Freitag, 23. Januar 2009

Der Wille zur Wahrheit (Teil 2)

Das große Kloster Ehei-ji in Japan
Dôgen sagt demnach, dass die Entscheidung, die wirkliche Wahrheit zu suchen, in unserem eigenen Leben von größter Bedeutung ist. Sicher haben viele jüngere Menschen die feste Absicht herauszufinden, was wahr und was falsch ist. Sie suchen diese Wahrheit in der Familie, in der Gesellschaft und auf der ganzen Welt. Häufig erlahmt dieser Antrieb im Laufe des Lebens jedoch, weil es in der Tat sehr schwer ist, bei dieser Suche auf die richtige Spur zu kommen, die wirklich weiter führt. Mit dem Beginn des Lebens als Erwachsener tauchen meist viele praktische Probleme auf, die bewältigt werden müssen.

Das Streben nach Erfolg und dem sog. Aufstieg im Beruf, der mit finanziellen und materiellen Vorteilen verbunden ist, beginnt die grundsätzlichen, tiefer gehenden Fragen des Lebens in den Hintergrund zu drängen. Das Lebensglück wird dann meist nur mit dem Erwerb von materiellen Objekten verbunden. Wenn man sich dabei finanziell übernimmt, wachsen die Probleme und Engpässe um so mehr, die mit dem Geld und Einkommen verbunden sind.

Dôgen rät uns, einen Menschen und Lehrer zu finden, der die Wahrheit klar erkannt hat und sein Leben deutlich danach eingerichtet hat. Dies bedeutet für uns moderne Buddhisten keineswegs, dass wir uns in eines der wenigen Klöster zurückziehen und damit eventuell in eine scheinbar heile Welt flüchten. Nishijima Roshi lehrt z. B., dass wir den modernen Buddhismus im Alltag, im Hier und Jetzt und in der sozialen Verantwortung der Gegenwart entwickeln und pflegen sollten. Dabei hat die tägliche Zazen-Praxis einen zentralen Stellenwert.

Im Gegensatz zu den schwierigen Lebensbedingungen der Laien im alten Japan bleibt im modernen Leben genügend Zeit, um Zazen zu praktizieren und den Buddhismus gründlich zu studieren und so die große Wahrheit zu suchen. Dôgen führt hierzu Beispiele einiger verantwortungsvoller Minister im alten China an, die trotz ihrer hohen Arbeitsbelastung Zazen praktizierten und den höchsten Zustand des Erwachens erlangten.

Er warnt davor, dass manche Menschen zwar behaupten, dass sie den Willen zur Wahrheit besitzen, dass dies aber in Wirklichkeit nicht stimmt. Man erkennt aber nicht immer sofort, ob jemand wirklich den Weg der Wahrheit sucht, oder es nur vorgibt. Dies sei oft nicht immer einfach und eindeutig zu unterscheiden. Weiterhin sollten wir uns nicht zu sehr auf unsere eigenen subjektiven Vorstellungen und Erwartungen verlassen, sondern uns dem Gesetz des Universums und der Welt öffnen, das der Buddhismus in Theorie und Praxis lehrt. Dabei könne es uns helfen, dass wir uns die Unsicherheit in der Welt und unseres eigenen Lebens ohne Selbstlüge vor Augen führen, um wirklich tiefer zu gehen und weiter zu forschen. Viele interessengesteuerte Scheinwahrheiten und die „Lehren“ der selbst ernannten Meister, die in Wirklichkeit auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, lauern als Gefahren am Rande unseres Weges und müssen erkannt und bewältigt werden.

Umgekehrt seien oft die Menschen nicht ohne weiteres erkennbar, die den Willen zur Wahrheit wirklich besitzen, sodass es nicht einfach ist, einen solchen Lehrer zu finden. Der Wille zur Wahrheit steht am Anfang des buddhistischen Weges und ist der erste Schritt zur Überwindung des Leidens beim achtfachen Pfad. Dôgen hält dies für unabdingbar, um mit der Praxis und dem Studium der Lehre überhaupt zu beginnen. Er sagt:

"Wir müssen nicht unseren eigenen Geist als das Wichtigste ansehen. Wir sollten das große Gesetz, das der Buddha gelehrt hat, als das Wichtigste ansehen. Nacht und Tag sollten wir andauernd unbeirrt unseren Geist damit beschäftigen, wie der Wille zur Wahrheit sein sollte."

Dabei kommt es auf das Tun und Handeln selbst an und nicht auf eine Selbstreflexion, was und wie wir die Suche nach der Wahrheit gestalten. Dôgen sagt dazu:

"Wir müssen uns nicht dessen bewusst sein, dass wir über die Unzuverlässigkeit der Welt nachdenken."

Das Schwergewicht sollte nicht auf uns selbst, sondern auf den Dharma gelegt werden. Daher ist auch eine übergroße Sorge für den eigenen Körper und das eigene Leben eher hinderlich.