Samstag, 27. Dezember 2014

Außerhalb des umfassenden Geistes gibt es nichts


Dōgen zitiert Shākyamuni Buddha nach einem Werk Nāgārjunas[i]:
„Die dreifache Welt ist nur der eine Geist,
es gibt nichts anderes außerhalb des Geistes.
Der Geist, Buddha und die Lebewesen –
diese drei sind ohne Unterschied.“

Wie mehrfach im Shōbōgenzō ausgeführt, darf man auch hier den Geist auf keinen Fall im Sinne der europäischen Philosophie oder der Umgangssprache als etwas Immaterielles im Gegensatz zum Körper und zu Emotionen verstehen. Denn dann wäre der Geist nur eingeengt auf das serielle Denken und das Bewusstsein oder vielleicht sogar identisch mit einem gedachten „absoluten Weltgeist“ wie bei Hegel.[ii]

Eine solche Trennung von Geist und Körper führt aus der Sicht des Buddhismus vollständig in die Sackgasse. Wenn das Gleichgewicht oder die Erleuchtung wirksam ist, eröffnet sich uns die Einheit der sogenannten dreifachen Welt, also des Lebens und Universums, und genau dies ist der hier angesprochene buddhistische Geist. Dōgen ergänzt:

„Dieses (Gedicht Buddhas) ist die ganze Anstrengung (seiner) ganzen Lebenszeit. Die ganze Anstrengung seiner Lebenszeit ist die vollständige Ganzheit seiner totalen Anstrengung. Während es bewusstes Handeln ist, mag es auch Handeln im natürlichen Strom von Sprache und Handeln sein.“

Dōgen geht hier auf das Erwachen ein und spricht von der ganzen Anstrengung oder Praxis Gautama Buddhas während seiner Lebenszeit: Erwachen gibt es nicht zum Nulltarif oder im Schnellverfahren von geschickten aber unseriösen Geschäftmachern.

Dōgen stellt die Verbindung zum Handeln her, das er einerseits als bewusst charakterisiert und andererseits als natürlichen Strom von Rede und Handeln. Gautama Buddha hat die umfassende Ganzheit von Geist und Lebewesen durch sein Handeln verwirklicht, zum Beispiel indem er den Menschen direkt und praktisch mit seinen tiefgründigen und umfassenden Dharma-Reden bei ihren Lebensproblemen geholfen hat.

In diesen Reden verwendete er häufig Gleichnisse aus dem Alltag der Menschen. Wie Nishijima Roshi betont, ist das Handeln maßgeblich für die Verwirklichung des menschlichen Lebens und der Welt, und damit ist es unauflösbar mit dem buddhistischen Geist verbunden. Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied zum philosophischen Denken des Westens, in dem der Geist mit dem Handeln kaum in Verbindung gebracht oder oft sogar im Gegensatz dazu gesehen wird.

Wichtig ist auch die Feststellung, dass das bewusste Handeln ein natürlicher Strom ist, also nichts Ausgedachtes oder Künstliches, das beispielsweise nur durch Glauben oder Illusionen verursacht ist und der Wirklichkeit demnach nicht entspricht.

Dass sich Dōgen bei diesen Aussagen auf den indischen Meister Nāgārjuna bezieht, untermauert das Argument, dass dieser kein Nihilist ist. Das zeigt sich auch in Nāgārjunas Girlanden-Sūtra, das ganz praktische Ratschläge für das Leben hier und jetzt enthält.

„Deshalb sind die jetzt gesprochenen Worte des Tathāgata, dass die dreifache Welt nur der eine (umfassende) Geist ist, die ganze Verwirklichung des ganzen Tathāgata; und sein ganzes Leben ist das Ganze dieses einen Gesagten.“

Die dreifache Welt ist genau so, wie sie ist, die ganze Wirklichkeit und Wahrheit. Dōgen führt aus, dass es außerhalb dieses Geistes, der mit der dreifachen Welt identisch ist, nichts anderes gibt und geben kann: nämlich Ideologien Fantasien und Täuschungen. Es geht ihm besonders um die Lebensdimension der Dinge, der Vielfalt in der Welt und der Materie. Nach Nishijima Roshi ist unsere Wahrnehmung mit dieser zweiten Lebensphilosophie der Formen und der Materie unauflösbar verbunden.






[i] Dieses Zitat ist aus dem Girlanden-Sūtra von Meister Nâgârjuna übernommen. In diesem Sūtra gibt der Meister Ratschläge für das praktische Leben nach dem Buddha-Dharma; es entstand vermutlich im zweiten Jahrhundert.
[ii] Hügli, Anton; Lübcke, Poul (Hrsg.): Philosophie-Lexikon. Personen und Begriffe der abendländischen Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart, S. 232 ff.