Donnerstag, 11. Oktober 2007

Zazen ist der König der Samadhi


Wie schon in anderen Kapiteln hält Meister Dôgen die Zazen-Praxis für unbedingt erforderlich, um den Buddhaweg zu gehen. In diesem Kapitel (Kap. 72, Zanmai o Zanmai), das wörtlich "der Samadhi, der der König der Samadhis ist" heißt, erläutert Dôgen die einzigartige Kraft des Zazen, die er für wichtiger hält als viele andere Arten und Formen des Samadhi, ohne diese jedoch abzuwerten. Der König der Samadhi ist das Gleichgewicht im Zazen, also ein Handeln in der richtigen Haltung ohne Denken und Fühlen aber mit klarem Bewusstsein.
Dôgen sagt wörtlich:

"In der vollen Lotushaltung zu sitzen bedeutet, sofort das ganze Universum zu überschreiten und ein großes und wertvolles Leben im Haus der Buddhas und Vorfahren im Dharma zu führen.“

Er betont, dass diese Zazen-Praxis ohne Unterbrechung von Gautama Buddha über die vielen großen Meister und Vorfahren im Dharma zu uns übermittelt wurde und dass dies die lebende Übertragung vom Meister auf den Schüler, also den folgenden Meister und die Weitergabe des Auges des Dharma, also des Wichtigsten des Buddha-Dharma ist.
Um die wirklich richtige Haltung der Zazen-Praxis auch bildlich zu belegen, habe ich die beiden historischen Fotos des großen Meisters Kodo Sawaki eingefügt, die etwa 1950 entstanden sind. Das frontale Bild wird häufiger abgebildet, während die seitliche Haltung dieses großen Meisters selten zu sehen ist. Es ist in der Tat beeindruckend, wie kerzengrade Kodo Sawaki im Zazen sitzt und sein Rückgrat ganz nach oben gestreckt hält. Schon eine gewisse Krümmung des Rückens, die man leider auch bei Zen-Buddhisten beobachten kann, ist also nicht die korrekte Haltung!
Das Überschreiten von Denken und Fühlen gelingt vor allem und nicht zuletzt durch diese richtige Sitzhaltung. Da Kodo Sawaki einer der zwei hoch verehrten Lehrer von Nishijima Roshi war, konnte dieser mir bei meinen kürzlichen Besuchen in Tokio viel von diesem ungewöhnlichen Menschen und Meister erzählen. Er wurde 1880 geboren, und hatte daher noch den lebendigen, direkten Kontakt zum alten wahren japanischen Buddhismus. Er hat sich mit ganzer Hingabe dem Buddha-Weg gewidmet. Er war sehr arm aufgewachsen und hatte niemals den Ehrgeiz, reich zu werden. Er hat keinen eigenen Tempel übernommen, um nicht durch Management, finanzielle Fragen und Abhängigkeiten von der Obrigkeit auf seinem buddhistischen Weg irritiert und abgelenkt zu werden. Er sammelte jeweils für eine bestimmte Zeit eine Anzahl Schüler um sich, blieb aber nicht auf Dauer in einem Tempel, sondern zog weiter, um den wahren Buddhismus an einem anderen Ort zu lehren. Nishijima Roshi erzählte, dass er in seiner eigenen Jugend zunächst keine besonders große Neigung zum Buddhismus hatte und eher glaubte, dass dies eine nihilistische, pessimistische und weltabgewandte Religion sei. Außerdem galt Zazen meist als wahre Folter, und in Japan werden die angeblich immer noch extremen Anstrengungen bei den Sesshins gefürchtet.

