Dienstag, 1. Januar 2008

Die Bestätigung und Freude, dass jeder ein Buddha wird

In der buddhistischen Lehre und besonders im Lotus-Sutra gibt es die Weissagung, dass alle Menschen, die auf dem Buddha-Weg nach der Wahrheit streben, ein Buddha werden.
In diesem Kapitel "Die Bestätigung" (Kap. 32, Juki) geht Meister Dôgen über die herkömmliche Bedeutung und das übliche Verständnis einer solchen Bestätigung oder Weissagung hinaus, um die Ebene der Vorstellungen, Fantasien und Hoffnungen zu verlassen und zur Wirklichkeit selbst vorzustoßen. Die Bestätigung in seinem Sinne kommt damit der Dharma-Übertragung vom Meister auf den Schüler, der dann selbst Meister wird, sehr nahe. In diesem Kapitel werden verschiedene bekannte Begebenheiten der Dharmaübertragung wieder gegeben. Zum Beispiel, dass Gautama Buddha eine Blume in den Händen hielt und Mahâkâshyapa diese symbolische Handlung unmittelbar und ohne Worte "verstand", und damit in diesem Augenblick die Weitergabe des Dharma an ihn verwirklicht wurde.

Die Weissagung oder Bestätigung wird vor allem im Lotus-Sutra durch eine tiefe umfassende Freude im Leben und beim Handeln mit dem ganzen Körper und Geist beschrieben. Auch Dôgen vermittelt in diesem Kapitel die große Freude der wunderbaren Bestätigung, ein Buddha zu werden und straft damit alle diejenigen Lügen, die den Buddhismus für eine pessimistische oder gar nihilistische Religion halten. Es wäre ein totales Missverständnis, wenn die vier edlen Wahrheiten so verstanden würden, als ob das ganze Leben Leiden sei und es daraus kein Entkommen gäbe. Ganz im Gegenteil ist der Buddhismus eine lebensfreundliche, positive Lehre, die zwar nicht leugnet, dass es das Leiden im Leben gibt, die aber Wege aufzeigt, wie man das Leiden überwindet oder zumindest erträglich macht. Die Weissagung, ein Buddha zu werden, wird im Lotus-Sutra sogar auf den Vetter Gautama Buddhas mit dem Namen Devadatta angewendet, der seinerzeit den Sangha gespalten hat und mit einem verbrecherischen König zusammen arbeitete. Er wird im Buddhismus daher häufig als Verräter gebrandmarkt und hat damit eine ähnliche Rolle wie Judas als Verräter an Jesus Christus.
Auch für Devadatta gibt es die Weissagung, dass er Buddha wird, und so wird seine Dämonisierung vermieden.

Eine Weissagung, in Zukunft ein Buddha zu werden, verführt schnell zu romantischen zukunftsorientierten Träumen und Illusionen, die nach der Lehre von Nishijima Roshi nur der Ebene des Idealismus angehören und damit die Wirklichkeit und ganze Fülle des menschlichen Lebens und der Welt nicht erfassen können, sondern nur eine sehr begrenzte Wirklichkeit und damit geringe Kraft haben. Für Dôgen sind die drei anderen Ebenen, nämlich des Materiellen und Formgebundenen, des Handelns und Geschehen-Lassens und vor allem die höchste Ebene des Erwachens und der Wirklichkeit verlässliche Tatsachen des menschlichen Lebens und des Universums. Daher leuchtet es ein, dass er sich mit der idealistischen illusionären Dimension der romantischen Weissagung und Bestätigung nicht zufrieden geben konnte. Er fragt also danach, was je im Augenblick der Bestätigung zwischen Meister und Schüler wirklich passiert und entwickelt auf dieser Grundlage der Sein-Zeit seine tiefgründige Lehre der Bestätigung, die eine völlig neue Dimension und Sichtweise eröffnet und aus den romantischen Träumen und Spekulationen in die Wirklichkeit und Wahrheit des Hier und Jetzt vorstößt.
Dôgen sagt hierzu:

"Bestätigung ist die große Wahrheit, die von Buddhas und Vorfahren im Dharma direkt weiter gegeben wurde ... Wer die Buddha-Natur hat, wird bestätigt und wer die Buddha-Natur nicht hat, wird (auch) bestätigt; was einen Körper hat, wird bestätigt und (auch) was keinen Körper hat, wird bestätigt.“
Die Aussage zur Buddha-Natur mag zunächst widersprüchlich und unverständlich erscheinen, das Rätsel löst sich jedoch dadurch, dass die Buddha-Natur als Idee wirklich ist und große Kraft bei den Menschen und in der Welt erzeugt, dass aber in der Lebensphilosophie der Formen und Materie eine solche Buddha-Natur gar nicht vorfindbar ist. Dies wird in dem großartigen Kapitel der Buddha-Natur (Busshô) im Shôbôgenzô herausgearbeitet und dargestellt.

