Dienstag, 18. Dezember 2007

Das Universum ist dynamisches Handeln

Aus buddhistischer Sicht und Erfahrung kann man sagen, dass diese Welt, das Universum und das Leben die Verwirklichung alles Handelns und aller Aufgaben sind. Das hört sich sicher etwas weit hergeholt an, ist es aber eigentlich gar nicht. Was ist damit gemeint und was will uns Dôgen damit sagen?
Kinder vor dem großen Buddha in Kamakura


Dieses dynamische Ganze, z. B. unseres Lebens, ist wirklich nichts Statisches, sondern es beruht auf dem Handeln je im Augenblick, indem wir unsere Aufgaben und Verpflichtungen in dieser Welt wahrnehmen und auf natürliche Weise moralisch handeln. Wenn wir leben, handeln wir automatisch, selbst wenn unser Verstand etwas festhalten will oder aufgeladene Emotionen uns wie in einem Gefängnis eingemauert haben. Ein solches Handeln im Augenblick soll nicht von düsteren Gedanken des Todes oder von anderen Ängsten überschattet werden, denn das Handeln vollzieht sich im Hier und Jetzt der Gegenwart und nur dies ist die Wirklichkeit, und dann sind wir frei. Die große Wahrheit der Buddhas und Vorfahren im Dharma ist Befreiung und sie ist Verwirklichung, wenn diese handelnd gemeistert wird.
Dann befreit das wahre Leben unser bisheriges Leben und der wahre Tod befreit uns von den Ängsten des Todes. Auf diese Weise meistern wir in der Wahrheit Leben-und-Tod. Gerade im Augenblick je in der Gegenwart wird so das Leben gemeistert. Dies überschreitet Begriffe und Vorstellungen wie Groß und Klein und sogar der großen und der begrenzten Welt. Die üblichen Maße für die Zeit, dass z. B. etwas lang oder kurz andauert, haben keine Bedeutung und lösen sich auf. Das Leben ist dann auch kein gedachter Prozess des Erscheinens und Vergehens oder die Erwartung der zukünftigen Verwirklichung der Erleuchtung. Die Welt offenbart sich als dynamisches Handeln, indem wir praktizieren, unsere Aufgaben wahrnehmen und unseren Verpflichtungen gerecht werden. Dies schließt auch die vielfältigen materiellen Dinge und Zusammenhänge um uns herum ein, aber wir sollten dies nicht einfach leichtgläubig hinnehmen, sondern gründlich bedenken. Jedes einzelne Ding, jeder einzelne Dharma und jeder Augenblick ist Teil des Lebens. Dôgen sagt hierzu:

"Es gibt keinen einzigen Augenblick und keinen einzigen Dharma, der nicht das Leben ist, und es gibt keine einzige Tatsache und keine einzige Funktion des Geistes, die nicht das Leben ist."

Dogen gibt dann ein sehr aufschlussreiches Gleichnis von einem Segelboot auf dem Meer, das von den Menschen im Boot bedient wird und dadurch mit dem Wind im Wasser vorwärts kommt. Er sagt:

"Das Leben kann damit verglichen werden, dass zum Beispiel ein Mensch in ein Boot steigt: In diesem Boot setze ich den Mast, ich führe das Ruder und ich bediene das Segel. Ich werde von dem Boot getragen und es gibt (eigentlich) kein Ich, sondern nur (mein Handeln mit) dem Boot. Durch mein Handeln mit dem Boot wird dieses Boot erst zu einem (wirklichen) Boot."

Hier wird also keinesfalls gesagt, dass es um die Gegenstände wie das Boot, das Ruder, das Segel, den Mast usw. geht, die von einem Menschen bedient werden, denn damit wäre eine Trennung der Objekte von dem handelnden Subjekt behauptet. Sondern Dôgen sagt ganz klar, dass erst durch das gesamte Handeln im Zusammenhang das Boot mit dem Menschen zu einem wirklichen Boot wird. Er sagt:

"Der Himmel, das Wasser und die Küste kommen zusammen und werden der Augenblick des Bootes. Und diese unterscheiden sich ganz eindeutig von anderen Augenblicken abseits vom Boot.“

Das Leben ist also das, was ich tue und mache, und auch ich bin das, was ich mache. Das Ich besteht also aus Augenblicken des Handelns im sinnvollen Ganzen und es existiert nicht als dauerhafte getrennte Entität, die quasi wie ein Ding gedacht wird, aber eine Seele besitzt. Damit verblüfft uns Dogen mit der Aussage, dass wir aus Handlungs-Elementen je im Augenblick bestehen.
Ein alter Meister sagte:
"Das Leben ist die Offenbarung und Verwirklichung der Welt des Handelns und aller Funktionen; der Tod ist die Offenbarung und Verwirklichung aller Handlungen und Funktionen."

