Samstag, 5. November 2016

Konnte der Mörder Angulimala Erleuchtung erlangen? Ja er konnte


In der mittleren Sammlung des Buddhismus wird von einem grausamen Räuber und Mörder, Angulimala, berichtet, der ohne Erbarmen und mit äußerster Brutalität sein Unwesen trieb, ohne durch sein Gewissen oder seine Ethik kontrolliert zu werden. Er verachtete seine Opfer und fädelte triumphierend einen Fingerknochen der ermordeten Opfer zu einer Kette auf, die er stolz um den Hals trug. Er war in allen Kämpfen und Mordtaten äußerst geschickt und bisher unbesiegt, vor Allem, weil er extrem schnell laufen konnte und von großer körperlicher Beweglichkeit war. Er prahlte, dass er Elefanten, Pferde und Menschen jederzeit einholen könnte und hielt sich für unbesiegbar. So griff er meist von hinten an und hatte alle Opfer fast ohne Gegenwehr überwältigt. Der Wald, in dem Angulimala hauste, war weit und breit gefürchtet, ihn zu durchqueren glich dem eigenen Todesurteil.

Buddha wollte nun auf einer Wanderung seinen Weg durch den Wald des Mörders nehmen, wurde aber von den dortigen Einwohnern auf das Heftigste vor diesem Mörder gewarnt. Er solle einen Umweg machen, um zu überleben. Buddha ließ sich trotz dieser mehrfachen Warnungen nicht davon abhalten, seinen Weg durch diesen Wald zu nehmen. Als Angulimala ihn kommen sah, war er sich sicher, ein neues Opfer gefunden zu haben. Er wartete zunächst ab, um dann von hinten anzugreifen:
„Er ergriff Schwert, Schild, Bogen und Pfeile und verfolgte den Erhabenen. Dieser aber bewirkte durch seine außergewöhnlichen Kräfte, dass Angulimala ihn nicht einholen konnte, obwohl Buddha selbst nicht schneller als gewöhnlich ging, während jener mit Aufbietung aller Kräfte lief“, um schneller voran zu kommen.

Das heißt, dass seine überlegene Schnelligkeit und seine brutalen Kräfte gegenüber Buddha unwirksam waren, er konnte sie nicht einsetzen. Obgleich er immer hoch aktiviert und schnell war, konnte er hier nichts ausrichten. So etwas war ihm noch nicht passiert.

Er rief daher Buddha verblüfft direkt an, er solle sofort stehen bleiben. Zu seinem Erstaunen antwortete Buddha, der sich zu ihm umgedreht hatte aber weiterging, dass der Mörder ja selbst stehen würde. Denn gegen seinen eigenen Willen kam der Mörder keinen Schritt näher an sein vermeintliches Opfer heran. Er sagte daher sogar in Gedichtform

„Du gehst Asket und sagst ich stehe still.
Obwohl ich stehe, nennst du mich ruhelos.
Wie soll ich das verstehen? Sag mir das:
Du ständest still und ich sei ruhelos.“

Es geht hier sowohl um die körperliche Dimension des Gehens, Laufens und Stehens, aber sicher noch um noch mehr, nämlich um die geistigen, spirituellen und psychischen Kräfte. Es ist nicht verwunderlich, dass ein Mörder keine Ruhe findet, obgleich er körperlich still steht und dass der erleuchtete Buddha geht, aber dabei ruhig erscheint. Buddha sagte in diesem Sinne:

Ich stehe still Angulimala, sag ich, weil ich den lebenden Wesen nichts zu Leide tue. Du aber wütest gegen Lebewesen, drum steh ich still und du kommst nicht zur Ruhe.“
Dies verblüffte und verwirrte den Mörder Angulimala zutiefst und er gestand dem Buddha:

Längst hätte ich das Böse aufgegeben, wäre mir dein Wahrheits-Wort zuteil geworden.“

Buddha erkannte sofort das positive Potential und die Entwicklungsmöglichkeiten dieses Mörders und sagte ganz einfach: „Tritt ein und sei ein Mönch" (Mitglied in seiner Sangha). Buddha weihte ihn als Mönch sogar höchst persönlich.
Die unglaubliche Verwandlung des gefürchteten Mörders und die Aufnahme in Buddhas Sangha erregte in der Umgebung großes Aufsehen, wie man sich denken kann. Inzwischen hatten die Menschen sogar den König Pasenadi um Hilfe gerufen und dieser hatte sich mit seinen 500 Reitern auf den Weg gemacht, um den Mörder endlich auszuschalten.
Aber nun musste er überhaupt nicht gegen den Mörder vorgehen, weil der bereits ein friedlicher Mönch der buddhistischen Sangha geworden war. Er war sehr bescheiden und einfach geworden, ihm verlangte nicht nach Reichtum und zweifelhaftem Ruhm, er lebte das Leben eines Wald-Einsiedlers. Wie es heißt praktizierte Angulimala ausdauernd und

„übte einsam für sich unermüdlich und eifrig und erreichte bald das höchste Ziel des reinen Lebenswandels schon in diesem Leben.“

Eines Tages wurde er allerdings auf einem Almosengang erkannt und von den empörten und aufgebrachten Einwohnern wutentbrannt verprügelt, er entkam mit großer Mühe und lebensgefährlichen Verletzungen. „Mit blutendem Kopf, zerbrochener Schale und zerrissenem Gewand kam er zum Erhabenen“. Buddha sagte zu ihm: “Nimm es geduldig hin, Heiliger. Die Taten für die du sonst viele tausend Jahre in der Hölle büßen müsstest, die büßt du schon jetzt in diesem Leben ab.“

Im folgenden Gedicht heißt es:
„Wer früher träge war und sich dann tüchtig macht,
der leuchtet wie der Mond in wolkenloser Nacht.
Wer alte Übeltat durch Guttat ausgeglichen, der leuchtet wie der Mond,
wenn Wolken sind gewichen.“

Dies ist eine wirklich spektakuläre Geschichte: durch eine fundamentale Begegnung und Weichenstellung eröffnen sich dem Mörder völlig neue Alternativen für ein friedliches und erfülltes Leben. Bei ihm war es die direkte Begegnung mit Buddha, die ihn zur vollständigen Änderung seines Lebens brachte und sich radikal von seinen menschenverachtenden Taten abwenden konnte. Wie es heißt, erlangte er schon in diesem Leben durch die buddhistische Praxis Erleuchtung und die höchste menschlich mögliche Lebensform.


Nun leben wir heute nicht im Zeitalter Buddhas, haben aber nach der buddhistischen Lehre mindestens dieselben Chancen und Möglichkeiten wie der Mörder Angulimala. Es kommt darauf an, dass wir tatkräftig die möglichen guten Chancen ergreifen und uns neue Lebensdimensionen eröffnen. Solche Chancen gibt es immer, wir müssen sie nur erkennen und entschlossen angehen. Dabei kommt dem ethischen Handeln eine hohe Bedeutung zu, was heute oft unterschätzt wird.