Samstag, 17. August 2013

Der umfassende einheitliche Geist


Dōgen hebt hervor, dass es um den umfassenden einheitlichen Geist geht, wenn es heißt und authentisch an uns übermittelt wurde: „ein Geist als alle Dharmas und alle Dharmas als ein Geist“. Mit den Dharmas sind alle Dinge und Phänomene dieser Welt und unseres Lebens gemeint. Es gibt also für Dōgen keine Trennung der vielfältigen konkreten Einzelheiten von diesem umfassenden Geist. Das ist eine zentrale Lehre des Buddhismus: Gerade die Einzelheiten dieser Welt sind identisch mit dem wunderbaren umfassenden Geist, das wird z. B. im Lotos-Sutra beschrieben.

Nach einem Zitat des alten Meisters Chorei Shutaku gibt es
„auf der Erde nicht ein bisschen abgetrennten Boden, wenn sich ein Mensch des (wahren) Geistes bewusst wird.“
Was heißt das? Tatsächlich ist ein Fleckchen Boden, das zum Beispiel aus Erde besteht, in der Natur von dem übrigen Boden nicht abgetrennt, sondern bildet eine umfassende, natürliche Einheit mit ihm. Wenn man sich eines solchen Geistes vollkommen bewusst wird, verschwinden alte Vorstellungen und Ideen von Himmel und Erde, und insbesondere die materielle Sichtweise wird überschritten. Dadurch verändert sich auch die Wahrnehmung der Form der Erde; sie wird umfassender, bunter und auch größer.

Dōgen zitiert den alten Meister Isan Reiyu, der zu seinen Schülern sagte:
Was ist der feine, leuchtende und reine Geist? Er ist Berge, Flüsse und die Erde, die Sonne, der Mond und die Sterne.“
Der erwachte Geist macht zwischen der Umgebung und sich selbst keinen Unterschied mehr, der Dualismus ist überwunden, und die wahrgenommenen Objekte, die wir gewöhnlich als von uns getrennt sehen, bilden eine Einheit mit diesem erwachten Geist. Das ist der leuchtende, feine Geist. Dōgen bekräftigt diese Aussage und lässt keinen Zweifel daran, dass er selbst genau diese Erfahrung machte, nachdem er die theoretische Phase beim Buddha-Dharma beendet hatte und mithilfe seines eigenen Meisters Tendō Nyojō die Wirklichkeit und Wahrheit des Buddhismus erlernen konnte.

Er erinnert daran, dass die Worte gerade nicht identisch sind mit den Bewegungen der Wirklichkeit und des Lebens. Wenn wir auf dem Weg des Buddha-Dharma der Wirklichkeit vorwärtsschreiten wollen, ist die verbale Ebene der Worte nicht mehr ausreichend. Die Wirklichkeit der Bewegung geht darüber hinaus. Wenn wir allerdings beim Handeln unnötig zögern und die Praxis vernachlässigen, können Worte sehr wichtig werden, um wieder neu anzusetzen.


Restriktives, eingeschränktes Handeln kann die Aussage von „Geist hier und jetzt ist Buddha“ jedoch nicht erfassen. Es kommt also auf das natürliche Bewegen und Handeln an, damit der Zen-Geist mit der Wahrheit und Wirklichkeit übereinstimmt. Wenn wir uns zögerlich verhalten und von der Wirklichkeit getrennt sind, werden wir durch die Blume des Dharma gedreht, wir sind also passiv und sozusagen Spielball der Welt und unserer Umgebung. Das arbeitet Dōgen im Kapitel über das Lotos-Sūtra heraus. Wenn wir aber erwacht und im Gleichgewicht sind, drehen wir selbst die Blume des Dharma. Dann haben wir die richtige und natürliche Bewegung unseres Lebens verwirklicht.

