Nishijima Roshi arbeitet an seinem Buch zu Nagarjunas Mittlerem Weg
In
dem Gleichnis von der giftigen Schlange geht es um das falsche und damit
gefährliche Verständnis der buddhistischen Lehre oder aber um deren richtige
Verwirklichung. Buddha wird deutlich:
„Manche unverständigen Leute lernen die Lehrsätze
auswendig, erforschen aber nicht weise deren Sinn. Dann gewähren die Lehrsätze
ihnen aber keine Einsicht. Sie erlernen sie nur, um darüber zu reden und
Meinungen äußern zu können, aber den Zweck, zu dem man diese Lehren erlernt,
begreifen sie nicht. Ihnen werden die falsch aufgegriffenen Lehren für lange
Zeit zum Unheil und Leiden gereichen, weil sie sie falsch begriffen haben. Das
ist so, wie wenn ein Mensch eine Schlange fangen möchte, tatsächlich eine große
Schlange findet und sie am Körper oder am Schwanz ergreift.“
Dann
würde die Schlange sich blitzschnell umwenden und ihm in die Hand, in den Arm
oder in ein anderes Glied beißen. Wer so leichfertig mit der Schlange umgeht,
müsste tödliche Schmerzen oder sogar den Tod erleiden, weil er sie völlig falsch
ergriffen habe. Und dass es giftige Schlangen in unserer Welt gibt, wird sicher
niemand bezweifeln!
In
diesen kurzen Sätzen wird von Buddha unmissverständlich gesagt, dass es keinen
Sinn macht, die buddhistische Lehre nur auswendig zu lernen und sich sogar
damit zu brüsten, um sich vor anderen aufzuwerten. Es geht um die wirkliche
Verarbeitung und Verwirklichung der Lehre als je eigenen Befreiungs- und
Emanzipations-Prozess.
Man
sollte die authentischen Texte sowohl verstehen als auch im eigenen Erleben
konkretisieren und damit die eigenen Verhaltensweisen und Handlungen verändern
und voranbringen. Die Lehre kommt damit in Wechsel-Wirkung
zum eigenen Leben, verändert dieses und erreicht erst dadurch die klare Wirkung
auf dem Weg der Befreiung und Emanzipation.
Buddha redet sehr praktisch und betont bei der
giftigen Schlange, dass es einen
gegabelten Stock gibt, mit dem der Mensch die Schlange richtig packen kann,
ohne dass er selbst in Gefahr gerät
und
„sie dann
mit festem Griff am Halse ergreift. Wenn dann die Schlange seine Hand und
seinen Arm oder ein anderes Glied mit ihrem Leib umringelt, so erleidet er
deswegen doch nicht den Tod oder tödliche Schmerzen.“
Im mittleren Weg können wir bei Nâgârjuna in dem
besonders wichtigen Kapitel zu den Vier Edlen Wahrheiten dieses Gleichnis
wieder finden, wo er es für die falsch
verstandene Leerheit benutzt. In der Tat wird mit dem Begriff und einer
dogmatischen Vorstellung der Leerheit im Buddhismus vielfältige Verwirrung gestiftet
oder sogar erhebliches Unheil angerichtet, ohne dass der Zusammenhang und die Bedeutung
wirklich geklärt ist.
Es geht dann nach dem Motto: In der Leerheit
verschwinden alle Unterschiede und Schwierigkeiten der Realität, daher ist
alles das Selbe und egal. Dabei wurde Bedeutung der Leerheit nicht wirklich
gründlich durchdacht, erarbeitet und erfahren. Das ist auch nicht so einfach.
Nâgârjuna verwendet den Begriff der Leerheit für die
Bezeichnung der Wechsel-Wirkung beim
gemeinsamen Entstehen (pratitya
samutpada) in der Wirklichkeit der Welt und unseres Leben. Die Leerheit
bezeichnet gerade kein Nichts,
sondern das Gegenteil: die lebendigen vernetzten Prozesse der Emanzipation und
Befreiung, für sich selbst in der
Meditation und im verantwortlichen Zusammenleben mit anderen.