Sonntag, 9. März 2008

Die strahlende Klarheit im Buddhismus

Die japanische Bezeichnung dieses Kapitels lautet Komyo (Kap. 36), wobei Ko strahlend und hell bedeutet und myo die Klarheit ist. Im Buddhismus wird eine strahlende Klarheit der ganzen Welt und des Universums gelehrt, an der die Menschen teilnehmen können, wenn sie nach der Lehre von Gautama Buddha erwacht sind.

Im Kloster Tokein


Dann leben sie in der leuchtenden Wirklichkeit des Hier und Jetzt. Sie verlieren sich nicht in idealistische Träumereien, dass diese Welt ein Paradies oder das Nirwana sein sollte. Materiell orientierte Menschen haben kein Verständnis für religiöse oder idealistische Ziele, sondern erhoffen sich von materiellen Gütern und Reichtum das Glück auf dieser Erde, weil dies das einzig Reale sei. In der buddhistischen Lehre werden zu diesen beiden Lebensdimensionen, die zwar nicht immer falsch, aber einseitig sind, zwei wesentliche Bereiche hinzugefügt: das erfüllte Handeln im Augenblick und das Erwachen oder die Erleuchtung.

Meister Dôgen erklärt in diesem Kapitel, dass das ganze Universum klar und strahlend ist und dass wir durch den Buddha-Dharma und die Übungspraxis daran teilnehmen können, also nicht durch idealistische oder materialistische Anhaftungen isoliert sind. Durch die Lehre des reinen Handelns und des Gleichgewichts im Hier und Jetzt können wir uns also für die strahlende Klarheit öffnen, und unser Körper und Geist erfährt unerwartete Stärkung durch Energien, die wir uns vorher nicht ausdenken konnten und die sich jäh ereignen.
Dôgen zitiert dazu einen großen Meister:

"Das ganze Universum der zehn Richtungen ist die strahlende Klarheit des Selbst.In der strahlenden Klarheit dieses Selbst existiert das ganze Universum der zehn Richtungen. Im ganzen Universum der zehn Richtungen gibt es keinen einzigen Menschen, der nicht dieses Selbst ist."

Nach der alten indischen Lehre hatten das Universum und die Welt zehn Himmelsrichtungen, die hier mit dem Selbst in strahlender Klarheit gleichgesetzt werden. Dieses Selbst ist nicht das abgegrenzte Ich des Egoismus, sondern hat die Trennung von Subjekt und Objekt überwunden und sich sozusagen zum ganzen Universum hin geöffnet. Bei dieser Öffnung entsteht nach dem obigen Zitat die strahlende Klarheit. Dieses so verstandene Selbst ist in allen Menschen ausnahmslos vorhanden und wirksam.
Es sei erforderlich, diese Buddha-Wahrheit in der Praxis und mit Ausdauer zu erlernen. Wenn man nicht mit Ernsthaftigkeit handelt, entfernt man sich immer mehr von dieser Wahrheit. Dôgen sagt hierzu:

"Es gab nur wenige alte Meister, welche die strahlende Klarheit auf der Grundlage solcher Anstrengungen erforscht und verwirklicht haben."

Der Buddhismus wurde im ersten und zweiten Jahrhundert nach China gebracht. Dort gab es allerdings einige Auseinandersetzungen mit dem bis dahin vorherrschenden Daoismus. Als Meister Bodhidharma dann als authentischer Dharma-Nachfolger in der direkten Nachfolgelinie von Gautama Buddha nach China kam und den Dharma an seinen eigenen Schüler Taiso Eka weitergab, war dies nach Dôgen ein

"historisches Ereignis der strahlenden Klarheit der Buddhas und Vorfahren im Dharma. Davor hatten die Menschen (in China) die Klarheit der Buddhas und Patriarchen weder gesehen noch davon gehört. Wie hätten sie ihre eigene strahlende Klarheit erkennen können?"