Bekanntlich war die Frage der Buddha-Natur für Dôgen selbst von existenzieller Bedeutung und war nicht zuletzt ein wesentliches Motiv, von Japan aus die damals gefährliche Reise nach China zu unternehmen, um eine Antwort auf seine bohrenden Fragen zu finden. Auf der höchsten Ebene des Buddha-Dharma verschmilzt die Buddha-Natur mit den drei Lebensbereichen des Idealismus, Materialismus und Handelns und sie ereignet sich je in der Gegenwart und im Einklang mit der Moral und dem Gesetz des Universums. Auf diesen Augenblick in der Gegenwart zielt Dôgens Lehre der Bestätigung und er wiederholt dabei häufig, mit welcher großen Freude und mit welchen tiefen Glücksgefühlen dies verbunden ist. Ohne Zweifel beschreibt er damit auch den Zustand der Zazen-Praxis, die er an anderer Stelle als „Tor zum Frieden und zur Freude des Buddha-Dharma“ bezeichnet. Dôgen sagt hierzu wörtlich:

"Vielmehr verwirklicht ihr Buddha im Augenblick der Bestätigung und ihr praktiziert und erfahrt (Buddha) im Augenblick der Bestätigung. Deshalb ist die Bestätigung in den Buddhas selbst und sie existiert auf der wirklichen Ebene der Buddhas."

Für Dôgen spielt es keine Rolle, ob man sich der Bestätigung voll bewusst ist oder nicht, denn die intellektuellen Fähigkeiten im gegenwärtigen Erleben sind ohnehin sehr begrenzt. Es wäre aber auch falsch zu behaupten, dass man kein Bewusstsein bei der Bestätigung hat, wie dies leider von manchen Zen-Buddhisten verkündet wird. Häufig wird dabei nämlich das Denken und das Bewusstsein miteinander verwechselt, die jedoch schon bei den fünf Komponenten des Menschen (skanda) im alten Indien unterschieden werden. Manchmal kommt darin auch eine deutliche Feindlichkeit gegenüber allem Geistigen und dem Denken zum Ausdruck. Dôgen geht es immer um die Einheit von Körper und Geist und wie Nishijima Roshi immer wieder betont, lehnt der Buddhismus die Vernunft keineswegs ab, sondern hält sie für einen wichtigen Lebensbereich. Dôgen sagt hierzu:

"Es gibt die Bestätigung, von der das Selbst weiß und die Bestätigung, von der das Selbst nichts weiß. Es gibt die Bestätigung, von der die anderen wissen und die Bestätigung, von der die anderen nichts wissen."

Da es sich um die umfassende klare Erfahrung und das Erleben im Augenblick der Gegenwart von Körper und Geist handelt, sind also Aspekte des Selbst und der Anderen von geringerer Bedeutung.
Im Gegensatz zum Westen, wo vor allem das Denken und der Geist kulturell im Mittelpunkt stehen, betont Dôgen in diesem Kapitel noch einmal die Bedeutung zu handeln und zu lehren. Dies findet nicht in romantischen Fantasien und wunderbaren Träumen statt, sondern in der ganzen Wirklichkeit des Hier und Jetzt, also nicht in einer paradiesischen Idealwelt, sondern im Alltag mit seinen Problemen, Schwierigkeiten, mit seinen Fortschritten und Rückschlägen.
Es ist falsch anzunehmen, dass man die Bestätigung in der gedachten Zukunft erhalten wird und sie jetzt in der Gegenwart gar nicht wirksam ist.

Wie bei der Zazenpraxis lehnt Dôgen die Trennung von Praxis und angestrebtem Ziel ab. Die Praxis selbst ist die erste Erleuchtung und steht für sich selbst. Sie ist nicht ein Instrument, um ein fernliegendes Ziel zu erreichen. Dies würde den Menschen nur von sich selbst entfremden und bewirken, dass die Gegenwart im Hier und Jetzt nicht oder nicht richtig erfahren und erlebt werden kann. Dôgen erläutert hierzu:

"Wenn die Bestätigung den Menschen gegeben wird, haben sie das Höchste verwirklicht." Und weiter: Die Bestätigung "ist ein Gesicht, in dem ein Lächeln erscheint, sie ist Leben und Sterben, Kommen und Gehen. Die Bestätigung ist das ganze Universum der zehn Richtungen und ist diese ganze Welt, in der es nichts Verborgenes gibt."