Samstag, 10. August 2013

Der erwachte Geist überwindet den Dualismus


Dōgen betont, dass die sogenannte dreifache Welt, die nach damaliger Auffassung aus der Form, der Nicht-Form, z. B. Denken und Ideen, und dem Wollen besteht, wirklich existiert; sie schwindet nicht und erscheint nicht, denn ihre Wirklichkeit besteht ganz genau im gegenwärtigen Augenblick. Diese Welt „ist nicht nur Geist“, erklärt er, denn sonst würde man den Geist als vom Körper getrennt ansehen.

„Der Geist existiert als Zäune und Mauern, er wird niemals schlammig oder nass und ist niemals künstlich erzeugt.“

Diese umfassende Bedeutung des Geistes vertieft Dōgen im Shōbōgenzō besonders im Kapitel über die drei Welten. Die Trennung von Körper und Geist lehnt er vehement ab, da ein solcher Dualismus nicht der Wirklichkeit entspricht. Und er sagt: „Wir verwirklichen in der Praxis, dass Geist hier und jetzt Buddha ist.“ Diese Einheit von Geist und Buddha in der Praxis kommt auch in der folgenden Aussage deutlich zum Ausdruck:

„Geist-und-Buddha hier und jetzt sind richtig, und sie verwirklichen in der Praxis, dass dieser Buddha-Geist das Hier und Jetzt ist.“

Das klingt etwas ungewöhnlich; es bedeutet, dass es bei der Sein-Zeit keine Wirklichkeit außerhalb des gegenwärtigen Augenblicks geben kann und dass die Vergangenheit nur Erinnerungen in unserem Gehirn sind und die Zukunft nur Erwartungen, Hoffnungen oder Ängste, aber sie sind nicht die Wirklichkeit.

Es mag zwar sinnvoll sein, dass man die einzelnen Begriffe wie „Geist“, „Praxis“, „Wirklichkeit“ und „Zeit“ verwendet, weil sonst überhaupt keine Kommunikation und keine buddhistische Lehre möglich wären. Aber wir dürfen diese Begriffe niemals mit der unteilbaren Wirklichkeit verwechseln: Insbesondere eine idealistische und materialistische Sicht der Welt kann diese großartige Einheit nicht annähernd erfassen.

Die tiefgründigen Ausführungen Dōgens stehen damit im klaren Gegensatz zur Lehre alten indischen Lehre, die die Trennung von Körper und einer spekulativen und erfundenen „spirituellen Essenz“ behauptet. Das Gleiche gilt für buddhistische Strömungen im damaligen Süden von China, die zwar die Begriffe der buddhistischen Lehre verwenden, aber die authentische Lehre verwässern oder sogar in ihr Gegenteil verkehren.

Dōgen fasst zusammen, dass die Verwirklichung in der Praxis genau „Geist hier und jetzt ist Buddha“ ist:

„Die Verwirklichung in der Praxis wie diese ist genau ‚der Geist hier und jetzt des Buddha‘, die sich selbst erwirbt und sich überträgt auf ‚Geist hier und jetzt ist Buddha‘.“

Da diese große Wahrheit authentisch von einem Meister zum anderen übertragen worden ist, sei sie immer lebendig geblieben. Nishijima Roshi sagt dazu:

„Die buddhistische Lehre ist für uns nicht leicht zu verstehen, und sie wurde daher über 2.500 Jahre authentisch weitergegeben. Durch diese direkte Weitergabe von einem zum anderen wurden jeweils die vielfältigen möglichen Missverständnisse vermieden. Es ist daher unsere äußerst wichtige Pflicht, den wahren Buddhismus authentisch zu erhalten und für alle Zeiten die vielen möglichen Fehler zu vermeiden.“

Durch seine Formulierung im obigen Zitat will Dōgen den Eindruck vermeiden, dass ein solcher Geist so etwas wie ein Objekt ist, das wie ein Gegenstand von einem Menschen zum anderen weitergegeben wird. Es ist dagegen der natürliche Zustand des Menschen, der sich im Augenblick des Handelns verwirklicht und keine Trennung von Subjekt und Objekt duldet, sondern den Dualismus überwindet.

