Montag, 14. Januar 2008

Wie schützt man sich vor Hitze und Kälte in den Jahreszeiten?

Dieses Kapitel 66 des Shôbôgenzô behandelt den Buddha-Weg bei extremen Witterungszuständen von bitterer Kälte im Winter und feuchter Hitze im Sommer.

Heng Shan Kloster in China



Es ist nahe liegend, dass man dann nur schwer einen ruhigen und ausgeglichenen Körper und Geist behalten kann und in Gefahr ist zu klagen und sich außerdem dauernd nach angenehmeren Zuständen z. B. im Frühling und Herbst sehnt. Aber dann lebt man nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern in erträumten Illusionen. Was rät uns Dôgen in solchen Situationen?
Dieses Kapitel heißt wörtlich Shunjû, und die genaue Übersetzung ist "Herbst und Frühling". Dieser Begriff wurde jedoch im alten China und Japan ganz allgemein für die verschiedenen Zeiten und Perioden verwendet, die das ganze Jahr umfassen. In den damaligen Klöstern gab es bei starker Kälte kaum Möglichkeiten zu heizen und in den heißen, feuchten Sommern nur wenige Maßnahmen zur Kühlung.

Wir können daher sicher annehmen, dass die Mönche und Nonnen unter den Schwankungen der Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit sehr gelitten haben und dass es auf dem Buddha-Weg wichtig war, sich von diesen oft schweren Bedingungen der Umgebung nicht niederdrücken zu lassen und in Negativität abzugleiten. Für den Buddha-Dharma und das Gleichgewicht war es daher wichtig und notwendig, eine Unabhängigkeit des Geistes und Körpers von diesen äußeren Bedingungen zu erlangen oder besser gesagt, sich ihnen anzupassen, ohne unnötig darunter zu leiden, wenn eine Änderung überhaupt nicht möglich war. Es ging auch keinesfalls darum, sich vermeidbarer Askese bei Hitze und Kälte auszusetzen, indem man zum Beispiel die äußeren Bedingungen in der irrigen Annahme unnötig verschärfte, dass die Suche nach der Wahrheit dadurch verbessert und erleichtert würde. Bekanntlich hatte schon Gautama Buddha erkannt, dass die Askese als Weg zum Erwachen und zur inneren Freiheit eine böse Sackgasse war, da Körper und Geist unauflösbar eine Einheit bilden und die schlechte Behandlung des Körpers damit sofort den Geist beeinträchtigt.
Dôgen beginnt dieses Kapitel mit dem bekannten Koan-Gespräch, in dem ein Mönch den großen Meister Tozan fragt:

"Wie vermeidet man Kälte und Hitze, wenn sie kommen?"
Der Meister gab ihm daraufhin den Rat:

"Warum gehst du nicht zu dem Ort, an dem es keine Kälte und Hitze gibt?"
Der Mönch wollte dies noch genauer wissen und fragte weiter:

"Was ist das für ein Ort ohne Kälte und Hitze?" Der Meister sagte in der typischen Weise eines Koan:
"Wenn es kalt ist, töte dich mit der Kälte und wenn es heiß ist, töte dich mit der Hitze."


Das klingt zumindest recht eigenartig, denn wie soll man sich mit der Hitze und Kälte selbst töten? Dôgen unterstreicht in seiner Erläuterung zunächst die Wichtigkeit und tiefe Aussagekraft dieses Koan-Gesprächs und betont, dass es für die Erlangung der Wahrheit von großer Bedeutung ist. Er bittet uns dann, sich ganz genau in den wirklichen Augenblick zu versetzen, in dem die Kälte und Hitze kommt, also dieses Thema nicht abstrakt zu behandeln, sondern ganz konkret im Hier und Jetzt zu klären, was es damit auf sich hat. Je in dem Augenblick der Hitze und der Kälte sollen wir uns von abstrakten Zwangs-Gedanken und überstarken Emotionen befreien, also unseren Geist und unsere Wahrnehmung für die Wirklichkeit öffnen. Vor allem sollen wir unsere Bewertungen auflösen, die den Großteil unseres Leidens erzeugen. Wenn wir ein solches Gleichgewicht auch bei extremen Witterungen erlangen, haben wir nämlich schon den Ort erreicht, in dem es keine Kälte und Hitze im üblichen Sinne gibt. Die Abhängigkeit des Ich von solchen Zuständen ist dadurch "getötet" und die Unannehmlichkeiten sind so weit wie möglich reduziert. Eine solche Wirklichkeit müssen wir schlicht aushalten, ohne sie mental und emotional zu vergrößern.
Dadurch ergibt sich eine Harmonie der Umwelt mit uns selbst und eine gegenseitige gute Wechselwirkung, bei der wir selbst von der Umwelt nicht isoliert sind und damit auch nicht unnötig leiden müssen.

