Die japanische Bezeichnung dieses Kapitels (Kap. 46) des
(„Die Verflechtung“)und bedeutet Pfeilwurzpflanzen und Glyzinien.
Im Inhalt dieses Kapitels beschäftigt sich Meister Dôgen mit der engen Verbindung von Meister und Schüler und erläutert, dass beide unauflösbar miteinander verflochten sind und verwendet als Gleichnis hierfür die Glyzinie, also eine Kletterpflanze. Die Bedeutung der unauflösbaren Verbindung von Meister und Schüler im Buddhadharma übersteigt das Denkvermögen und die Sprache. Sie wird intuitiv ganzheitlich erlebt und ist nicht nur eine Verschmelzung der beiden Menschen, sondern gleichzeitig die Einheit mit und in dem Universum. Für all dies verwendet Meister Dôgen das Gleichnis der Glyzinie und der Pfeilwurzpflanze. Dies kann in der Tat verwundern und bedarf einer genaueren Untersuchung. Was meint Meister Dôgen mit diesem Gleichnis?
Ich habe hierzu ein längeres Gespräch mit Nishijima Roshi geführt, um sicher zu sein, mit meiner Deutung dieses Kapitels "die Verflechtung" richtig zu liegen. Er sieht dieses Kapitel es als Gleichnis der intuitiven Wahrheit des Buddhismus an und bestätigt, dass damit auch die ungewöhnlich schönen meist blauen Blütendolden der Glyzinie gemeint sind. Meister Dôgen habe die Natur, das Leben und die Welt sehr geliebt und immer wieder tiefe Freude an der Schönheit der Blüten und Blumen gehabt. Dies kommt ja auch in dem Kapitel über die Pflaumenzweige, über die Lotus-Blume und hier über das Gleichnis der Glyzinie zum Ausdruck. Schauen wir uns das Gewächs einer Glyzinie einmal genauer an: Kurz über der Erdoberfläche teilt sich der aus einer Wurzel kommende verholzte Stamm in mehrere, ebenfalls verholzte Triebe, die sich um einander winden und aufwärts wachsen. Eine Glyzinie braucht vor allem im oberen Teil Halt und wächst gern auf anderen Bäumen, an Häusern und an von Menschen errichteten Stützen, wie zum Beispiel einer Pergola oder einer Laube. Im späten Frühjahr entwickeln sich die wunderbaren Blütendolden in blauer oder weißer Farbe, sodass sie auch „Blauregen“ genannt werden. Das Typische ist also eine gemeinsame Wurzel, dann die Aufteilung in mehrere gewundene und umeinander gewundene Äste, die sich nach oben immer mehr verzweigen, oft ein üppiges Blätterwerk bilden und vor allem die meist blauen üppigen Dolden der Blüten hervorbringen.
Wir finden also die Merkmale der eng umschlungenen Verbindung der verschiedenen Äste und hier setzt auch das Gleichnis bei Meister Dôgen an. Diese enge Verbindung sieht er als Gleichnis für das Verhältnis von Meister und Schüler, der dann später selbst mit der Dharma-Übertragung zum Meister und Lehrer wird. Aber auch die Schönheit der Blüten ist wesentliches Merkmal der buddhistischen Lehre und Lebensphilosophie, und diese Schönheit offenbart sich uns im Gleichgewicht. Sie kann sich weder im materialistischen Weltbild des Strebes nach Profit, noch im idealistischen Weltbild von Ideen und Vorstellungen des Denkens entwickeln. Schaut man das ganze Gewächs einer Glyzinie an, so ist es auch ein verwirrender Anblick die vielen umeinander gewundenen einzelnen Ästen festzustellen. Hier setzt das Gleichnis Dôgens an, dass auch die Wirklichkeit der Welt verflochten und verwoben ist und sich mit der Wahrnehmung und dem Denken niemals vollständig entwirren lässt. Nur eine gesamtheitliche Intuition im Sinne der buddhistischen Lehre kann diese verflochtene Vielfalt und Schönheit also erfahren.
Im alten Japan wurde der Begriff „Katto“ oder die Verflechtungen allerdings meist in einem eher negativen und verengten Sinne benutzt, nämlich für die unentwirrbare Komplexität des intellektuellen Denkens, die überwunden werden müsste. Sie hatte damit überwiegend eine negativ und stark bewertende Bedeutung. Meister Dôgen setzt sich ausdrücklich von dieser Negativität ab und erweitert die Symbolik der Glyzinie in wirklich poetischer Weise.
