Dienstag, 12. Mai 2015

Paradoxer Wortsalat ist kein Zen-Buddhismus



Zur Zeit Dōgens und auch heute noch gibt es buddhistische Gruppen, die jede Erläuterung zum Geist und zur Essenz der Buddha-Wahrheit grundsätzlich ablehnen.

Sie behaupten, dass solche Erklärungen nur auf den Bereich intellektueller Anstrengung beschränkt bleiben und deshalb für den wahren Zen bedeutungslos oder sogar schädlich wären. Worte und Beschreibungen, sogar die Sūtras, seie durch die intellektuelle Sphäre beschränkt, könnten also niemals zum Kern der buddhistischen Wahrheit vordringen und würden ein solches Streben sogar vereiteln.

 Die buddhistische Wahrheit sei ihrem Wesen nach immer anti-intellektuell und anti-theoretisch. Solche Behauptungen lassen vermuten, dass diese angeblichen Buddhisten den Intellekt und den umfassenden Zen-Geist miteinander verwechselt haben: prajna paramita, die höchste Weisheit, die über das Wissen hinausgeht.
Dōgen distanziert sich von solchen Auffassungen mit großem Nachdruck.

Im Kapitel „Das Sūtra der Berge und Wasser[i] findet er scharfe Worte gegen angebliche Buddhisten, die der Ansicht sind, Zen sei niemals rational und vernünftig, sonst sei es gerade kein wirklicher Zen-Buddhismus. Außerdem schätzt er die verlässlichen Schriften des Buddhismus außerordentlich. Wie sollten wir ohne sie überhaupt Buddhismus studieren. Die Sutras bezeichnet Dōgen als die wahren Reliquien Buddhas, nicht seine Knochen und Zähne (wenn sie denn überhaupt echt sind).

Ich kenne selbst einige Zen-Buddhisten im Westen, die sich fast genüsslich in Paradoxien und Widersprüchen ergehen und erklären, dies sei der wahre Zen. Auch manche „Lehrer“ möchten auf diese Weise gläubige Schüler beeindrucken und sich den Nimbus eines großen Zen-Meisters verleihen. Sie erwecken den Eindruck, dass sie die Paradoxien selbst „durchschauen“, weil sie erleuchtet sind und den Dualismus überwunden haben, die anderen aber nicht.

Im Shōbōgenzō betont Dōgen immer wieder eindeutig, dass ein nur intellektuelles Verstehen der buddhistischen Lehre und Praxis allerdings unzureichend ist. Er behauptet aber niemals, dass der Buddhismus irrational und paradox sei, sondern sagt im Gegenteil, dass die menschliche Vernunft und die Kraft der Worte ausgeschöpft werden müssen, um die buddhistische Lehre so weit wie möglich zu „verstehen“.

Sein gesamtes schriftliches Werk, vor allem das Shōbōgenzō, zeugt von seiner geistigen ja dichterischen Kraft und Scharfsinnigkeit, die heute der Zen-Lehre gerade im Westen eine große Anziehungskraft verleihen. Dem nur intellektuellen Verstand nicht zugängliche Wahrheiten haben nämlich oft tiefgründige Inhalte und poetische Kraft, sie verstoßen aber nicht gegen eine erweiterte intuitive Vernunft, die typisch für spirituelle und psychische Sphären ist. Und sie machen Sinn!

Wenn sich buddhistische Aussagen dagegen nur in Paradoxien ergehen, können sie die Essenz dieser Lehre nicht mehr an die Menschen übermitteln.

Paradoxer Wortsalat ist keine buddhistische Lehre.






[i] Kap. 14, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 129 ff.: „Das Sūtra der wirklichen Berge und Wasser (Sansui gyō)