Wie mir Nishijima Roshi zu diesem Kapitel erläuterte, geht es hier hauptsächlich um die Wechselwirkung und den Zusammenhang zwischen Umwelt und Menschen und wie wir uns in die Gegebenheiten einfügen, die uns als Tatsachen begegnen und uns dabei nicht verbiegen. Es hat zum Beispiel keinen Sinn, sich im kalten Winter in die gemäßigte Jahreszeit des Frühlings hinein zu träumen und die Wirklichkeit des Augenblicks damit zu verdrängen, weil dies dazu führt, dass man unter der Kälte nur um so mehr leidet. Die Wirklichkeit schlägt dann um so mehr zu. So ist das Einfügen in die Umwelt auch die Harmonie mit dem Ablauf des Jahres und der Jahreszeiten, die in China und in Japan in der Tat besonders im Frühling und Herbst sehr angenehm sind. Aber es gibt auch die Wirklichkeit des kalten Winters und heißen Sommers. Dôgen sagt hierzu:

"Die Aussage, dass der Mönch sich mit der Kälte töten soll, wenn es kalt ist, und er sich mit der Hitze töten soll, wenn es heiß ist, beschreibt die Wirklichkeit genau in dem Augenblick, wenn die Kälte und die Hitze konkret da sind."

Es sei daher gar nicht sinnvoll, sich den Kopf damit schwer zu machen, dass man unbedingt die Kälte und die Hitze vermeiden will, und er sagt:

"Deshalb ist die Kälte nichts anderes als das kraftvolle Auge unserer Vorfahren und die Hitze nichts anderes als die heiße Haut und das heiße Fleisch meines früheren Meisters (Tendo Nyojo)".

Im Zusammenhang mit dem obigen Gespräch und zur vertieften Erläuterung wird ein anderer alter Meister wie folgt zitiert:

„Ein Eisvogel nistet in einem mit Juwelen geschmückten Turm, aber ein goldener Palast bietet für die Braut-Ente keinen Schutz.“

Was bedeutet dieses eigenartige Koan? Nach Nishijima Roshi wird dabei die Natürlichkeit und Harmonie von Umgebung und Lebewesen angesprochen. Ein Vogel kann sehr wohl in einem Turm nisten und es spielt dabei keine große Rolle, ob dieser mit Juwelen geschmückt ist oder nicht. Er fliegt in seiner ihm eigenen Lebensweise den Turm an, um dort zu brüten, und fischt in den Seen und Flüssen der Umgebung, und dies ist sein natürliches Leben. Demgegenüber lebt die Ente im Wasser und sie findet wirklich keine natürliche Lebensumgebung in einem Palast, auch wenn dieser noch so luxuriös mit Gold ausgestattet ist. Eine solche goldene Umgebung wäre für die Ente in der Tat sehr unnatürlich. Die Vielfalt der Lebewesen entspricht in der Natur damit ihren jeweiligen Lebensbedingungen, ist also in Harmonie mit der Umgebung und Umwelt. Ein goldener Palast macht also für die Enten keinen Sinn und sie können dort auch nicht „vernünftig“ nisten.