Dôgen erinnert am Anfang dieses Kapitels an die Dharma-Weitergabe von Gautama Buddha auf Mahakashyapa und die folgende authentische Weitergabe über die ganze Linie der Meister bis zu seinem eigenen Lehrer Tendo Nyojo. Auf diese Weise sei die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges ohne Unterbrechung weiter gegeben worden, und zwar in der engen Verbindung und Verflechtung jeweils von Lehrer und Schüler. Von Bodhidharma wurde die Kette der Meister dann in China durch die Dharma-Übertragung auf seinen Nachfolger Taiso Eka weiter gegeben. Bodhidharma wird dabei der erste Vorfahre im Dharma in China genannt. Die Wahrheit wird also von Angesicht zu Angesicht in einer mystischen aber wirklichen Gemeinsamkeit auf den Schüler übertragen.
Meister Dôgen schreibt hierzu:
"Selbst wenn heilige Wesen sich alle danach sehnen, die Wurzel der Verflechtung zu durchschneiden, erlernen und erforschen sie nicht, dass dieses Durchschneiden bedeutet, die Verflechtung mit der Verflechtung selbst zu durchschneiden."
Was will er damit sagen? Häufig wird im Zen-Buddhismus davon gesprochen, dass die Verflechtungen oder Wurzeln der Täuschungen durchschnitten werden müssen, damit die Menschen zur Freiheit und zum Glück gelangen können. Dôgen verwendet aber in diesem Zitat die zweite mögliche Bedeutung der Verflechtung, nämlich die Übertragung des Buddha-Dharma und der Wahrheit von einem Menschen zum anderen und dass genau dadurch die Befreiung erlangt wird. Die könne in der Tat allein mit dem Denken und der Wahrnehmung nicht erfasst werden, sondern ereigne sich nur in einem intuitiven umfassenden Handeln. So wird eine Verstrickung durch die Verflechtung von Meister und Schüler aufgelöst und die Verflechtung bedeutet das große Einheitserlebnis zwischen den beiden Menschen und dem Universum. Dies wird von ihm so formuliert, dass die Verflechtung durch eine andere neue Verflechtung im intuitiven erweiterten Bewusstsein durchschnitten wird.
Dôgen zitiert dann seinen eigenen Meister, den er als ewigen Buddha bezeichnet:
"Ein Kürbis ist durch seine Ranken mit den anderen Kürbissen verbunden".
Hier wird also das Gleichnis einer Kürbispflanze verwendet, die aus ihrer Wurzel verschiedene, weit ausgreifende Stiele und Ranken entwickelt, an denen die einzelnen Kürbisse verteilt wachsen und auf der Erde liegen. Dies ist in der Tat ein wirklich beeindruckendes Bild, wie die verteilten, zunächst getrennt erscheinenden Kürbisse durch die gemeinsame Pflanze miteinander verbunden sind, die jeden Kürbis entstehen lässt und zur Reife bringt. Damit ist gleichnishaft die Verbundenheit der Meister des Buddha-Dharma gemeint, von der Dôgen sagt, dass diese erforscht und erfahren werden muss. Dies sei die
"Übertragung von Geist zu Geist, die jenseits aller Worte ist."
Danach wird die berühmte Begebenheit geschildert, wie der erste Meister in China, Bodhidharma, beim Herannahen seines Todes das große Siegel des Dharma an vier Nachfolger übergeben hat, indem er ihnen jeweils sagte:
"Du hast meine Haut erlangt, du hast mein Fleisch erlangt, du hast meine Knochen erlangt, du hast mein Mark erlangt."
Das Letzte sagte er dem Schüler, den er zu seinem Nachfolger bestimmt hatte und der wortlos drei Niederwerfungen machte. Dôgen wendet sich in der folgenden Erörterung dagegen, dass bei diesen vier Schülern, zu der auch eine Nonne gehörte, eine Abstufung und Bewertung enthalten sei, dass zum Beispiel die Haut eher außen am Körper und das Mark eher im Inneren sei. Derartige materielle Beurteilungen hält er für abwegig und für die Übertragung des Buddha-Dharma für völlig unzureichend. Alle vier Schüler seien mit ihm körperlich und geistig eine Einheit verbunden und genau in einer solchen mystisch zu bezeichnenden Einheit könne die große Wahrheit von Gautama Buddha von einer Generation auf die andere übertragen werden. Jeder Schüler bewahrt dabei sein eigenes tiefes Verständnis und seine eigene umfassende Erfahrung, die sich auch in den Sätzen von Bodhidharma wiederfindet. Hätte Bodhidharma noch mehr Schüler gehabt, hätte er sicher die Dharma-Übertragung jeweils anders zum Ausdruck gebracht, um die Wahrheit zu treffen. Jede Bewertung nach Vortrefflichkeit und Minderwertigkeit ist fehl am Platze, und Dôgen sagt, dass
"der Körper und Geist eines Vorfahren im Dharma so beschaffen ist, dass seine Haut, sein Fleisch, seine Knochen und sein Mark immer ganz er selbst sind."
