Bei der Zazen-Medition erfahren
wir unmittelbar die Magie des Augenblicks und die Buddha-Natur: Der Augenblick
der Gegenwart öffnet unser Potential, ein neuer menschlicher und spiritueller Kosmos. Er lässt hemmende unheilsame
Muster und ungute Prägungen auslaufen und zur Ruhe kommen. Aus dieser Ruhe
können neuen Kräfte, eine neue Lebensfreude und eine neue Kreativität wachsen, für
die kommenden Augenblicke des Tages und das weitere Leben. Das sind dynamische
Augenblicke mit der Kraft aus der Ruhe, die uns trägt.
Dabei ist die oft
missverstanden Leerheit vor Allem und
gerade die Leerheit und Befreiung von hemmenden und verzerrenden Prägungen,
den unguten Mustern des Denkens, Fühlens und Handeln. Also weg damit! Lebensfreude
entsteht dann wie eine sich öffnende Lotos-Blüte. Dreht sie sich dabei, wie
Dogen und Hui Neng sagen? Ich meine, ja, so ist es. Dieser Prozess ist unlösbar
mit der Buddha-Natur verbunden, denn die Buddha-Natur kann es ohne dieses
Entfalten und Wachsen nicht geben. Oder wie Buddha sagt: Dies ist das gemeinsame
Entstehen in Wechselwirkung (pratitya
samutpada). Also eben kein Ding und kein Gegenstand, und wenn diese noch so
vergoldet dargestellt werden. Leben ist kein Ding und keine isolierte Entität,
ein solches Ding müsste dann "verhungern" und schrumpfen. Nichts
gegen Gold aber sicher nicht als das fiktive
fleckige Gold erstarrter Dogmen, Doktrinen und hemmender Prägungen. Eine
solche Befreiung und Emanzipation ist die zentrale Botschaft von Nagarjunas Mittlerem
Weg.
Dôgen skizziert, wie das wahre Bild eines Menschen der
Buddha-Natur aussehen sollte und welche Funktion es haben muss:
„Wenn wir die Augen darauf richten und es
genau ansehen, sollten wir direkt in der Gegenwart ankommen und zufrieden sein,
also keinen (unnützen) Hunger mehr nach einer (doktrinären) Wahrheit haben.“
Im Gegensatz dazu berichtet Dôgen
von einem drückenden Erlebnis auf einer seiner Reisen zu den verschiedenen
Klöstern in China, zum Beispiel zum Kori-Zen-Tempel,
einem der fünf wichtigsten der Song-Periode.
Neben den Darstellungen anderer authentischer Meister der Linie gab es ein Bild
Nâgârjunas, den Dogen außerordentlich schätzte. Das kann ich gut
nachvollziehen, denn ich erkenne immer mehr den tiefen umfassenden klaren, wenn
auch kritischen, Geist dieses großen indischen Meisters in den Schriften Dogens.
So ging es auch meinem Lehrer Nishijima Roshi.
Dôgen wurde damals von einem
Mönch im Kloster herumgeführt, der ihm allerdings ohne Engagement die
verschiedenen Sehenswürdigkeiten zeigte und zur Enttäuschung Dôgens gerade das
Bild Nâgârjunas ohne jede innere Anteilnahme vorstellte. Er beschreibt das Verhalten des Mönchs folgendermaßen:
„Dabei hat er keine Nüstern in seinem Wesen
und keine Worte in seiner Stimme.“
Diese ungewöhnliche
Formulierung bedeutet, dass der Mönch leblos erscheint – die Nüstern sind das Symbol
für das Leben und den Atem. Seine Sprache sei ausdruckslos und teilnahmslos.
Dôgen sagte zum Mönch:
„Dies scheint wirklich das Bild eines Reiskuchens zu
sein!“ Hier hat der Begriff die
abwertende Bedeutung, dass der Reiskuchen nämlich nicht zum Essen und den
Hunger im wahren Leben taugt. Das Bild eines Reiskuchens ist ein berühmter
Ausspruch für fehlende Wirklichkeit und
fehlendes Leben. Der Mönch lachte daraufhin seltsamerweise von ganzem
Herzen und verstand offenbar überhaupt nicht, dass Dôgens Worte eine harsche
Kritik an ihm selbst und seinem flauen Engagement im Buddhismus waren.
Auch die anderen Mönche des
Klosters, die das Gespräch mit anhörten, zeigten kein Verständnis für das Bild
des großen Meisters Nagarjuna. Dôgen nennt sie „Hautsäcke“, um auszudrücken,
dass sie eigentlich keine wahren Menschen auf dem Buddha-Weg sind, nicht
ernsthaft praktizierten und den Dharma nicht kannten. In diesem Zusammenhang bedauert
er den Niedergang des chinesischen Buddhismus, der sich im 13. Jahrhundert
schon abzeichnete.
„Zusammenfassend scheinen (solche
Hautsäcke) die Grenze des klaren Verstehens verloren zu haben: "Für die
Worte ‚die Buddha-Natur haben‘ und ‚ohne (Täuschung) zu sein‘.“
„Sie erwachen nicht aus ihren
(fixierten) Ansichten und Meinungen und (wissen nicht), dass die Buddha-Natur
mit dem lebendigen Denken, der Achtsamkeit und Verwirklichung zusammenhängt.“
Genauso falsch sei es aber ,
beim Thema Buddha-Natur ganz stumm zu bleiben, keine Fragen zu stellen und die
Vernunft nicht ernsthaft zu bemühen, um tiefer einzudringen: „Denkt daran,
dieser Zustand der Nachlässigkeit kommt daher, dass sie aufgehört haben, sich
zu bemühen (und zu praktisieren).“
Abschließend hält Dôgen
fest:
„Der Dharma kann nicht isoliert
im Bild dargestellt werden.“ Denn dazu bedarf es der Unmittelbarkeit und
Direktheit der Wirklichkeit des Künstlers. Und er bedauert sehr, dass er kein wirklich
lebendiges Bild der Rundheit des Mondes
und der Buddha-Natur des großen Meisters Nâgârjuna
sehen konnte Denn genau das werde berichtet. Dann und genau dann erfahren wir die
Magie des Augenblicks und die Rundheit des Mondes.