Montag, 27. März 2017

Buddha-Natur und Leerheit: Einfach und wunderbar


Die Buddha-Natur ist kein Ding, keine Entität wie ein Atom oder ein Wort, sondern die wahre Natur des ganzen Menschen in dieser Welt. Sie überschreitet die Grenzen der verbalen Formulierungen, der Intellektualität und hat keine metaphysischen Extreme wie absolute Substanz oder unsichtbare übernatürliche Essenz. "Natürlich" heißt auch, dass die wahre Natur keine intellektuelle absolute Wahrheit ist, die von manchen verkopften Philosophen behauptet aber nie gefunden oder beobachtet wurde. Nicht umsonst unterstreicht Dôgen in diesem Zusammenhang, wie wichtig die Zazen-Praxis ist, denn sie ist Verwirklichung der Buddha-Natur jäh im Augenblick oder, wie Nishijima Roshi es ausdrückt: das ist die erste Erleuchtung.

Dôgen zitiert den fünften Nachfolger im Dharma in China:

„Die Buddha-Natur ist Leerheit.[i] Daher nennen wir sie ‚ohne sein‘"

Sie ist ganz ohne metaphysische Spekulationen, ohne irgendetwas außer der Soheit: einfach, direkt, unverstellt und wunderbar.

Der Begriff „Leerheit“ wird häufig missverstanden und mystifiziert. Auf keinen Fall bedeutet Leerheit, dass es keine Wirklichkeit gibt, und einen isolierten Geist gibt es auch nicht: Geist und Form treten nicht getrennt auf. Leerheit meint auch nicht das Nichts, denn das wäre Nihilismus, der m. E. meist unecht oder sogar verlogen daher kommt. Das Gegenteil ist richtig: Sie bedeutet die nicht auslotbare Wirklichkeit selbst, die einfach so erfahren und gesehen wird, wie sie ist.[ii] Im Japanischen wird dafür häufig das Wort ku verwendet. Man kann es mit „Himmel“, „Raum“, „Luft“ und „Leerheit“ übersetzen; ku hat auch eine materielle Bedeutung der Form. Denn wie gesagt Form und Geist können nicht getrennt werden.

Der Begriff „Leerheit“ stammt ursprünglich aus dem Sanskrit und lautet dort shunyata. Aufgrund einer eingeengten philosophischen Semantik wurde dieser Begriff mit „Nichts“, „Nicht-Existenz“, „Nicht-Wirklichkeit“ und „illusorische Natur aller weltlichen Phänomene“ wiedergegeben. Eine solche Erklärung geht jedoch völlig in die Irre und an der Zen-buddhistischen Bedeutung vorbei.

Shunyata steht nämlich für „nackt“, „rein“ oder „transparent“ und heißt aus meiner Sicht vor allem, frei zu sein von Täuschungen, Illusionen, affektiven Verzerrungen, Selbstsucht usw., und vor Allem frei sein von extremen Ideologien der Extremisten. Buddha große Leistung ist es nicht zuletzt, dass er sich von den damaligen Ideologien im Gewande der Religion des Brahmamismus frei machte, nämlich dass die Menschen-verachtende totale Trennung in Kasten und sogar Kastelose von Gott gewollt, bestimmt und ewige Wahrheit sei, die nicht zerstört werden kann. Aber genau diese Zerstörung leistete Buddha.

Von Etwas leer zu sein bedeutet, frei von davon zu sein. Der Begriff „Freiheit“ wird im Westen überwiegend nur politisch verstanden und meint in diesem Sinne, frei zu sein von Repressionen, Unterdrückung, Ausbeutung oder politischer Entmündigung. Das ist sicher nicht ganz falsch. Die psychischen und spirituellen Aspekte dürfen jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Solche Freiheit ist zum Beispiel die Unabhängigkeit von psychischen Fesseln, Fixierungen, Verdrängungen, Affektsteuerungen oder Suchtabhängigkeiten und andere vielfältige Unterdrückungen. Das ist mit Leerheit ausgedrückt.

Psychische und politische Freiheit bedeutet aber auf keinen Fall, verantwortungslos und auf Kosten anderer in der Gemeinschaft zu leben und seine Aufgaben im Beruf, in der Familie usw. zu vernachlässigen:

"Erleuchtung ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen",

einfach und unkompliziert. Freiheit bedeutet auch nicht, sich wichtigen Lernprozessen zu verschließen und zu behaupten, ein bestimmter psychisch-sozialer Zustand sei Ausdruck der eigenen großartigen Persönlichkeit oder sogar Gott-gewollt. Das glauben vor Allem Narzisten. Aber sie irren gründlich!




[i] Kap. 2, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 36 ff.: „Die große intuitive Weisheit, die das Denken überschreitet (Makahannya haramitsu)“; Kap. 43, ZEN Schatzkammer, Bd. 2, S. 154 ff.: „Die wahre Bedeutung der Blumen im Raum (Kûge)
[ii] vgl. Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 10, Fußnote 44