Er verwendet den Begriff Intuition für diese wichtige geistige und psychische Tatsache. Intuitive Klarheit entwickelt man vor allem bei der Zazen-Meditation und bei stressfreiem gesundem Schlaf. Meister Dogen sagt also: "Zazen ist Denken aus dem Nicht-Denken". Das ist unser großer umfassender Geist. Er hat viel mehr Möglichkeiten und Potentiale als die meisten Menschen glauben.

Intellektuelles Denken und Zwangs-Gedanken verhindern klares intuitives Denken und Begreifen wichtiger Lebens-Zusammenhänge - und die zusammen-wirkende Ursachen. Daher ist die dringende Bitte an unser eigenes verengtes, doktrinäres Denken:

"Bitte störe mich nicht auf dem Weg zur Klarheit meines Lebens".

Aber das ist keine grundsätzliche Ablehnung des Denkens, sondern eine fundamentale und notwendige Erweiterung des Denkens auf dem Weg des Erwachens und damit des Lebens-Glücks.

Bestimmte Probleme und damit verbundenes Leiden werden wir immer mal wieder erleben und erfahren. Sie können leichter gelöst werden, als man glaubt, solange man im Teufelskreis des verengten Denkens gefangen ist. Man kann den Teufelskreis verlassen. Grübeln ist Zeitverschwendung! Und es geht im Zen um das Handeln. Intuitives klares Wissen und Können der Praxis ermöglicht nach Buddha ein gutes Leben, so dass sich unnötiges Leiden auflöst und zur Ruhe kommt. Ideologien, Vorurteile und vor allem Gier und Hass verhindern dieses intuitive umfassende Können und Wissen. Diese Ideologien machen unfrei und sind typisch für Verblendung und damit für Schmerzen und Leiden.

Zurück zum Aufwachen am Morgen: In solchen Augenblicken gibt es oft klare wirksame Lösungen für psychisch verknotete und komplexe Probleme. Das hast Du sicher auch schon erlebt! Ähnliches gilt für die Zazen-Meditation, sie löst verknotete Gefühle und Gedanken. So können gute Lösungen in unserem Leben in der Wechselwirkung von Bewusstem und Nicht-Bewusstem (pratitya samutpada) reifen und ganz neue Klarheit bringen. Aber bitte keine Hektik, keinen Stress, kein sinnlich übertriebenes Wollen, kein Übel-Wollen, keine Trägheit und keine Zweifelsucht. Das sind zusammen mit dem Intellektualismus die Hemmnisse auf dem Weg des Erwachens, wie Buddha in aller Klarheit erkannte.[1] Solche Hemmnisse verhindern ein erfülltes Leben und erzeugen Leiden. Sie sind völlig überflüssig.

English translation

Vertiefung für Interessierte



[1] Gäng, Peter: Meditationstexte des Pali-Buddhismus I, S.39 f.