Dienstag, 17. Juli 2012

Der Ort des Handelns




Nachdem Dōgen die Sein-Zeit des Handelns sowie die Abgrenzung von Vorstellungen und Begriffen untersucht hat, geht es ihm nun um den Ort:
„Obgleich es Hunderttausende zahllose Orte gibt, wo es keine Buddhas und Menschen gibt, beschmutzen (jene Orte) nicht den handelnden Buddha.“
Anders ausgedrückt: Das reine und wahre Handeln ist unabhängig von anderen Orten, die ohne Buddha sind und wo keine menschlichen Lebewesen wohnen und die daher nicht in der Wirklichkeit des Buddhismus sein können.
Eine „Verschmutzung“ der handelnden Buddhas kann auch nicht eintreten, wenn die Praxis getrennt wird von der Erfahrung, wenn also im Zazen die Übungspraxis einem entfernten und getrennten Ziel dienen soll, zum Beispiel Buddha zu werden.
Dōgen räumt jedoch ein: „Dies bedeutet nicht, dass Praxis und Erfahrung (immer) unbeschmutzt sind.“ Nishijima und Cross erläutern diese Äußerung in einer Fußnote zu ihrer Übersetzung des Shōbōgenzō folgendermaßen: „Mit anderen Worten ist die Motivation im Zustand des handelnden Buddhas immer rein, aber die Motivation im Zazen und in anderen buddhistischen Übungen (der normalen Menschen) ist nicht immer rein. ‚Verschmutzung‘ beschreibt zum Beispiel den Zustand, dass man im Zazen mit der Erwartung von Vorteil und Belohnung sitzt, die sich vom Handeln und von der Erfahrung des Zazen selbst unterscheidet.“ Durch diese Trennung von Handeln und Erfahrung und die Konzentration auf das gierig angestrebte Ziel entsteht also die von Dōgen angesprochene Verschmutzung.
Nishijima betont in diesem Zusammenhang, dass handelnde Buddhas niemals unrein sind und niemals beschmutzt werden können. Wenn wir selbst dieses ursprüngliche Handeln im Augenblick verwirklichen, werden wir frei! Ferner weist er darauf hin, dass Zazen genau dieses Handeln im Augenblick ist, das uns befreit und keine Befleckung aufweist. Dōgen erklärt diese Wahrheit des Zazen in mehreren Kapiteln im Shōbōgenzō und in seiner Schrift Fukan zazengi. Um dieses Thema zu vertiefen, zitiert er hier ein berühmtes, aber häufig missverstandenes Kōan-Gespräch zwischen den Meistern Daikan Enō und Nangaku, das im Shōbōgenzō sowie in der Kōan-Sammlung Shinji Shōbōgenzō ausführlich wiedergegeben ist.
In diesem Gespräch fragt Daikan Enō den Meister Nangaku: „Verlässt du dich auf die Praxis-und-Erfahrung oder nicht?“ Nangaku antwortet: „Es ist nicht so, dass es keine Praxis-und-Erfahrung gibt. Aber der Zustand kann niemals beschmutzt werden.“ Damit bestätigt Nangaku also, dass es die Praxis-und-Erfahrung als Einheit wirklich gibt und hat so den ersten Teil der Frage von Daikan Enō positiv beantwortet. Dann fügt er hinzu, dass dieser Zustand in der Einheit von Praxis-und-Erfahrung immer rein ist, also nicht beschmutzt werden kann. Eine Beschmutzung würde nur dann entstehen, wenn Praxis und Erfahrung voneinander getrennt würden und man irgendetwas aus egoistischen Motiven anstrebt.
Daikan Enō geht darauf ein und erwidert: „Genau diese Unbeschmutztheit ist es, welche die Buddhas bewahren und erstreben. Du bist genau so, ich bin auch so. Und die alten Meister von Indien waren auch genau so.“