Damit wird deutlich, dass die Bestätigung von einer romantischen Zukunftsvorstellung entkleidet wird, so dass nicht die „Blüten in den Himmel wachsen“, sondern dass es um das wirkliche Leben im Hier und Jetzt geht. Gleichzeitig kommt die große Freude, die der Buddhismus verkündet, in bewegender Weise zum Ausdruck und es wird bestätigt, dass man auf dem richtigen Wege ist, nachdem man den Bodhi-Geist erweckt und sich zu diesem Weg entschieden hat.

Im Folgenden gibt Dôgen ein berühmtes Koan-Gespräch zwischen den beiden großen Meistern Seppô und Gensa wieder. Seppô war der ältere von beiden und neigte eher zu Ideen und Abstraktionen, während Gensa immer auf die unmittelbare Wirklichkeit im Hier und Jetzt hinführte. Dabei betonte Gensa oft die konkrete materielle Dimension des Lebens, um ein Gegengewicht zu den Vorstellungen und Ideen von Meister Gensa einzubringen. Es wäre aber völlig falsch, leichtfertig zu behaupten, dass das Materielle der bessere Weg sei, denn die Koan-Gespräche gehen wegen ihrer umfassenden Aussagekraft und Wirksamkeit immer sowohl über die ideelle und als auch die materielle Ebene hinaus und gelangen zum Handeln und zur höchsten Ebene der Wirklichkeit, Wahrheit und inneren Freiheit.

In diesem Koan-Gespräch, das auch in zwei verschiedenen Versionen in der Koan-Sammlung Shinji-Shôbôgenzô enthalten ist, gingen beide Meister über Land und der ältere Seppô zeigte auf einen schönen Ort und sagte:

"Dieses Stück Land ist ein guter Platz für (meinen) Grabstein." Gensa sagte dazu: "Wie hoch (soll er sein)?"

Seppô antwortete nicht gleich, sondern ließ seinen Blick offensichtlich ein wenig in Gedanken hin- und herschweifen und auf- und abgleiten. Dies brachte Gensa zu der Aussage:

"Deine Verdienste für die Menschen und Götter stehen außer Frage, aber es scheint, Meister, dass du die Bestätigung auf dem Geiergipfel noch nicht einmal im Traum gesehen hast."

Seppô fragte daraufhin: "Was meinst du?", und Gensa antwortete:
"Sieben oder acht Fuß."

Der Sinn dieses Koans ergibt sich daraus, dass Meister Gensa auf die konkrete Wirklichkeit kommen wollte und Seppô davon abhalten wollte, weiter zu überlegen und abzuschweifen, was natürlich bei dem Gedanken an den eigenen Tod und den eigenen Grabstein mehr als verständlich ist. Gensa drückt seine Hochachtung gegenüber Seppô aus, indem er dessen Leistungen für den Buddha-Dharma betonte, äußerte sich jedoch humorvoll kritisch, indem er sagt, dass Meister Seppô auf dem Geiergipfel, also bei den Vorträgen von Gautama Buddha selbst, die Bestätigung des Buddha-Dharma nicht erhalten habe.

Dies bedeutet nicht, dass er an dem großen Meister Seppô und seinem tiefen Verständnis und seiner Erfahrung des Buddha-Dharma zweifelte, sondern er möchte ihn in die Wirklichkeit zurückholen und sagte im Kern:

"Was sollen wir hier lange überlegen, fangen wir doch einfach an und handeln."
Dôgen sagt hierzu: "Es ist offenkundig, dass jeder Buddha und jeder Vorfahre im Dharma die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges besitzt und sie weitergibt."

So wichtig also die Theorie, die Idee und die Lehre sind, so notwendig ist es, direkt und unmittelbar zu handeln und sich ganz "in den Augenblick zu werfen."
Auch in dem obigen Koan-Gespräch ist für die Weitergabe der Buddha-Lehre der unmittelbare Kontakt zwischen Meister und Schüler angesprochen. Dôgen zitiert in diesem Zusammenhang einen großen alten Meister:

"Wie könnten wir heute über die tiefgründige Wahrheit sprechen, wenn (die alten Meister) uns ihre Lehren nicht weiter gegeben hätten?"