In dieser Formulierung wird ein Meister als Person nicht erwähnt, denn es geht um den umfassenden erwachten Köper-und-Geist, der unabhängig von der Individualität eines Menschen ist. Der Körper-und-Geist wird also nicht von einem individuellen Menschen wie eine Idee oder ein Gegenstand weitergereicht. Ein solches Übertragungsmodell wäre für den natürlichen, ganzheitlichen Zustand des Augenblicks völlig ungeeignet, denn es bliebe in der ersten Lebensphilosophie des Idealismus verhaftet. Und wenn der Geist wie ein quasi materielles Objekt betrachtet würde, wäre damit nur die Lebensphilosophie des Materialismus realisiert. Durch die romantisierende Trennung von Subjekt und Objekt, ist es demnach unmöglich, die Wirklichkeit selbst zu erfahren.


Samstag, 3. August 2013

Sind die Menschen von Natur aus schon Buddha?




Von zentraler Bedeutung auf dem Buddha-Weg ist der feste Wille zur Wahrheit. Eine bequeme, populistische Lehre, die eine Erleuchtung ohne Praxis vorgaukelt und vielleicht mit dem Ziel des eigenen Ruhmes und finanziellen Vorteils verbreitet wird, sei dafür völlig ungeeignet. Hier spielt Dōgen wohl auf die Lehre vom Brahmanen Senika an.

Nishijima Roshi verdeutlicht:
„Törichte Menschen denken, dass alle Menschen schon Buddha sind, und zwar auch diejenigen, die nicht im Gleichgewicht sind. Aber eine solche Interpretation ist vollständig falsch. In den (begrenzten) Philosophien, die nur auf dem Verstand beruhen, mag es diese Aussage geben, aber im buddhistischen Realismus geht es um die wahre Existenz des ganzen Menschen.“ Das sei mehr als nur logisches Denken und rhetorische Überzeugungs-Kraft

Dōgen sagt über die Ansicht der törichten Menschen:
„Dies ist die Folge davon, (dass ein solcher Mensch) niemals einem wahren Lehrer begegnet ist“, bei dem er den wahren Buddhismus hätte erlernen und erfahren können. Wer nur den unterscheidenden Verstand (linke Hälfte des Gehirns! ) und die Sinneswahrnehmungen als Geist definiert, habe das Wesentliche des Buddhismus nicht verstanden und schon gar nicht verwirklicht.

Nach der buddhistischen Lehre von Nishijima Roshi gibt es vier grundsätzliche Lebensphilosophien: Idealismus, Materialismus (Form), Handeln im Augenblick und das Erwachen. Denken und Wahrnehmung sind nur Teilwahrheiten des menschlichen Lebens, weil die dritte Dimension des Handelns und die vierte des Erwachens und Gleichgewichts fehlen. Bei aller Wertschätzung der westlichen Philosophie und ihrer großen denkerischen Leistungen sieht Nishijima darin eine wesentliche Ursache für die Verwirrungen des Westens, die letztlich auf die griechischen Philosophen zurückgehen.

Die Menschen würden zwischen den Weltanschauungen des Idealismus und Materialismus hin und her geworfen und könnten keine Ruhe und kein Gleichgewicht finden, denn der Mittlere Weg sei ihnen verschlossen. Gautama Buddhas Lehre geht jedoch über diese Kontroverse hinaus und eröffnet einen klaren Ausweg aus dem dadurch verursachten Leiden. Dies ist die buddhistische ganzheitliche Lehre und Praxis der Wirklichkeit und Verwirklichung, die Nishijima buddhistischen Realismus nennt. 

Sie schließt ausdrücklich intuitive Fähigkeiten mit ein, die im Übrigen trainierbar sind wie kaum eine andere Fähigkeit des Menschen. Mit ihrer Hilfe können wir aus den Wirren und Irrtümern des Lebens erwachen und die dadurch verursachten Probleme lösen oder zumindest deutlich abmindern. Wesentlich ist es allerdings, einen wahren Lehrer zu haben.