Es wird dann weiter untersucht, was das "Du" in den Aussagen Bodhidharmas eigentlich bedeutet. Dôgen arbeitet dabei heraus, dass die übliche Trennung von Ich und Du nicht tragfähig sei, weil es hier um die Einheit und eine untrennbare Verflechtung geht. Vor allem im Augenblick der Dharma-Übertragung selbst verschmelzen das Ich und das Du zu einer umfassenden Einheit und genau dies ist der mystische Augenblick, in dem die Wahrheit und das Auge des Dharma übertragen werden. Dabei gibt es eine gemeinsame Erfahrung von Lehrer und Schüler, die zwar das Denken und die Wahrnehmung mit einschließt, aber weit darüber hinaus geht. Die damit verbundene Befreiung umfasst die Menschen und wie im Gleichnis der Glyzinie mit ihren Wurzeln, den Stämmen, Ästen, Blättern und Blüten.
Am Ende dieses Kapitels wird der große Meister Joshu zitiert, der zwei Mönche fragte, was die Dharmaübertragung, zum Beispiel in Indien und China, bedeuten würde. Er lehnt dabei auch eine Unterscheidung ab, dass die Haut weniger wert sei als das Mark, da sie mehr äußerlich und das Mark mehr innerlich sei. Die Haut bedeutet genauso das Ganze der Dharma-Übertragung wie das Mark, und wer die Wahrheit der Aussage "Du hast meine Haut erlangt" nicht versteht, der kann auch die Aussage „Du hast mein Mark erlangt“nicht erfassen.
Im Augenblick der Dharma-Übertragung legt Dôgen dann ein besonderes Gewicht auf das Handeln im Hier und Jetzt, das ja auch durch die drei Niederwerfungen des Nachfolgers von Bodhidharma besonders betont wird.
Bei der Dharma-Übertragung betont Nishijima Roshi, dass der gesamte Buddhismus durch das Genie von Gautama Buddha in diese Welt gebracht wurde und dass auch die großen Meister wie Nagarjuna, Bodhidharma und Dôgen ohne diese einmalige Lehre nicht so hätten wirken können, wie sie es getan haben. In der Tat muss man dem Genie von Gautama Buddha im 6. Jahrhundert vor Christus in Indien die größte Hochachtung entgegen bringen, und seine tiefgründige und zugleich praktische Lehre ist umso erstaunlicher, weil er selbst keinen Lehrer und Meister hatte, sondern diese Wahrheit aus sich selbst gefunden hatte.
Dabei war sicher neben der geistigen Schulung durch die Philosophen der damaligen Zeit und die Grenzerfahrung über die Sinnlosigkeit der körperlichen Askese maßgebend, dass er auf die großartigen Übungen des Yoga, also des Lotus-Sitzes, zurückgreifen konnte, die in jener Zeit in Indien weit verbreitet war. Wie wir heute wissen, liegen die Wurzeln des Yoga in Indien weit zurück vor der Zeit der Einwanderung durch die indo-europäischen Stämme, denn bei ihnen gibt es nicht die geringsten Anzeichen für derartige Yoga-Übungen. Noch heute sind der ganze und der halbe Lotussitz äußerst wichtige Übungen des Yoga und wir wissen, dass Gautama Buddha seinen Schülern immer wieder empfohlen hat, mit gekreuzten Beinen und geradem Rücken zu praktizieren. Zweifellos ist dies die authentische Yoga-Haltung, die in Form des Zazen im ostasiatischen Zen-Buddhismus als unverzichtbar für den Buddha-Dharma angesehen wird.
9 Kommentare:
Lieber Yudo Jürgen,
ich habe schon letztens voller Bewunderung zur Kenntnis genommen, dass Du im halben Lotussitz sitzen kannst.
Nachdem mir ein Mitsitzender im Zendo den Sitz erklärt hat, habe ich es dann später für mich ausprobiert und tatsächlich 25 Minuten durchgehalten.
Meine Eindrücke waren wie folgt:
1. Das Zazen war geprägt von dem Gedanken um den Schmerz, der in den Beinen auftrat und der Frage, ob ich mir dies wirklich antun soll, da ich bisher wirklich ohne irgendeine Beeinträchtigung meditierte. Ich brauchte mindestens fünf Minuten um wieder aufzustehen.
2. Irgendwie hat dieser Sitz etwas ausgewogenes, stabiles und durchaus bei mir den Eindruck hinterlassen, dass es die Mühe lohnen würde, ihn zu erlernen.
Also habe ich mich heute bei einer versierten Yogalehrerin in verschiedene Dehn- und Vorbereitungsübungen auf den Lotussitz einweisen lassen. Nun bin ich gespannt, ob ich es irgendwann in schmerzfreier Gelassenheit in meine Zazenübung übernehmen kann.