Diese Aussage hat in der Tat gerade heute im Westen eine großartige Aktualität und ist von höchster Bedeutung, denn wie könnten wir die umfassenden Lehren von Dôgen, der wiederum auf die großen Meister in China zurückgeht, heute erfahren, wenn er sie nicht vor fast achthundert Jahren schriftlich niedergelegt hätte und wenn es nicht lebende Meister wie Nishijima Roshi und Kodo Sawaki gegeben hätte, die uns diese direkt hätten lehren können. Mich erfüllt dies mit großer Dankbarkeit, nachdem ich vieles in unserer westlichen Welt studiert habe und schließlich die großartigen Lehren des Buddhismus und besonders von Dôgen kennen gelernt und erfahren habe.

Dôgen spricht dann von dem "selbstlosen Selbst" und schlägt die Brücke zum Handeln der Bodhisattvas im Buddhismus, denn dieser steht nicht für eine theoretische Lehre und Philosophie, sondern für die Einheit von Körper, Geist und Moral. Das Denken allein reicht nicht aus, sondern das selbstlose Handeln erschafft eigentlich erst das wahre Selbst, das aber zwischen Ich und Du und den anderen und der Welt nicht mehr trennt. Ein solches Handeln geht in den großen Akkord und die große Melodie des Universums ein. Dabei ist der Augenblick des Handelns und des Geschehenlassens der eigentliche Grundbaustein oder wenn man so will, das Element des Universums und nicht eine materielle Entität, wie es meist in der westlichen Philosophie angenommen wird.

Dôgen zitiert einen alten Meister und Buddha mit den Worten:

"Jetzt wo wir von Buddha die erhabene und wunderbare Sache der Bestätigung gehört und einer nach dem anderen Bestätigung empfangen haben, sind Körper und Geist ganz von Freude erfüllt."
Dieses Zitat aus dem Lotus-Sutra kennzeichnet in beeindruckender Weise den Buddhismus und die Lebensphilosophie von Meister Dôgen und ist ein großes Vermächtnis, das er an uns weiter gegeben hat. Die von ihm gemeinte Freude hat eine ganz besondere Qualität und sollte nicht mit den üblichen Glücks- und Genussgefühlen verwechselt werden, die man z. B. bei Materialisten beobachten kann. Gautama Buddha spricht im Lotussutra von dem "höchsten rechten und ausgeglichenen Zustand der Wahrheit" (anuttara samyak sambodhi).
Im Lotus-Sutra heißt es, dass man diese große Freude bereits erfährt, wenn man nur einen einzigen Satz aus dem Sutra der „Lotusblume des wunderbaren Dharma“ hört und dass Gautama Buddha dann durch die großen Meister und Vorfahren im Dharma je im Augenblick die Bestätigung gibt.

Am Ende des Kapitels zitiert Dôgen den berühmten Laien Vimalakirti, der zu den Schülern Gautama Buddhas gehörte, der aus tiefer eigener Erfahrung und eigenem Erleben handelte und redete. Auch Vimalakirti distanzierte sich ähnlich wie Meister Gensa von Spekulationen und Illusionen und lehrte, dass es um den gegenwärtigen Augenblick geht und nicht um die Vergangenheit und Zukunft. Im gegenwärtigen Augenblick gibt es auch kein Entstehen und Vergehen, da dies mit einer gedachten linearen Zeit von Vergangenheit und Zukunft verbunden sei. Im gegenwärtigen Augenblick ist zwar die Vergangenheit und Zukunft intuitiv enthalten, aber sie wird nicht intellektuell gedacht, denn dies würde vom unmittelbaren Handeln und Leben wegführen und die Offenheit des Augenblicks zerstören. Er wird mit folgenden Worten zitiert:

"Wenn also (der Buddha) Maitreya den höchsten rechten und ausgeglichenen Zustand der Wahrheit erlangt, können auch alle Lebewesen dies erlangen. Weshalb: alle Lebewesen sind die Form der Wirklichkeit."

Dôgen schließt mit der Aussage, dass die Bestätigung die Wirklichkeit selbst ist und durch die Bestätigung die Welt überhaupt erst existiert. Er hat damit einen großartigen Bogen von der zukunftsbezogenen Weissagung zu der kraftvollen Lehre von Körper und Geist im Hier und Jetzt geschlagen.