Der große Meister Tozan hatte darüber hinaus eine interessante Lehre und verkürzte Ausdrucksweise für unsere Welt und das Leben eingeführt und sprach dabei von dem „Relativen und Absoluten“. Dies kann man als die materielle Vielfalt der Dinge und Phänomene in der Welt einerseits und die absolute, spirituelle Einheit der Welt als Idee andererseits ansehen. Er lehrte, dass diese Extreme auf dem Buddhaweg zur Mitte gehen müssen und dass dadurch das Gleichgewicht und die Harmonie entstehen. Dôgen bedauert, dass diese Lehre oft viel zu oberflächlich verstanden wird. Es sei zum Beispiel im obigen Koan-Gespräch unsinnig zu sagen, dass Meister Tozan das Absolute und der Mönch das Relative anspricht. Dies sei aber eine häufige, jedoch gründlich falsche Interpretation des Koans.
Es wird dann ein weiterer Beitrag eines großen Meisters zu diesem Koan-Gespräch vorgestellt, der wie folgt lautet:

"Genau betrachtet gibt es an diesem Ort hier keine Hitze und keine Kälte.
Der tiefe blaue Ozean ist bis zum letzten Tropfen ausgetrocknet.
Ich sage euch, dass ihr eine Riesen-Schildkröte (leicht) dadurch ergreifen könnt, dass ihr euch nur ein wenig hinunterbeugt.
Ihr macht euch lächerlich, wenn ihr im Sand angeln wollt."

Mit diesem Koan soll zunächst darauf hingewiesen werden, dass sich die Umgebung sehr schnell ändern kann, dass sich z. B. der Ozean in eine Wüste verwandelt, wenn sich das Klima drastisch ändert. Es sei auch leicht, eine Riesen-Schildkröte zu fangen, denn dies bedarf keines großen Aufwandes und daraus kann man ein wunderbares Essen zubereiten, das im alten China und Japan besonders begehrt war. Damals waren die Riesen-Schildkröten übrigens noch nicht vom Aussterben bedroht. Wenn man jedoch entgegen der natürlichen Umgebung handelt, macht man sich lächerlich, weil man z. B. im Sand neben dem Wasser keine Fische angeln kann.
Auch dieses Koan beschreibt demnach die natürliche und harmonische und auch sinnvolle Beziehung zwischen den Bedingungen der Umgebung und dem handelnden Menschen. Dadurch verlieren auch Hitze und Kälte ihre Schrecken und werden Teil eines natürlichen Tagesablaufes.
In diesem Zusammenhang bringt Dôgen das Gleichnis des chinesischen Go-Spiels, das ähnlich wie unser Schachspiel nach festgelegten Regeln von zwei Personen an einem Brett mit bestimmten Steinen gespielt wird, sodass jeweils einer der Partner einen Zug macht und der andere darauf mit seinem eigenen Zug antwortet. Dôgen zitiert einen alten Meister:
Ein Spieler sagt beim Go-Spiel (zu seinem Gegenüber):

„Wenn du meinen Zug nicht beantwortest, wirst du verlieren, weil ich deine Dummheit nutzen werde."

Das Go-Spiel wird häufig als Gleichnis für das wechselnde Handeln im sozialen Zusammenhang von mehreren Menschen verwendet, sei es, dass man gegeneinander spielt oder sei es, dass man zusammenarbeitet. Wie im natürlichen Alltag läuft das Leben Zug um Zug zusammen mit der Umgebung ab, und dies vor allem im sozialen Handeln mit anderen Menschen. Wenn man sich nicht den Regeln und Pflichten dieses alltäglichen Lebens stellt und sie einhält, hat man das Nachsehen oder scheitert gänzlich. Es hat beim Go-Spiel auch keinen Sinn, dass man die Rollen vertauscht, weil die Spielregeln für beide gelten und sich jeweils entsprechen. Man kann insofern nicht Ich und Du vertauschen.
Häufig wird auch das Gleichnis einer Perle verwendet:

"Eine Perle rollt in der Schale und die Schale rollt um die Perle.
Das Absolute im Relativen und das Relative im Absoluten.
Es gibt bei einer Antilope mit großen Hörnern keine Fährte.
Der Jagdhund umrundet (dann) vergeblich schleichend den Wald."