Es geht dabei nicht um den Beginn oder das Ende der Welt oder meines Lebens, sondern es geht um die Gegenwart, in der sich das Handeln als Welt und als Ich offenbart und verwirklicht. Die Welt baut sich sozusagen aus Handlungs-Elementen auf, die sich dynamisch verändern und je in der Wirklichkeit existieren. Dogen bittet uns, dies gründlich zu erfahren und zu erforschen und nicht einfach gläubig hinzunehmen. Wenn wir nur im Kopf denken, dass die Erde eine Einheit ist und dass der Raum eine Einheit ist, so liegen wir falsch. Solche Gedanken und solche Worte entspringen nur dem Gehirn und sind nicht die Wirklichkeit im Hier und Jetzt. Die Wirklichkeit und Dynamik des Universums besteht jenseits von Vorstellungen, Hoffnungen und Ängsten des Lebens und des Todes. Diese wirkliche Welt als Leben und Tod existiert,

"wenn zum Beispiel ein starker Mann seinen Arm beugt und anspannt und wenn ein Mensch im Schlaf die Hand nach hinten ausstreckt und nach seinem Kissen greift."

In dieser Welt des dynamischen Handelns gibt es wunderbare Kräfte und große Klarheit und Schönheit. Die Welt entwickelt ihre ganze wunderbare Kraft im gegenwärtigen Augenblick, auch im vorherigen Augenblick gab es eine solche Offenbarung und Verwirklichung, aber dies können wir nur erinnern und nicht erleben und erfahren. Dôgen sagt zum Abschluss dieses kurzen, aber außerordentlich inhaltsreichen Kapitels, dass das hier Gesagte dringend darauf wartet, dass es verwirklicht wird.

1 Kommentar:

Kurt hat gesagt…

Lieber Yudo,

als ich im Shobogenzo nachlas, stellte sich mir die Frage, welches Leben und Tod Dogen hier meint. Das Leben mit der Geburt und dem Tod als Eckpunkten oder die verschiedenen Gestaltungen/Werdungen.

Zu Letzterem habe ich gerade ein schönes Beispiel in den Reden des Buddha aus den Theravada-Schriften gelesen. Hier wird die Befreiung, das Erlöschen, mit einem Feuer verglichen und gefragt: wenn das Feuer erloschen ist, in welche Himmelsrichtung Osten, Westen, Norden oder Süden, es gegangen sei.
Es wird geantwortet, wenn das Feuer den Brennstoff verzehrt hat und keine neue Nahrung erhält, wird es als erloschen erkannt.

Zum ersten Ansatz fand ich vor kurzem einen Zeitungsartikel über ein Psychologisches Immunsystem:
Sobald sich jemand mit der eigenen Sterblichkeit auseinandersetzt, beschwört dieser Abwehrmechanismus automatisch positive Assoziationen und Erinnerungen herauf, die den Schrecken kompensieren. Schon länger beschäftigen sich Psychologen mit der Frage, warum der Gedanke an den eigenen Tod zwar das Bewusstsein stark beschäftigt und auch Verhaltensänderungen auslösen kann, meist jedoch nur ein verblüffend emotionales Echo hervorruft. Eigentlich, meinen die Forscher, müssten die Unausweichlichkeit und das Unbekannte bei einer Konfrontation mit dem Tod doch Angst oder sogar Panik auslösen, die den Betreffenden vollkommen lähmt. Allerdings sorge das psychologische Immunsystem angesichts der heftigen Bedrohung durch den Schrecken des Todes dafür, dass positive Informationen schneller zugänglich gemacht werden und dass sie über die negativen dominieren.

Dies bedeutet ja, dass die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod eine psychologisch positive Wirkung zeigt. Ist dies dann nicht auch als eine geschickte Methode (Upaya) anzusehen, da gerade im Buddhismus erst die Einstellung zu Leben und Tod ganz fundamental gesehen und immer am Anfang geklärt werden sollte?

Und dann noch ein eigenes Erlebnis: zwei Monate bevor mein Vater einen Schlaganfall bekam, hatte ich mich während meiner täglichen Zazenübung einfach selbst wegkonzentriert. Also jegliche Wahrnehmnung war für mindestens 20 Minuten vollkommen aufgehoben. Und das Gleiche passierte dann zwei Monate vor dem Tod meines Vaters nochmal. Insofern ist es mir nicht schwer gefallen, die Realität anzunehmen, wenn der Tod einfach als Erlöschen zu erfahren ist.

Gerade vor ein paar Tagen erfuhr ich, dass in der Tendai-Richtung genau so eine Art der Meditation unter dem Namen Nirodha Samapatti bekannt ist, deshalb auch meine Frage an Nishijima Roshi.

Weißt Du, ob Dogen sich je dazu geäußert hat?

Liebe Grüße
Regina