Nishijima Roshi erklärt:

„Das (obige) grundsätzliche Missverständnis (zum denkenden isolierten Geist) ist (auch) in China entstanden, weil es dort zu jener Zeit außerordentlich wenige wahre buddhistische Meister gab. Die Menschen haben deshalb zwangsläufig solche Fehler begangen.“

Mittwoch, 24. Juli 2013

Einheit des indischen- und des Zen-Buddhismus


Zweifellos geht es in dem Kapitel „Der Geist hier und jetzt ist Buddha“ um die Wirklichkeit des Geistes im gegenwärtigen Augenblick, die mit der Buddha-Natur identisch ist: Es geht um die Einheit von Körper-und-Geist.

Im alten Indien gab es beachtliche Strömungen, die sich als Naturalismus bezeichneten und behaupteten, dass man keine Anstrengungen, wie etwa die Meditation des Samādhi, auf sich nehmen müsse, um den Buddhismus und die Erleuchtung zu verwirklichen. Sie behaupteten ferner, dass jedes Handeln ganz natürlich sei und es daher überhaupt keiner Moral im Leben bedürfe. Auch die buddhistischen Gelöbnisse seien daher überflüssig. Nishijima Roshi betont, dass dieses Verständnis ein schwerwiegender Fehler ist, weil dann auch jedes kriminelle Handeln erlaubt wäre, da es „natürlich“ sei.

Es ist sicher nicht besonders schwierig, den Satz „Der Geist hier und jetzt ist Buddha“ auszusprechen oder zu zitieren und ihn theoretisch und intellektuell zu verstehen, aber dabei handelt es sich nur um dualistisches Denken. Gegenüber dem Verständnis eines vom Körper isolierten Geistes mag dies zwar ein gewisser philosophischer Fortschritt sein und der Wirklichkeit des Lebens und der Welt etwas näher kommen, aber Dōgen gibt sich damit nicht zufrieden. Nach seiner tiefen Erkenntnis, der ich folge, kann man ohne die Zazen-Praxis und ohne das konkrete Handeln im Augenblick nicht wirklich selbst erfahren, was dieser Satz tatsächlich bedeutet. Aber viele Menschen im Osten und im Westen glauben leider fest daran, dass es einen abgrenzbaren Geist gibt, der irgendwie in unserem Körper enthalten ist und sich vom Körper selbst unterscheidet. Dies kommt dem alten indischen Glauben an einen unveränderlichen Seelenkern, Atman, sehr nahe.

Durch die Betonung des Hier und Jetzt weist Dōgen aber auf die ganz konkrete Situation hin und macht klar, dass der Geist überhaupt nicht unabhängig vom Augenblick, von der Zeit und von diesem Ort ist. Damit führt uns der Zen-Buddhismus vom abstrakten theoretischen Denken und vielleicht liebgewordenen Glauben weg zum Hier und Jetzt des Handelns.

„Was jeder Buddha und jeder Vorfahre im Dharma bewahrt haben und worauf sie sich verlassen haben, ist genau und ohne Ausnahme: ‚Geist hier und jetzt ist Buddha‘.“

Mit diesem Satz beschreibt Dōgen die Grundlage aller Buddhas und aller großen Meister im Buddhismus, und er bezeichnet es als grundlegenden Irrtum, zu behaupten, dass diese Wahrheitsaussage im buddhistischen Indien nicht bekannt gewesen und gelehrt worden sei, sondern dass sie erst in China in der Zeit des Zen-Buddhismus herausgearbeitet und gelehrt wurde.

