Zur Zeit Dōgens und auch
heute noch gibt es buddhistische Gruppen, die jede Erläuterung zum Geist und zur Essenz der Buddha-Wahrheit grundsätzlich ablehnen.
Sie behaupten, dass solche
Erklärungen nur auf den Bereich intellektueller Anstrengung beschränkt bleiben
und deshalb für den wahren Zen bedeutungslos oder sogar schädlich wären. Worte und Beschreibungen, sogar die Sūtras, seie durch die intellektuelle Sphäre beschränkt, könnten also niemals zum Kern der
buddhistischen Wahrheit vordringen und würden ein solches Streben sogar
vereiteln.
Die buddhistische Wahrheit sei ihrem Wesen nach immer anti-intellektuell und
anti-theoretisch. Solche Behauptungen lassen vermuten, dass diese angeblichen
Buddhisten den Intellekt und den umfassenden Zen-Geist miteinander verwechselt
haben: prajna paramita, die höchste
Weisheit, die über das Wissen hinausgeht.
Dōgen distanziert sich von
solchen Auffassungen mit großem Nachdruck.
Im Kapitel „Das Sūtra der Berge und Wasser“[i]
findet er scharfe Worte gegen angebliche Buddhisten, die der Ansicht sind, Zen
sei niemals rational und vernünftig, sonst sei es gerade kein wirklicher
Zen-Buddhismus. Außerdem schätzt er die verlässlichen Schriften des Buddhismus
außerordentlich. Wie sollten wir ohne sie überhaupt Buddhismus studieren. Die
Sutras bezeichnet Dōgen als die wahren
Reliquien Buddhas, nicht seine Knochen und Zähne (wenn sie denn überhaupt
echt sind).
Ich kenne selbst einige
Zen-Buddhisten im Westen, die sich fast genüsslich in Paradoxien und Widersprüchen ergehen und erklären, dies sei der
wahre Zen. Auch manche „Lehrer“ möchten auf diese Weise gläubige Schüler beeindrucken und sich den Nimbus eines großen
Zen-Meisters verleihen. Sie erwecken den Eindruck, dass sie die Paradoxien
selbst „durchschauen“, weil sie erleuchtet
sind und den Dualismus überwunden haben, die anderen aber nicht.
Im Shōbōgenzō betont Dōgen immer wieder eindeutig, dass ein nur intellektuelles Verstehen der
buddhistischen Lehre und Praxis allerdings unzureichend
ist. Er behauptet aber niemals, dass der Buddhismus irrational und paradox sei,
sondern sagt im Gegenteil, dass die menschliche
Vernunft und die Kraft der Worte ausgeschöpft werden müssen, um die
buddhistische Lehre so weit wie möglich zu „verstehen“.
Sein gesamtes schriftliches
Werk, vor allem das Shōbōgenzō, zeugt
von seiner geistigen ja dichterischen Kraft und Scharfsinnigkeit, die heute der
Zen-Lehre gerade im Westen eine große Anziehungskraft verleihen. Dem nur intellektuellen
Verstand nicht zugängliche Wahrheiten haben nämlich oft tiefgründige Inhalte
und poetische Kraft, sie verstoßen
aber nicht gegen eine erweiterte intuitive Vernunft, die typisch für
spirituelle und psychische Sphären ist. Und sie machen Sinn!
Wenn sich buddhistische
Aussagen dagegen nur in Paradoxien ergehen, können sie die Essenz dieser Lehre
nicht mehr an die Menschen übermitteln.
Paradoxer Wortsalat ist keine
buddhistische Lehre.
[i] Kap. 14, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 129 ff.: „Das
Sūtra der wirklichen Berge und Wasser (Sansui
gyō)“