Montag, 21. Mai 2012

Freies und kreatives Handeln

In der deutschen Übersetzung dieses Kapitels zum wahren Handeln wird manchmal der Ausdruck „würdevolles Handeln“ verwendet, den ich aber nicht benutzen möchte, weil er nach deutschem Sprach-Verständnis auf das einfache, unkomplizierte und natürliche Handeln im Alltag der Meister weniger zutrifft. Zeremonien und Rituale mit einem weitgehend formalisierten Handlungsablauf mögen für bestimmte spirituelle Situationen bedeutsam sein, sie sind aber nicht typisch für das direkte Handeln im Alltag, das man fast als „locker“ bezeichnen kann. Damit ist keine Nachlässigkeit gemeint, sondern ein einfaches flexibles und dynamisches Verhalten, das in der Lage ist, alle uns gegebenen Möglichkeiten je im Augenblick „abzurufen“ und kreativ einzusetzen.

Um im Augenblick tatkräftig und „richtig“ zu handeln, muss man über eine gewisse Freiheit verfügen und entspannt sein, wie auch Herrigel in seinem berühmten Buch "Zen in der Kunst des Bogenschießens" ausführt: Wir müssen locker und frei im Zustand der höchsten Spannung sein. Der Bogenmeister sagte zu Herrigel:
 „Soeben hat ‚Es‘ geschossen.“ Und weiter: „Sie verweilten diesmal völlig selbstvergessen und absichtslos in höchster Spannung; da fiel der Schuss von Ihnen ab wie eine reife Frucht.“

Ein solches Handeln gibt uns gleichzeitig eine tiefe Befriedigung und Freiheit. Einfaches und lockeres Handeln ist aber erst nach langer, ausdauernder Übung möglich und kann nur durch eine immer feiner werdende Praxis erworben werden. Mit dem Willen und Entschluss allein ist es nicht getan und auch unser Denken hilft uns dabei nur wenig. Allerdings können wir damit sinnvoll starten.

Dōgen meint mit den handelnden Buddhas vor allem die großen Meister und nicht nur Gautama Buddha selbst, also die Vorfahren im Dharma in den authentischen Übertragungslinien, die in Ostasien auf Bodhidharma und Daikan Enō zurückgehen. Wenn man das Glück hat, einen wahren buddhistischen Meister zu kennen und bei ihm zu lernen, ist man immer wieder überrascht, wie unkompliziert und mit welch großer Freude er handelt und durch seinen Alltag geht. Die einzelnen Tätigkeiten werden mit Achtsamkeit und Freude wahrgenommen; es gibt keine Hetze und keine Verspannung. Dadurch wird natürlich auch die Fehlerquote im täglichen Handeln wesentlich geringer, als wenn jemand unter Stress steht und hektisch herumrennt oder im Gegensatz dazu träge, bequem und dumpf seine Tage verbringt.

Brad Warner sagt zum Handeln, dass im gegenwärtigen Moment nicht einmal die Zeit vorhanden ist, um
 „einen einzelnen Gedanken zu vollenden“ und „nicht einmal die Wahrnehmung hat Zeit, sich zu ereignen. Bloß Handeln existiert!
Er spricht dabei das wichtige Lebens-Problem der Freiheit an: „Innerhalb der Grenzen, in die unsere vergangenen Handlungen uns gesetzt haben, sind wir genau jetzt absolut frei.“