Donnerstag, 1. Januar 2009

Das Gleichnis der vier Pferde (Teil 2)


Dôgen zitiert Gautama Buddha aus einem ins Chinesische übersetzten Sutra (Âgama) und vergleicht die vier Pferde des Gleichnisses mit folgenden Situationen:

Jemand erlernt bereits den Buddha-Dharma durch die klare Aussage, dass sich alles verändert und alles vergänglich ist, auch wenn er dies in einer fremden Gruppe hört (erstes Pferd). Er wird dadurch bereits so bewegt und erfasst, dass er die üblichen platten Aussagen und Gespräche im sozialen Leben nicht mehr wichtig nimmt und sogar eine gewisse Abneigung dagegen entwickelt.
Das zweite Pferd wird damit verglichen, dass wir diese Wahrheiten in der eigenen Gruppe, zum Beispiel in der Familie, hören, wo wir offener und direkter reden, und dies die gleiche Wirkung auf unser eigenes Leben hat.

Das dritte Pferd wird damit verglichen, dass wir die Wahrheit des dauernden Wandels unmittelbar von unseren eigenen Eltern hören.

Das vierte Pferd wird schließlich damit verglichen, dass wir eine schwere körperliche Krankheit und große Qual erleiden müssen und erst dadurch unmissverständlich lernen, dass wir der Krankheit, dem Alter und Tod unterworfen sind. Dann wird uns ganz klar, dass wir unser Leben nicht verschwenden dürfen.

Dôgen schätzte dieses Gleichnis sehr und sagt, dass es von guten Lehrern verwendet wird, um den Schülern nachhaltig zu helfen und sie auf den richtigen Weg zu führen. Wer "gute Wurzeln" in seinem Leben hat, der wird diese Lehren schnell verstehen, sie selbst gründlich erfahren und zügig in sein eigenes Handeln umsetzen.

Wer vom Buddhismus weit entfernt ist, kann den Sinn dieses Gleichnisses nicht unmittelbar aufnehmen, und die darin enthaltene heilende Wahrheit kommt ihm leider zunächst nicht zugute. Die Wirkung der Dharma-Rede auf die Menschen kann wie in diesem Gleichnis sehr unterschiedlich sein: Einige geraten in Angst, andere erleben Freude, wieder andere spüren dadurch eine starke Abneigung gegen inhaltsloses soziales Gerede und lösen sich davon ab. Manche können ihre Zweifel an der Wirklichkeit damit nachhaltig abschneiden.

Dôgen gibt weitere Beispiele zu diesem Gleichnis der vier Pferde und lobt dessen pädagogische Kraft für die Schüler, sodass diese den Lehren Gautama Buddhas folgen. Manche können diese Lehre schon aufnehmen, wenn nur das Leben selbst angesprochen wird, und manche, wenn das unvermeidliche eigene Altern erwähnt wird. Für einige muss der klare Hinweis auf die Krankheit und sogar auf den Tod hinzukommen, damit sie sich von der Oberflächlichkeit des gewöhnlichen Lebens abwenden und auf den Buddhaweg begeben. Dôgen wiederholt noch einmal das Wesentliche und sagt:

"Denkt daran, die Methoden eines Trainers der Pferde lassen sich allgemein in vier Arten (einteilen): das Haar zu berühren, die Haut zu berühren, das Fleisch zu berühren und den Knochen zu berühren."

Aber man muss nicht immer eine Peitsche für das Training der Pferde verwenden, sondern es gibt viele verschiedene Methoden für deren Lernprozess. Dôgen zählt dann verschiedene Arten von Pferden auf, die in alten chinesischen Legenden erwähnt werden. Z. B. das sog. „Drachenpferd“, das acht Fuß groß ist, oder das "Tausend-Meilen-Pferd", das nach der Legende im westlichen angrenzenden Land von China (Usbekistan) lebt. Ein solches Pferd soll die ersten fünfhundert Meilen ohne Schwierigkeit im schnellen Galopp laufen können und dann Blut schwitzen. Danach soll es aber frisch und ausgeruht sein und weitere fünfhundert Meilen laufen können. Dôgen bittet uns, dass wir das Gleichnis der Peitsche ganz genau untersuchen sollen:

Wann ist es erforderlich, nur die Haare des Fells zu berühren, und wann muss stärker eingewirkt werden, damit nach dem Gleichnis das Fleisch oder die Knochen getroffen werden? Ein wahres intuitives Verständnis zwischen den Menschen und vor allem zwischen Lehrer und Schüler setzt daher immer bei einer äußerlich leichten Berührung an, sodass man die Geste sieht und versteht. Wir möchten hinzu fügen: Wann kann man von einem Pferd sagen, dass es gut oder schlecht ist.

Am Ende dieses Kapitels beleuchtet Dôgen die große Bedeutung der Steuerung der Menschen durch Gautama Buddha und seine umfassende und praxistaugliche Lehre. Deren authentische Übertragung von den großen Nachfolgern im Dharma eröffnet für uns die Möglichkeit, lebendig und in der Praxis den Buddha-Weg zu erlernen und im Sinne des Buddhismus zu erwachen. Dabei geht es immer um das Leben im Augenblick selbst, auch wenn Altern, Krankheit und Tod auf uns zukommen. Denn der Buddhismus lehrt gerade unser Lebensglück und droht nicht mit pessimistischen und negativen Aussagen zu Krankheit, Alter und Tod.

Dôgen äußert sich in einem Kapitel zu den drängenden Problemen des Lebens und des Todes ganz klar, und sagt, dass durch die Wirklichkeit des Lebens im Augenblick unsere Sorgen und Ängste über den Tod überwunden werden. Das Leben und der Tod sind eine einfache Tatsache im Augenblick. Den Tod könne man sich eventuell gedanklich vorstellen, aber damit kann man die Wirklichkeit nicht erfassen.

Dôgen sagt, dass für die Lehre vom Leben, Altern, Krankheit und Tod folgendes gilt:

"Dies geschieht nicht, um die Lebewesen dazu zu bringe, dass sie sich vom Leben, Altern, Krankheit und Tod entfernen" sondern der Sinn liege darin, "

alle Lebewesen dazu zu bringen, die Wirklichkeit des höchsten Zustandes (anuttara-samyak-sambodhi) zu ergreifen." Auf diese Weise steuert Gautama Buddha die Menschen und bringt sie auf einen guten Weg.