Mit 20 Jahren hat er dann zum ersten Mal an einer Sesshin teilgenommen, die von Kodo Sawaki geleitet wurde, und berichtete von dem überwältigenden Eindruck, den dieser Meister auf ihn machte. Er schildert ihn als einfachen, liebenswürdigen Menschen, der ganz offen für den anderen und ganz auf ihn bezogen war. Er lehrte mit vollem Einsatz die buddhistische Wahrheit und wollte sie auch vor dem drohenden Verfall retten. Die Zazen-Praxis hatte bei ihm einen zentralen Stellenwert, da er sie überhaupt für den Schlüssel zum Buddhismus hielt und bedauerte, dass in manchen Tempeln in Japan die Zazen-Praxis leider sehr vernachlässigt wurde oder sogar ganz aufgegeben worden war. Seine buddhistische Lehre zeichnete sich durch große Klarheit und Genauigkeit aus, und er hatte ein fundiertes Wissen des Buddha-Dharma. Wir können daher Meister Kodo Sawaki als eine verlässliche Brücke zum wahren Buddhismus nicht hoch genug einschätzen, und er hat so auch die schwierige nationalistische Periode, als Japan ähnlich wie Deutschland eine imperiale Großmacht werden wollte, überdauert.
Es gibt einen anderen wichtigen Einfluss auf die buddhistische Lehre in Japan, der aus dem Westen und insbesondere aus der westlichen Philosophie stammt. Eine solche Wechselwirkung ist sicher grundsätzlich zu begrüßen, es besteht aber die Gefahr, dass die Eigenständigkeit des dortigen Buddha-Dharma dabei verloren geht, weil nur diejenigen Bereiche gefördert werden und sich weiter entwickeln, die in irgendeiner Weise mit der westlichen Philosophie harmonieren. Diese ist jedoch nach wie vor fast ausschließlich intellektuell orientiert, betrachtet also den Verstand oder in weiterem Sinne den Geist als die alleinige Quelle der Wahrheit. Sie setzt also die alte griechische Tradition fort, wo der Geist als intellektuelle, höchste Instanz angesehen wurde, während im Buddhismus die große Wirklichkeit, das Handeln im Hier und Jetzt vom Körper-Geist und die Einheit mit Ethik und Moral von zentraler Bedeutung sind. Jede rein philosophische intellektuelle Untersuchung der buddhistischen Lehre ist zwar durchaus fruchtbar, kann aber den ganzen Umfang der Buddha-Lehre für das Glück der Menschen nicht erfassen.

Nishijima Roshi betrachtet Kodo Sawaki als großen Glücksfall in der buddhistischen Geschichte, da er die feste Brücke wesentlich mitgestaltet hat, die den ostasiatischen Buddhismus nun in den Westen bringen kann. Anzumerken ist, dass Meister Deshimaru, der so viel für den Buddhismus in Frankreich und Europa geleistet hat, ebenfalls Schüler von Kodo Sawaki war. Diese beiden großen Schüler von Kodo Sawaki hielten engen Kontakt mit einander, wenn er aus Frankreich zurück kam und wieder in Japan weilte.
Die beiden historischen Fotos von Kodo Sawaki sind für die Zazen-Praxis kostbar und von großem Wert. Ich möchte noch hinzufügen, dass besonders das seitliche Bild der Zazen-Praxis von diesem Meister auf mich einen tief greifenden Einfluss hatte und meine Zazen-Praxis nachhaltig beeinflusst und verbessert hat. Es zeigt die kräftige, gerade aufgerichtete Haltung, ohne erstarrt oder verkrampft zu sein. Es ist auch nicht die geringste Spur von Selbstgerechtigkeit zu erkennen.
Meister Dôgen sagt zum Zazen wörtlich:

"Um sogar über das Höchste der Buddhas und Vorfahren im Dharma hinauszugehen, gibt es nur diese eine Methode; daher verfolgten jene überhaupt keine andere Praxis."

