Sonntag, 15. Dezember 2013

Die leuchtende Perle: Heraus aus der schwarzen Höhle des Dämons



Die Aussage, dass Universum, Körper und Geist einer leuchtenden Perle gleichen, ist zunächst eine buddhistische Lehre, zwar mit sehr viel Aussagekraft und Realitätsnähe, aber sie eine Lehre und Theorie und muss durch die Praxis des Lebens verwirklicht werden. Sie muss lebendig und kraftvoll werden.

So hat Meister Gensa zum Beispiel einen Mönch, dem er diesen Satz gelehrt hatte, am folgenden Tag gefragt, wie er die Äußerung verstehe. Dabei stellte Gensa fest, dass der Schüler sich noch in abstrakten intellektuellen Überlegungen erging: er bezeichnete das Denken in dessen isoliertem Geist als

gewaltige Anstrengung, um in die Höhle eines Dämons in einem schwarzen Berg zu gelangen.“

Ich verstehe das so, dass der abstrakte denkende Geist auch bei höchster Anstrengung nur in die „finstere Höhle eines Dämons“ gelangen kann, ohne sich dessen eventuell bewusst zu sein. Gerade komplexes Denken ist häufig nicht nur eine Sackgasse, sondern führt sogar in eine dunkle Höhle der Psyche, in die kein Licht eindringen kann. Das Ego gerät dann durch intellektuelle Energien in die Isolation der dunklen Höhle, es verliert den Fluss und die Bindungskraft des Lebens mit seiner Umwelt und den anderen Menschen: das ist gerade kein geistiges Heldentum.

Dies bedeutet aber keinesfalls, dass Dōgen die Lehre und das ehrliche und gründliche Denken mit dem Verstand ablehnt oder die Vernunft verwirft: Sein großes Werk Shōbōgenzō, „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“, ist der Beweis für das genaue Gegenteil. Und niemand wird behaupten, dass dieses fulminante Werk, das sich jetzt für uns öffnen kann, geistig leichte Kost ist. Aber Körper und Geist, Theorie und Praxis, Lehre und Wirklichkeit dürfen nicht voneinander getrennt werden: Es ist die Einheit, die uns zum befreiten Leben und Handeln führt.

Von großer Bedeutung ist laut Dōgen auch „die Tugend der leuchtenden Perle“, denn die buddhistische Wirklichkeit ist niemals von der Ethik des Handelns abgetrennt. Das Leitbild des Bodhisattva, das in der Mahāyāna-Zeit umfassend entwickelt wurde, beinhaltet gerade Handeln und Hilfe für andere Menschen und nicht den spirituellen Egoismus, der nur an der eigenen Erleuchtung interessiert ist.

Liebevolle Zuwendung, Mitgefühl, Mitfreude und gelebter Gleichmut sind die wesentlichen Merkmale auch des frühen Buddhismus. In den „himmlischen Verweilungen“ hat sie Gautama Buddha selbst pädagogisch geschickt und überzeugend beschrieben.

Das ist daher kein engstirniger Intellektualismus, kein egoistischer Materialismus, aber auch keine spirituelle Ideologie, die sich aus der Wirklichkeit verabschiedet hat und in abgelegenen Klöstern ein Leben führt, das dann nur als künstlich und unnatürlich bezeichnet werden kann. Der wahre Buddhist geht auf den Marktplatz, auch wenn es dort äußerlich schmutzig zugeht. Gerade die leuchtende Perle ist ein untrüglicher Hinweis darauf, dass ein abgelöster, abstrakter Geist und intellektuelles Denken nicht ausreichen, um die Wirklichkeit und Schönheit dieser Welt zu erfahren und die Einheit mit ihr zu erleben.