Samstag, 23. Juni 2018

Buddha-Natur, Magie des Augenblicks



Bei der Zazen-Medition erfahren wir unmittelbar die Magie des Augenblicks und die Buddha-Natur: Der Augenblick der Gegenwart öffnet unser Potential, ein neuer menschlicher und spiritueller Kosmos. Er lässt hemmende unheilsame Muster und ungute Prägungen auslaufen und zur Ruhe kommen. Aus dieser Ruhe können neuen Kräfte, eine neue Lebensfreude und eine neue Kreativität wachsen, für die kommenden Augenblicke des Tages und das weitere Leben. Das sind dynamische Augenblicke mit der Kraft aus der Ruhe, die uns trägt.

Dabei ist die oft missverstanden Leerheit vor Allem und gerade die Leerheit und Befreiung von hemmenden und verzerrenden Prägungen, den unguten Mustern des Denkens, Fühlens und Handeln. Also weg damit! Lebensfreude entsteht dann wie eine sich öffnende Lotos-Blüte. Dreht sie sich dabei, wie Dogen und Hui Neng sagen? Ich meine, ja, so ist es. Dieser Prozess ist unlösbar mit der Buddha-Natur verbunden, denn die Buddha-Natur kann es ohne dieses Entfalten und Wachsen nicht geben. Oder wie Buddha sagt: Dies ist das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung (pratitya samutpada). Also eben kein Ding und kein Gegenstand, und wenn diese noch so vergoldet dargestellt werden. Leben ist kein Ding und keine isolierte Entität, ein solches Ding müsste dann "verhungern" und schrumpfen. Nichts gegen Gold aber sicher nicht als das fiktive fleckige Gold erstarrter Dogmen, Doktrinen und hemmender Prägungen. Eine solche Befreiung und Emanzipation ist die zentrale Botschaft von Nagarjunas Mittlerem Weg.

Dôgen skizziert, wie das wahre Bild eines Menschen der Buddha-Natur aussehen sollte und welche Funktion es haben muss:

Wenn wir die Augen darauf richten und es genau ansehen, sollten wir direkt in der Gegenwart ankommen und zufrieden sein, also keinen (unnützen) Hunger mehr nach einer (doktrinären) Wahrheit haben.“

Im Gegensatz dazu berichtet Dôgen von einem drückenden Erlebnis auf einer seiner Reisen zu den verschiedenen Klöstern in China, zum Beispiel zum Kori-Zen-Tempel, einem der fünf wichtigsten der Song-Periode. Neben den Darstellungen anderer authentischer Meister der Linie gab es ein Bild Nâgârjunas, den Dogen außerordentlich schätzte. Das kann ich gut nachvollziehen, denn ich erkenne immer mehr den tiefen umfassenden klaren, wenn auch kritischen, Geist dieses großen indischen Meisters in den Schriften Dogens. So ging es auch meinem Lehrer Nishijima Roshi.

Dôgen wurde damals von einem Mönch im Kloster herumgeführt, der ihm allerdings ohne Engagement die verschiedenen Sehenswürdigkeiten zeigte und zur Enttäuschung Dôgens gerade das Bild Nâgârjunas ohne jede innere Anteilnahme vorstellte. Er beschreibt das Verhalten des Mönchs folgendermaßen:

Dabei hat er keine Nüstern in seinem Wesen und keine Worte in seiner Stimme.“

Diese ungewöhnliche Formulierung bedeutet, dass der Mönch leblos erscheint – die Nüstern sind das Symbol für das Leben und den Atem. Seine Sprache sei ausdruckslos und teilnahmslos. Dôgen sagte zum Mönch:

„Dies scheint wirklich das Bild eines Reiskuchens zu sein!“ Hier hat der Begriff die abwertende Bedeutung, dass der Reiskuchen nämlich nicht zum Essen und den Hunger im wahren Leben taugt. Das Bild eines Reiskuchens ist ein berühmter Ausspruch für fehlende Wirklichkeit und fehlendes Leben. Der Mönch lachte daraufhin seltsamerweise von ganzem Herzen und verstand offenbar überhaupt nicht, dass Dôgens Worte eine harsche Kritik an ihm selbst und seinem flauen Engagement im Buddhismus waren.


Auch die anderen Mönche des Klosters, die das Gespräch mit anhörten, zeigten kein Verständnis für das Bild des großen Meisters Nagarjuna. Dôgen nennt sie „Hautsäcke“, um auszudrücken, dass sie eigentlich keine wahren Menschen auf dem Buddha-Weg sind, nicht ernsthaft praktizierten und den Dharma nicht kannten. In diesem Zusammenhang bedauert er den Niedergang des chinesischen Buddhismus, der sich im 13. Jahrhundert schon abzeichnete.

„Zusammenfassend scheinen (solche Hautsäcke) die Grenze des klaren Verstehens verloren zu haben: "Für die Worte ‚die Buddha-Natur haben‘ und ‚ohne (Täuschung) zu sein‘.“
„Sie erwachen nicht aus ihren (fixierten) Ansichten und Meinungen und (wissen nicht), dass die Buddha-Natur mit dem lebendigen Denken, der Achtsamkeit und Verwirklichung zusammenhängt.“

Genauso falsch sei es aber , beim Thema Buddha-Natur ganz stumm zu bleiben, keine Fragen zu stellen und die Vernunft nicht ernsthaft zu bemühen, um tiefer einzudringen: „Denkt daran, dieser Zustand der Nachlässigkeit kommt daher, dass sie aufgehört haben, sich zu bemühen (und zu praktisieren).“
Abschließend hält Dôgen fest:

„Der Dharma kann nicht isoliert im Bild dargestellt werden.“ Denn dazu bedarf es der Unmittelbarkeit und Direktheit der Wirklichkeit des Künstlers. Und er bedauert sehr, dass er kein wirklich lebendiges Bild der Rundheit des Mondes und der Buddha-Natur des großen Meisters Nâgârjuna sehen konnte Denn genau das werde berichtet. Dann und genau dann erfahren wir die Magie des Augenblicks und die Rundheit des Mondes.