„Viele Schüler verstehen es jedoch falsch (und behaupten), dass ‚Geist hier und jetzt ist Buddha‘ in Indien (noch) nicht existiert habe, sondern zum ersten Mal in China gehört worden sei. Als Ergebnis erkennen sie ihren Irrtum nicht als (wirklichen) Irrtum. Weil sie den Irrtum nicht als Irrtum erkennen, fallen viele Menschen abwärts in den Nicht-Buddhismus.“

Wenn diese Aussage im alten Indien nicht bekannt gewesen wäre, würde das bedeuten, dass es im frühen indischen Buddhismus noch keine Klarheit über den menschlichen Geist gab, sondern eine idealistische und theoretische Vorstellung vorherrschte. Die Dimension des konkreten Hier und Jetzt wäre dann nicht einbezogen worden. Auch Nishijima Roshi zeigt auf, dass diese Ansicht falsch ist, denn damit würde behauptet, dass der Zen-Buddhismus mit dem frühen indischen Buddhismus nicht übereinstimmt und mit der Lehre von Gautama Buddha nicht identisch ist. Wer eine solche Meinung vertritt, ist nach Dōgens Überzeugung daher kein Buddhist:

„Wenn törichte Menschen den Satz ‚Geist hier und jetzt ist Buddha‘ hören, interpretieren sie ihn so, dass der (unterscheidende) Verstand und die Sinneswahrnehmung der gewöhnlichen Menschen, die niemals den Bodhi-Geist (der Wahrheit) erlangt haben, genau Buddha sind.“

Damit teilen sie das Schicksal der Menschen, die die Buddha-Lehre nicht verwirklichen können und deshalb keinen Ausweg in den Wirren des Lebens finden.


Donnerstag, 18. Juli 2013

Der Geist hier und jetzt ist Buddha (Soko shin ze butsu)



In diesem Kapitel des Shōbōgenzō grenzt Dōgen die buddhistische Lehre des Körper-und-Geistes von der altindischen Philosophie des Atman ab, die zur Zeit Gautama Buddhas beispielhaft von dem Brahmanen Senika vertreten wurde. Nach dem tiefen Lebens-Verständnis Buddhas führt der Glaube an die Ideologie eines Atman zu Leiden, Ausweglosigkeit und Entfremdung von der Kraft der Wirklichkeit.

Mehrere Streitgespräche zwischen Buddha und Senika stellen die wesentlichen Kernpunkte der damals neuen buddhistischen Befreiungs-Lehre treffend dar und zeigen die Unterschiede zum Glauben des Brahmanismus, der Ausweg aus dem Leiden: Die vier Edlen Wahrheiten und die Himmlischen Verweilungen wie liebevolle Zuwendung und Gleichmut.

Senika vertrat den Glauben, es gebe einen ewigen, unveränderlichen Seelenkern (Atman), der auch als abstrakter und recht nebuloser ewiger Geist des Menschen verstanden wurde. Dieser Geist sei vom jeweiligen Körper unabhängig und müsse durch die verschiedenen Wiedergeburten von einem Körper zum anderen gehen. Er müsse sein schlechten Karma abarbeiten und immer wieder in den leidvollen Kreislauf des Lebens zurückkehren. Dieser Atman werde erst nach fast endloser Wiedergeburten vom Zwang der Wiederkehr des Leidens in der Welt erlöst und geht dann in den Weltgeist „Brahman“ ein, dann verliert er seine Individualität und verschwindet.

Es ist klar, dass damit eine ziemlich pessimistische Weltsicht verbunden ist: Erst nach vielen leidvollen Wiedergeburten als Individuum löst sich der Mensch schließlich auf und verschwindet im Welt-Geist. Das menschliche individuelle Leben sei von Krankheit, Tod, Jammer, Gram und Verzweiflung geprägt, Handeln im Leben bringe uns überwiegend schlechtes Karma, das die Wiedergeburt verschlechtert, die außerdem an die Kaste im altern Indien gekoppelt ist.

So müsse der leidende Geist den alten, „abgetragenen“ Körper verlassen und einen neuen ebenfalls leidvollen zu suchen. Dafür wird das Gleichnis einer Schlange verwendet: Sie häutet sich und lässt die alte Haut zurück, die unbrauchbar geworden ist. Sie lebt dann in der neuen Haut weiter, aber kann den Kreislauf des leidvollen Lebens nicht verlassen.

