Dôgen zitiert wortgetreu den
großen nationalen Zen-Meister Enkan
Sai-an[i], der
lehrte: „Alle Lebewesen haben die Buddha-Natur!“[ii] Und
der Mensch sei nur ein Beispiel für die verschiedenen Lebewesen auf der Welt.
Dôgen fügt hinzu, dass alle Lebewesen einen
Geist haben. Er setzt offensichtlich Geist und Buddha-Natur gleich. Das bringt m. E. mehr Klarheit in den recht
unbestimmten Begriff des Geistes,
denn die Buddha-Natur beschreibt Dogen recht genau aufgrund seiner eigenen
tiefgründigen Erfahrung. Er stellt dabei das jeweilige Handeln in den
Mittelpunkt und lehnt die Vorstellung als
Ding im Gegensatz zu anderen eindeutig ab.
Und er erweitert mit diesem
Zitat die Bedeutung der Buddha-Natur: Bisher war nur von Menschen die Rede, und
es ging um die Frage, wann und ob sie die Buddha-Natur haben und ob sie die Buddha-Natur sind oder nicht. Dôgen geht sogar noch weiter als Enkan Sai-an,
indem er die Buddha-Natur außerdem auf die belebte und die nicht-belebte Natur
bezieht. Dabei wird der Unterschied zur westlichen Philosophie besonders
deutlich: Wir postulieren nicht nur, dass allein der Mensch die Qualität des
Geistes besitzt und sich damit von den Tieren fundamental unterscheidet, beziehungsweise
sich über sie erhebt, sondern wir unterscheiden auch rigoros zwischen der
belebten und nicht-belebten Natur. Dagegen sagt Dôgen:
„Gras,
Bäume und Länder sind selbst Geist. Weil sie Geist sind, sind sie lebende
Wesen. Und weil sie lebende Wesen sind, haben sie die Buddha-Natur.“
Damit wir die Ganzheit von
Mensch, Lebewesen und Natur unterstrichen und der Dualismus negiert. In diesem
Sinne zählt er dann auch die Sonne, den Mond und die Sterne auf und erklärt,
dass sie „selbst Geist sind“.
Als logische
Schlussfolgerung heißt das, sie sind auch Buddha-Natur. Hier betonen Nishijima und Cross[iii],
dass aufgrund der Bedeutung des von Dôgen verwendeten japanischen Wortes
zugleich ganz klar ist, dass auch sie die Buddha-Natur sind und nicht nur haben.
Wie in der tradierten Aussage von Gautama Buddha dürfen wir die Formulierung „die
Buddha-Natur haben“ auch hier nicht im Sinne des Besitzens oder Nicht-Besitzens
verstehen, sondern als lebendige Wahrheit. Und diese Wahrheit ist untrennbar
mit der Buddha-Natur verbunden Dann folgt ein verblüffender Satz:
„Jene,
die ganz und gar verschieden von den Lebewesen (Buddhas) sind, mögen jenseits
davon sein, die Buddha-Natur zu haben.“
Wer unklar ist, glaubt also
an die Buddha-Natur als Ding, die man haben kann. Hierzu erläutern Nishijima
und Cross, dass mit den Lebewesen hier die Buddhas gemeint sind.[iv]
Damit wird die Aussage bekräftigt, dass alle Lebewesen die Buddha-Natur sind.
Dôgen regt uns nachdrücklich
an, dass wir dem nationalen Meister folgende Frage stellen sollen: „Haben alle Buddhas die Buddha-Natur oder
nicht?“ Auf diese Weise sollen wir den großen buddhistischen Meister auf die Probe stellen, um zu erfahren,
wie er seine Aussage begründen würde. Und mit
Nachdruck wiederholt er, dass der nationale Meister sich von dem Begriff des Habens und als Ding unbedingt verabschieden
muss.
[i] Enkan Sai-an war Nachfolger von Baso Do-itsu, er
starb 842.
[ii] Shinji Shobogenzo, Bd. 2, Nr. 15
[iii] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 22, Fußnote
99
[iv] ebd., Fußnote 100