Im ersten Teil werden die verschiedenen Sichtweisen bei einer Perle und einer Schale dargestellt, weil beide zueinander in einer unauflösbaren Beziehung sind, wechselseitig also notwendig sind. Beide Sichtweisen sind daher möglich. Auch das Absolute und Relative haben eine Beziehung miteinander und sollten sich auf dem Buddhaweg von den Extremen zur Mitte bewegen. Nach Nishijima Roshi kann sich weiterhin eine Antilope mit ihren großen Hörnern im Wald an einem Baum hochziehen, sodass sie keine Spur und keine Fährte hinterlässt, der Jagdhund sie deshalb überhaupt nicht finden kann. Er muss dann vergeblich herumschleichen und kann sie nicht aufspüren, um sie zu stellen. Auch in diesem Koan-Gespräch werden verschiedene auf einander bezogene wirkliche und natürliche Situationen geschildert, und es wird dabei vor extremen Ansichten und Lebensformen gewarnt.
Es wird dann ein weiteres Koan in Gedichtform wieder gegeben:

"Eine helfende Hand (des Meisters) ist wie eine Felswand, die zehntausend Fuß hoch ist.
Wie könnten das Absolute und Relative immer gut geordnet sein?
Ein schöner alter Palast aus Lapislazuli beleuchtet den klaren Mond.
Ein scharfer Wachhund trottet etwas niedergeschlagen die Stufen hinauf."

Auch in diesem Koan wird auf die Lehre von Meister Tozan über das Absolute und Relative eingegangen und beide Extreme werden als nicht sinnvoll abgelehnt. Die helfende Hand eines Meisters kann durchaus so gefährlich wie eine hohe Felswand werden, von der man abstürzen kann und dabei sein Leben verliert. Es gibt darüber hinaus manche falsche selbsternannte Meister, die ihren eigenen Irrtum oft nicht einmal selbst erkennen. Schließlich ist ein scharfer Wachhund völlig überflüssig, wenn sich im Haus oder in einem Palast alles in der Harmonie der Mitte befindet und auch die Umgebung friedlich ist. Der klare Mond des Gleichgewichts beleuchtet den friedlichen Palast. Dann verliert ein scharfer Wachhund seine Bedeutung und trottet etwas überflüssig und hilflos die Stufen einer Treppe des Palastes hinauf. Er wird dann überhaupt nicht benötigt.
Am Ende des Kapitels zitiert Dôgen ein weiteres Koan-Gespräch eines anderen Meisters:

"Tozan sprach vom Ort ohne Kälte und ohne Hitze.
Ein paar Zen-Menschen haben sich dort verirrt.
Wenn es kalt ist, setze ich mich vor ein Feuer und wenn es heiß ist, wende ich Hilfsmittel an, damit es kühl bleibt.
Mein ganzes Leben lang konnte ich Hitze und Kälte vermeiden und ihnen entkommen."

Dôgen kritisiert diese Aussage des von ihm nicht so sehr geschätzten Meisters, weil die Aussagen sich auf einem sehr abstrakten und allgemeinen Niveau bewegen. Es geht dabei nicht nur um Bequemlichkeit. Diesem Meister ist es offensichtlich nicht gelungen, zum konkreten Hier und Jetzt bei der Frage der Hitze und der Kälte vorzustoßen, sondern er verliert sich in allgemeinen Aussagen, die im konkreten Einzelfall sicher so gar nicht zutreffen. Dôgen sagt hierzu:
"Seine Worte sind wie die eines Kindes."

Lediglich die Worte: "Mein ganzes Leben lang…" könnten nach Dôgen darauf hindeuten, dass es sich hier darum handelt, dass er sein Leben als etwas Ganzes gelebt hat und dabei in Harmonie war. Vielleicht hat er doch "Körper und Geist (beim Zazen) fallen gelassen" und ist dadurch der unnötigen Belastung durch Hitze und Kälte entkommen. Dann hätte er nämlich in der Harmonie mit seiner Umgebung und den Jahreszeiten gelebt und sich nicht über Hitze und Kälte oder sonst irgend etwas unnötig aufgeregt.