Laut Senika hat diese von ihm behauptete Geist-Substanz bestimmte Fähigkeiten, sie könne nämlich zwischen Leid und Freude, Wärme und Kälte, Schmerz und Verwirrung unterscheiden. Sie sei absolut selbstständig, unveränderlich und auch nicht lernfähig. Ihre Aufgabe liegt darin, das schlechte Karma durch leidvolle Wiederkehr in der Welt abzuarbeiten und sich dann aufzulösen.

Dōgen lehnt diese brahmanische Lehre mit Nachdruck ab und erläutert das anhand des berühmten Satzes: „Geist hier und jetzt ist Buddha.“ Das heißt, der Zen-Geist existiert immer in der Einheit mit dem Körper und handelt genau im Hier und Jetzt. Dabei handelt er vor allem in der Einheit mit der Buddha-Natur, also der ursprünglichen befreiten Natur aller Menschen. Dabei geht es Dōgen nicht um Glauben, Wünsche und abstrakte Vorstellungen, sondern um die reale Wirklichkeit, ob wir sie nun mögen oder nicht.

Denn eine Flucht aus der Wirklichkeit in schöne Wunschträume oder böse Albträume sei vor allem eine wesentlich Ursache für das Leiden der Menschen. Dies betont im Übrigen nicht zuletzt der Psychologe Sigmund Freud: ohne Wirklichkeit keine Befreiung vom Leiden.

Der Geist ist nicht unabhängig von Ort und Zeit.
Im japanischen Titel dieses Kapitels, Soko shin ze butsu, bedeutet soku „hier und jetzt“, und shin heißt „Geist“; ze kann man übersetzen mit „ist“ und butsu mit „Buddha“. Dieser Satz und seine Bedeutung waren im alten China sehr berühmt, aber Dōgen erklärt, dass sich leider immer wieder erstaunliche Fehlinterpretationen eingeschlichen haben, die er in diesem Kapitel fundiert widerlegt. Dabei arbeitet er gleichzeitig die wahre Bedeutung heraus.

Nishijima Roshi warnt davor, diesen Satz nur oberflächlich und rein körperlich im Sinne des Materialismus zu verstehen. Denn dann würde es sich um den sogenannten „Naturalismus“ handeln, der vom Buddhismus klar abgegrenzt werden müsse. Buddha bedeutet in Nishijimas Interpretation nichts anderes als die Wahrheit, die sich nur im gegenwärtigen Augenblick offenbart. Im Augenblick der Wahrheit ist es völlig ausgeschlossen, dass Körper-und-Geist getrennt sind.

Das heißt im Klartext, dass der Geist im Zustand der Erleuchtung und Klarheit niemals isoliert sein kann, oder anders ausgedrückt: Wenn er abgetrennt ist, kann dies nicht der Zustand der Erleuchtung, also der Wahrheit, beziehungsweise der Zustand von Buddha sein!

Wer an einen getrennten Geist glaubt, dem ist der Weg zur Erleuchtung versperrt. Ein getrennter Geist existiert niemals in der Wirklichkeit des Handelns im Augenblick, sondern er gehört in den Bereich der Ideen und der Ideologien, ist deshalb in der Wirklichkeit nicht erfahrbar. Eine solche Illusion muss nach Gautama Buddha letztlich zum Leiden führen, da sie nicht stabil und tragfähig ist: Ideen sind nicht die Wirklichkeit, sondern Tätigkeiten unseres Gehirns. Idealisten haben meist nicht die Kraft, diesen Schritt zur Wirklichkeit zu vollziehen. Sie verbleiben in wirklichkeitsfremden Träumen, und wir müssen froh sein, wenn sie nicht zu Ideologen und Fanatikern werden, die anderen und sich selbst großes Leid zufügen.