Liebe Grüße
Regina
Liebe Regina
herzlichen Dank für Deine ehrliche Beschreibung. Wie hast Du bisher meditiert? Hast Du die richtige Sitzhöhe schon ermittelt? Auch der burmesische Lotus-Sitz ist zunächst o. k.
Vielleicht noch ein Tipp: Man dehnt am besten, wenn man den Sitz einnimmt und sich dann nach vorne beugt. Es zieht dann wie beim Stretching und ist eine gute Vorbereitung. Ansonsten braucht man etwas Geduld, Ziel ist weitgehende Schmerzfreiheit, also zunächst nicht zu lange und langsam steigern.
Herzlich
Yudo Jürgen
Hallo,
25 Minuten beim ersten Sitzen finde ich sehr viel, ich hatte es am Anfang keine 10 Minuten ausgehalten.
Ich mache auch regelmäßig Yoga Übungen. Den Tip von Herrn Seggelke finde ich interessant, habe ich bisher nicht gemacht. Hier habe ich einen Link zu dieser Übung:
http://www.yoga-vidya.de/Asana_Uebungsplaene/Yogamudra.html
Weitere Übungen:http://www.yoga-vidya.de/de/asana/lotus.html
In dem Text hier vom Kloster Antaiji gibt es auch viele Links zu Übungen, die ich selber seit einiger Zeit mache:
http://antaiji.dogen-zen.de/kimyou/2007/eng-0309.html
Hallo Markus,
vielen Dank für die Links, werde ich mir morgen mal ansehen.
Wegen der 25 Minuten, weißt Du, ich übertreibe immer am Anfang, deshalb habe ich mich auch in Dehnübungen einweisen lassen, sonst würde ich es auf Dauer nicht durchhalten. Und dann werde ich es erst zum Sitzen übernehmen, wenn es einigermaßen schmerzfrei gelingt.
Gruß Regina
Lieber Yudo Jürgen,
entschuldigung, ich hatte vergessen Deine Frage zu beantworten.
Ich sitze bisher immer mit den Beinen seitlich zum Kissen. Da die Knie dann leicht vom Körper abgewinkelt sind, können hierbei auch mal Knieprobleme auftreten. Dann empfinde ich es als reine Erholung, in den burmesischen Sitz zu wechseln. Diesen verwende ich aber nur ganz selten, da mir hierbei die Füße und Beine einschlafen.
Für mich war es nur einfach immer wichtig, mit gradem Rücken zu sitzen. Jetzt habe ich erfahren, dass sich auch die Knie auf Höhe der Hüfte befinden sollen, da sonst Energie nach außen fließt.
Gruß Regina
Hallo,
Herr Seggelke, ich würde gerne wissen wie sie die richtige Sitzhöhe ermitteln? Habe jetzt durch langes ausprobieren ein gute höhe gefunden. Ich habe ein Kapok Zafu.
Meistens habe ich aber bei Sesshins das Gefühl, die höhe stimmt nicht.
Grüße Markus
Liebe Regina und lieber Markus,
die Höhe kann man besten ausprobieren, wenn man flache feste Kissen unter das Zafu legt. Die japanischen Zafus sind meist zu flach für uns Westler. Kapok ist nach meiner Erfahrung bei Weitem am besten. Je besser das Sitzkissen ist, um so weniger schlafen die Beine ein. Zwischenkissen kann man auch im Internet kaufen. Die hiesigen Füllungen mit Getreide-Spelzen sind nur ganz zu Anfang angenehm, dann werden sie viel zu hart. Ich rate dringend davon ab. Ich hatte mir für eine Rohatsu-Sesshin (12 Sitzperioden plus 3 Malzeiten auf dem Kissen!) eine Schaumstoff-Zwischenlage eingesetzt. Aber Kapok ist viel besser. Nishijima hat mir ein Zafu geschenkt, das motiviert natürlich sehr.
Herzlich
Yudo Jürgen
Herr Seggelke,
vielen Dank für den Tip mit den Zwischenkissen.
Regina, wünsche dir, dass du einigermaßen schmerzfrei sitzen kannst.
Alles Gute
Markus
Hallo zusammen,
ja, die japanischen Kissen sind wirklich flach und runtergesessen. Da brauche ich zwei.
Die Yogalehrerin hat mir ein ca. 10cm hohes Stück festen Schaumstoffs für die Übungen geschenkt. Darauf sitzt man fast am besten.
Vielen Dank Markus für die Links, einer führt vom Antaiji zu Michel Proulx nach Montpellier, der eine schöne bebilderte Übungsanleitung ins Netz gestellt hat (How to grow a lotus). Dieser Michel hat übrigens auch das Buch "To meet the Real Dragon" von Nishijima Roshi ins Französische übersetzt.
Gruß Regina
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