Was fragt Dôgen, um den
zentralen Punkt der Buddha-Natur – des
Zustandes und Handelns ohne Täuschungen – vertieft zu klären: In welchem
Augenblick sind wir ohne Täuschungen? Haben wir bereits am Anfang unseres buddhistischen
Lebens den Zustand ohne Täuschungen, Übertreibungen und ohne einengende Fixierungen, oder ist dies
der Zustand nach dem Erlangen der
Wahrheit, also nach der Erleuchtung?
Dieser im Zen-Buddhismus
häufig mithilfe des Wortes „ohne“ beschriebene
Zustand verwirklicht sich nach Dôgen im Augenblick
des Samâdhi, also des Zazen. Wenn die
Buddha-Natur Mensch wird, zum
Beispiel Gautama Buddha, hat dieser
den Zustand ohne Täuschungen, Anhaftungen
und Fixierungen. Gleichzeitig ist er frei vom Begriff und der Vorstellung von
der Buddha-Natur, denn sie haben ihre isolierte
Bedeutung in der Wirklichkeit des Augenblicks verloren.
Die Wirklichkeit der Buddha-Natur
sei identisch mit den Pfeilern der Tempel,
und
„wir
sollten uns von diesen äußeren Pfeilern nach der (Buddha-Natur) fragen lassen,
und wir sollten die äußeren Pfeiler fragen“,
sagt Dôgen. Ich
interpretiere dies so, dass wir uns ganz für die Dinge und Phänomene der
Umgebung – in diesem Fall die einzelnen Teile der Klöster – öffnen und sie auf
uns einwirken lassen sollen, indem wir die Grenzen
von Subjekt und Objekt fallen lassen. In diesem Sinne bringen wir dann zum
Beispiel die Pfeiler der Tempel dazu, dass sie uns nach unserer wahren Natur
fragen.
„Wir sollten bewirken, dass die
Buddha-Natur diese Frage stellt“,
fügt Dôgen hinzu. Das heißt,
dass die Wirklichkeit selbst uns befragt und wir uns zum Beispiel unserer
Täuschungen und Fixierungen bewusst werden.
Dôgen unterstreicht die
große Bedeutung des Dialoges zwischen den Meistern Dai-i und Daiman zur
Buddha-Natur, die den Zen-Buddhismus in China und damit bis heute wesentlich
geprägt und gestaltet haben. Die großen Meister von Obai, vom Joshu-Distrikt
und Dai-i-Berg haben später auf diesen fundamentalen Aussagen zur Buddha-Natur
aufgebaut.
Die Buddha-Natur zielt
zentral auf die Frage nach dem Was
eines Menschen und nach der Unfassbarkeit des Körper-und-Geistes. Mit dem Dies liegt der Fokus auf dem Hier und
Jetzt des Augenblicks. Ohne diese Eckpunkte geht jedes Verständnis der Buddha-Natur
in die Irre. Sie wird auch mit dem berühmten japanischen Wort mu beschrieben, das keineswegs das
Nichts der Nihilisten bedeutet, sondern dass wir Täuschungen „nicht haben“ oder
„ohne“ sie sind.
Solche Formulierungen sind
für uns Menschen des Westens zunächst schwer verständlich. Aber sie sind für
das wahre Verständnis der Buddha-Natur von großer Bedeutung und erfordern einen
radikalen Paradigmenwechsel in unserer westlichen Vorstellung, die im
Allgemeinen sehr dinghaft, Idee-orientiert und durch unterscheidendes trennendes
Denken geprägt ist.