Sonntag, 4. Januar 2015

Der Geist der Wirklichkeit hilft uns




Unser Geist kann nicht außerhalb der dreifachen Welt sein, die die ganze Welt ist, deshalb sagt Dōgen ganz konkret:

„Innerhalb, außerhalb, in der Mitte, am Anfang und am Ende ist alles die dreifache Welt.“

Da nach dieser Formulierung auch „außerhalb“ zur dreifachen Welt gehört, gibt es nach der Geometrie überhaupt nichts, was darüber hinaus irgendwo sein könnte. Die dreifache Welt als umfassende Wirklichkeit ist genau so, wie wir sie sehen. Eine davon abweichende Sichtweise kann nur eine falsche Sicht sein, und sie basiert auf irrealen Illusionen, Vorstellungen oder falschen Hoffnungen. Wenn wir innerhalb der wirklichen Welt leben, können wir uns dauerhaft von Sichtweisen und Meinungen über andere angebliche Wirklichkeiten befreien und die Welt direkt, unmittelbar und unverzerrt sehen.

Das ist eine radikale Aufforderung, die Wirklichkeit hier und jetzt von Illusionen und Träumen zu unterscheiden, auch wenn sie noch so verlockend sind, uns aber genau so wenig in pessimistischen Befürchtungen und Ängsten zu verlieren!

Hierbei kommt den Augen und dem Sehen als Wahrnehmung eine besonders große Bedeutung zu. Wir wissen heute, dass etwa ein Drittel des Gehirns zum Sehen gehört, also großartige Kapazitäten enthält: Wir sollten sie nutzen. Außerdem sind die mit den Sinnen verbundenen Glücksgefühle, die durch unsere Sinnesorgane und deren Reizung erzeugt werden, ein wichtiger Teil dieser Lebensdimension der Formen und Farben. Und Freude und Lernen gehören zusammen.

Aber es darf nicht zur Abhängigkeit von den Sinnesobjekten kommen, die durch die Gier gesteuert wird. Der im Buddhismus hoch geschätzte Mittlere Weg der Selbststeuerung als Möglichkeit, das Leiden und die Katastrophen in unserem Leben entweder ganz zu vermeiden oder in der Wirkung wesentlich abzumildern, besteht gerade darin, dass man sich nicht den extremen sinnlichen Leidenschaften hingibt. Genauso müssen wir vermeiden, dass wir bei Ideen, Vorstellungen und Idealen zu extremen und vor allem zu gewaltsamen Bewertungen neigen und entsprechend unkontrolliert handeln. Dann verlieren wir uns in Ideologien, die großen Schaden anrichten könne, wie wir täglich erfahren.

Die Wirklichkeit der drei Welten sehen wir laut Dōgen „einerseits durch das alte Nest der Gewohnheiten und andererseits in jedem Augenblick frisch und neu“.

Im alten China wurde der Begriff „Nest“ für gedankliche Verstrickungen und festgefahrene Vorstellungen verwendet, die nicht zuletzt durch Ideologien und Vorurteile bestimmt sind: kein schlechter Begriff. Es ist ein erklärtes Ziel des Buddha-Weges, sich aus diesen Nestern zu befreien, die Verstrickungen zu lösen und daraus zu erwachen.
Dōgen wiederholt dann die scheinbar einfache Aussage „Diese dreifache Welt ist genau so, wie sie gesehen wird“ und lehnt komplizierte philosophische Theorien ab, die damals intellektuell diskutiert wurden, den direkten Blick auf die Wirklichkeit jedoch verschleierten. Sie drehten sich zum Beispiel um die Begriffe „ursprüngliche Existenz“ oder „gegenwärtige Existenz“. Dasselbe gilt für Vorstellungen über eine wundersame, „neue Erleuchtung“. Auch vordergründige Kausal-Erklärungen, dass die dreifache Welt aus behaupteten Ursachen und Bedingungen entstehe, führen laut Dōgen nicht weiter, denn sie sei jenseits von Theorien über Anfang, Mitte oder Ende. Dabei ist Dōgen sicher kein Feind des sinnvollen Denkens, ganz im Gegenteil.