Dôgen ermutigt uns, genau zu untersuchen, was wir bei der Zazen-Praxis wirklich erleben und fragt:

"Ob das Universum senkrecht oder waagerecht ist? Was ist dieses Sitzen genau im Augenblick des Sitzens? Ist es ein Salto, ist es die Kraft voller Lebensenergie, ist es Denken oder Nicht-Denken, ist es etwas zu tun oder ist es nichts zu tun, ist es im Inneren des Sitzens zu sitzen, ist es im Inneren des Körper-Geistes zu sitzen?“

Wir sollen also keineswegs nur die Zazenhaltung kopieren, sondern lebendig selbst herausfinden, was es damit auf sich hat und wann die großartige Wirkung des Zazen einsetzt und wann nicht. Dôgen zitiert dann seinen eigenen Meister:

"(Za) Zen zu praktizieren bedeutet Körper und Geist loszulassen. Wenn ihr einfach nur sitzt, ist die Verwirklichung von Anfang an da. Es ist nicht notwendig, Räucherwerk zu verbrennen, euch niederzuwerfen, Buddhas Namen zu rezitieren, zu bekennen oder Sûtra zu lesen."

Dôgen unterscheidet dann das Sitzen nur mit dem Geist und nur mit dem Körper und hebt das wahre Sitzen als Loslassen von Körper und Geist hervor. Dies muss aber wirklich erlebt und gehandelt werden und darf nicht nur als Vorstellung oder Bild in unserem Gehirn sein. Er zitiert dann Shakyamuni Buddha:

"Wie die Sonne diese Welt erhält, so klärt und befreit das Samadhi von einem schläfrigen, trägen und melancholischen Geist. Der Körper ist dann leicht und ohne Müdigkeit. Die Wahrnehmung und das Bewusstsein sind genau so leicht und beweglich. Ihr solltet sitzen wie eine aufgerollte Schlange.“

Damit meint er eine Haltung, die einerseits straff und aufgerichtet, aber auch entspannt und beweglich ist. Aus meiner Sicht ist genau dies das Wesentliche der Bilder des Meisters Kodo Sawaki. Er zitiert dann noch einmal Shakyamuni Buddha:

"Der Geist ist leicht und aufrichtet, wenn der Körper gerade und aufgerichtet ist. Wenn der Körper gerade und aufrecht sitzt, ist der Geist nicht müde, sondern im Gleichgewicht, dann ist die Absicht richtig und die Aufmerksamkeit auf dasjenige gerichtet, was unmittelbar vor uns ist. Wenn der Geist umherwanderte und abgelenkt war und der Körper sich neigte und aufgeregt war, dann ordnet und beruhigt (das aufrechte Sitzen den Körper-Geist) und bewirkt, dass er sich erholt."

Damit wird nichts anderes gesagt, als dass der Zazen-Haltung eine große Kraft inne wohnt, um die Unruhe und Hektik des modernen Lebens abzuschütteln und zum Wesentlichen zurückzufinden. Auch die Trägheit und Schlaffheit einer konsumorientierten Gesellschaft kann mit der Zazen-Praxis überwunden werden, weil sich der allzu gewöhnliche bisherige Geist des Menschen verflüchtigt und ein neuer umfassender Körper-Geist aufleuchtet. So ist das Sitzen der König der Samadhi, und dieser Samadhi

"ist nichts anderes als das Geistsiegel, das die sieben Buddhas authentisch weiter gegeben haben.“
Als Bodhidharma im 6. Jahrhundert nach China kam, gab es dort eine vielfältige und auch lebendige Diskussionskultur zur Theorie des Buddhismus, aber die Praxis des Zazen war noch unbekannt. Es ist zweifellos sein großes Verdienst, dass er diese ganzheitliche Lehre von Sein-Zeit-Handeln nach China brachte, wo dann eine äußerst fruchtbare, vielfältige Kultur des wahren Buddhismus aufblühte, die uns über die Schriften von Meister Dôgen und die Lehren von Kodo Sawaki und Nishijima Roshi hier und jetzt geöffnet ist!
Weitere Informationen:
Die buddhistische Praxis des Zazen