Solandra auf La Gomera
Das folgende Kôan-Gespräch zwischen dem fünften und sechsten Nachfolger in China, also dem überragenden Meister Daikan Enô (Hui Neng), eröffnet eine tiefgründige Dimension der Buddha-Natur. Dieses Gespräch hat laut der Überlieferung stattgefunden, als der junge Daikan Enô im Kloster seines Meisters Daiman Konin als „Anfänger“ ankam.
Daiman Konin fragte den
Ankömmling:
„Woher kommst du?“ Und dieser antwortete:
„Ich bin ein Mann vom Süden der
Berggipfel.“ Der Meister fragte
weiter:
„Was möchtest du durch dein Herkommen
erlangen?“ Daikan Enô erwiderte:
„Ich möchte Buddha werden.“ Daraufhin sagte Meister Konin scheinbar abweisend:
„Ein Mann aus dem Süden der Berggipfel
ist ohne, (das ist) die Buddha-Natur. Wie kannst du erwarten, Buddha zu
werden?“
Das klingt paradox, weil
doch Daikan Enô als einer der größten und einflussreichsten Meister des Chan in
China und des Zen in Japan gilt. Wie kann man dieses Kôan auflösen?
Meinte der alte Meister
damit etwa, dass der Ankömmling aus dem Süden nicht Buddha werden kann? Das
Gegenteil ist richtig. Hierzu muss man wissen, dass der Süden Chinas damals
spirituell, kulturell und zivilisatorisch weniger entwickelt war als der
Norden, in dem auch der Buddhismus einen deutlich höheren Entwicklungsstand
hatte. Es geht hier um ein falsches
Verständnis der Buddha-Natur und der Leerheit, das von Meister Konin
richtig gestellt wird.
Das Kloster von Meister
Konin lag im Norden Chinas, und man könnte seine Aussage daher so verstehen,
dass ein Mann aus dem unterentwickelten Süden überhaupt keine Buddha-Natur habe
und deshalb nicht Buddha werden könne.
Auf der Grundlage der in
einem anderen Kôan-Gespräch zu dem Begriff „ohne“ wiedergegebenen Bedeutung ergibt
sich jedoch eine zweite, viel wichtigere Bedeutungsebene: die Leerheit von Täuschungen und ethisch
unheilvollen Doktrinen.
Diese Bedeutung wird bereits
vom indischen Meister Nagarjuna in der tiefen Weisheit des Mittleren Weges
herausgearbeitet. Damit sagt Meister Konin nichts anderes, als dass die wahre
Bedeutung von Buddha-Natur und Leerheit
gleich sind. Also ist die Leerheit kein Nichts sondern die höchste dem Menschen
zugängliche Wahrheit! Und sie ist keine Idee und kein Ding sondern viel mehr:
die reine Wirklichkeit ohne Störungen, Täuschungen, Verzerrungen, genau in der
Wahrheit des Augenblicks.
Zweifellos hat Meister Konin
dieses im Sinn, denn die Bedeutung der Leerheit ist sein Hauptthema, wie aus
anderen Ausführungen deutlich wird. Seine Aussage ist also keineswegs eine
Diskriminierung des Schülers aus dem Süden, sondern bedeutet etwa Folgendes:
Unabhängig davon, ob du, Daikan Enô, aus dem Süden oder aus irgendeiner anderen Gegend kommst, bist du ohne, also frei von allem, was nicht die Wahrheit und Wirklichkeit ist, zum Beispiel frei von Täuschungen, Illusionen, Ängsten, affektiven Abhängigkeiten, Gier, Hass und Verblendung usw..
Unabhängig davon, ob du, Daikan Enô, aus dem Süden oder aus irgendeiner anderen Gegend kommst, bist du ohne, also frei von allem, was nicht die Wahrheit und Wirklichkeit ist, zum Beispiel frei von Täuschungen, Illusionen, Ängsten, affektiven Abhängigkeiten, Gier, Hass und Verblendung usw..