Mit Bodhidharma kam die Praxis eines authentischen Nachfolgers nach China, während vorher nur eine theoretische Lehre vorherrschte, der nach Dôgen die Einheit von Theorie und Praxis fehlte. Die strahlende Klarheit des Buddhismus ist genau diese Verschmelzung von theoretischer Lehre und Praxis des Zazen und Handelns im Alltag. Die strahlende Klarheit ist also keine schöne Vorstellung, kein Wunschdenken, keine Flucht aus der Wirklichkeit und man soll sie sich auch nicht konkretistisch als rotes, weißes, blaues oder goldenes Licht vorstellen. Die Klarheit des Feuers oder des Wassers oder der Glanz einer Perle und das Glitzern eines Diamanten bleiben auf der Ebene der Wahrnehmung hängen und können die umfassende strahlende Klarheit des Buddha-Dharma nicht vollständig beschreiben. Es sei erstaunlich, dass sich manche Menschen diese Klarheit sogar als ein Glühwürmchen vorstellen.
Dôgen sagt dann, dass die Buddhas und Vorfahren im Dharma diese Klarheit praktizieren und erfahren und genau dabei "werden sie Buddha, sitzen als Buddha und erfahren Buddha." Wir sehen, dass Dôgen auch hier die Einheit von strahlender Klarheit und buddhistischer Praxis sowie des Handelns in den Mittelpunkt stellt, das heißt, ohne ein solches Handeln, kann man die strahlende Klarheit nicht erfahren.

Dôgen geht dann auf das Lotus-Sutra ein, in dem es heißt, dass die achtzehntausend Buddhaländer des Ostens von der die strahlende Klarheit erhellt werden. Die Zahl achtzehntausend solle man sich aber nicht abstrakt und losgelöst von der Wirklichkeit vorstellen. Den Osten, wo bekanntlich die Sonne und das Licht aufgehen, darf man sich darüber hinaus nicht nur materiell denken und nicht auf die Wahrnehmung der Sinne beschränken. Denn der hier gemeinte Osten ist überall, wo der Buddha-Dharma lebendig ist, und er existiert nicht zuletzt in uns selbst oder wie Dôgen sagt, "im Inneren des Auges."

Es wird dann eine berühmte Geschichte eines chinesischen Kaisers der Tang-Dynastie berichtet, der Reliquien von Gautama Buddha in seinen Palast gebracht hatte. Es wird erzählt, dass diese Reliquien in der Dunkelheit der Nacht Licht ausstrahlten und die Untergebenen und Karrieristen bei Hofe zu großen Lobeshymnen und Gedichten veranlassten, dass diese strahlende Klarheit des Gautama die grenzenlose Tugend des Kaisers bestätigt. Es gab jedoch einen klar denkenden Dichter und Buddhisten, der sich diesen Schmeicheleien und diesem Wunderglauben nicht anschließen wollte, weil er mit großer Ernsthaftigkeit den Buddha-Dharma studiert und praktiziert hatte. Er wurde vom Kaiser, der deswegen deutlich irritiert war, angesprochen, warum er die strahlende Klarheit der Reliquien nicht mit der weit gerühmten Fähigkeit seiner Dichter-Worte besingen würde. Dieser sagte:

"Buddhas strahlende Klarheit ist nicht blau, gelb, rot oder weiß. Dies hier ist nur das Licht, das irgendein Drachengott bewahrt."

Der Kaiser war über diese Aussage verständlicherweise wenig erfreut und fragte bohrend und drohend:

"Was ist Buddhas Klarheit?"

Der Dichter erkannte schlagartig, dass der Kaiser unfähig war, zu "verstehen", was diese große Klarheit sei und antwortete daher überhaupt nicht. Dies wurde ihm als Aufsässigkeit und Unverschämtheit ausgelegt, sodass er vom Hofe verbannt wurde und seine Karriere damit dort beendet war.
Dôgen lobt die Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit dieses Menschen, weil er die Unzulänglichkeit von Worten erkannt hatte, die bewirkt, dass man die strahlende Klarheit nicht jemandem erklären kann, der an Wundergeschichten und Schmeicheleien glaubt. Wir können annehmen, dass die Reliquien in der Nacht phosphorisiert geleuchtet haben, dass dies also einfach und natürlich physikalisch erklärt werden kann. Das Leuchten der Knochen durch den Phosphorglanz kann man keineswegs mit der von Dôgen beschriebenen strahlenden Klarheit gleichsetzen. Diese könne man nur erfahren und erforschen, wenn man ohne Vorurteile und ohne Eigeninteressen dabei ist. Dies bleibt auch so, wenn man wunderbar reden kann und die Sutra des Buddhismus auslegt, als wenn "Blumen vom Himmel regnen." Dôgen sagt hierzu:


"Die wirkliche strahlende Klarheit ist das selbe wie die wahren Dinge (dieser Welt), also die Wurzeln, Stämme, Zweige, Blätter, Blumen, Früchte und deren Licht und deren Farbe."

Dôgen fordert uns auf, dass wir die Aussagen der großen Meister in allen Einzelheiten erfahren und untersuchen sollen und sie in der Wirklichkeit praktizieren. Nur dann ist die strahlende Klarheit wie im obigen Zitat das Selbst, das über das Gewöhnliche und Heilige hinausgeht.
Wenn man die Übungs-Praxis nur als lästiges Hilfsmittel zur Erlangung der wunderbaren Erleuchtung ansieht, trübt man diese strahlende Klarheit. Dieses Thema wird bei Dôgen auch in den Kapiteln über die Zazenpraxis eingehend behandelt und hatte für ihn eine ganz große Bedeutung. Nur zu praktizieren, um für sich selbst die große Erleuchtung zu erlangen, sei dem wahren Buddhismus fremd und moralisch unrein. Das wahre Selbst ist identisch mit dem ganzen Universum, sodass man auch nicht an irgendeinen anderen Ort fliehen kann, an dem es nach dem eigenen Wunschdenken viel schöner und paradiesischer ist als hier.
Dôgen zitiert dann den großen Meister Unmon, der Nachfolger von Meister Seppô war, mit den folgenden Worten:

"Jeder Mensch existiert vollständig mit der strahlenden Klarheit. Wenn er sie sucht, ist sie unsichtbar in der tiefsten Dunkelheit. Was ist diese strahlende Klarheit, die in allen Menschen existiert?"

Da die vor ihm versammelten Mönche nichts antworteten und wohl auch nicht antworten konnten, sagte er selbst:
"Die Mönchshalle, die Buddhahalle, die Küche und die drei Tore."

Dôgen
lobt diese Aussage des Meisters sehr, denn sie sei identisch mit dem wahren Buddha-Dharma, sei keine Spekulation, sondern die Wirklichkeit selbst.
Am Ende des Kapitels beschreibt Dôgen die zitierten Zusammenhänge aus der Sicht der vierten erwachten Lebensphilosophie und stellt mehrere Fragen, die kaum einfach zu beantworten sind. Dabei verwendet er die Dimension der Vorstellung und des Denkens, die wir als Idealismus bezeichnen und die Dimension der Formen und Wahrnehmung, die wir Materialismus nennen. Wichtig ist darüber hinaus das Handeln und die Aufhebung der Trennung von Subjekt und Objekt, zum Beispiel, dass der Meister eine Einheit mit seinen Mönchen bildet.
Schließlich zitiert er den großen Meister Seppô, der zu seinen versammelten Mönchen sagt:

"Vor der Mönchshalle bin ich euch begegnet."

Man muss wissen, dass die Zazen-Halle bei den alten chinesischen Klöstern vor der Mönchshalle liegt, die für die Lehre vorgesehen war. Seppô sagt also, dass er bei der Zazen-Praxis allen Mönchen begegnet ist. Dies ist keine allgemeine abstrakte Aussage, sondern die Wirklichkeit des Augenblicks genau an dem Ort. Es sei jedoch nicht nur auf das Klostergelände selbst und die Zazen-Halle bezogen, sondern umfasst auch die weitere Umgebung, deren Schönheit damals im ganzen Land gerühmt wurde. Dazu gehört die Begegnung im schönen Busho-Pavillon und auf dem sanft geschwungenen Useki-Gipfel.

Aber es habe wenig Sinn, darüber mit vielen Worten zu spekulieren, und so beschreibt Dôgen, dass die Gesprächsteilnehmer umgehend ohne das Thema weiter zu vertiefen, ihrer täglichen Aufgabe nachgehen, der eine ist Meister und geht in seine Räume, und der andere geht in die Zazen-Halle, um zu praktizieren. Und nach Dôgen ist genau dies die strahlende Klarheit, nicht mehr und nicht weniger.