Als ich meinen späteren
Lehrer Nishijima Roshi 1996 in seinem Zentrum in Tokyo kennenlernte, arbeitete
er intensiv an einer eigenen Übersetzung eines großen buddhistischen Werkes des
berühmten indischen Meisters Nāgārjuna.
Es handelte sich um dessen Lehrgedicht in Versen über den Mittleren Weg (abgekürzt MMK – abgeleitet von Mūlamadhyamakakārikā, wie es in der indischen Sprache Sanskrit
heißt).
Nishijima Roshi war vom MMK
so fasziniert, dass er mit über 60 Jahren noch Sanskrit lernte, um es in der
Originalsprache verstehen und interpretieren zu können. Wie er mehrfach
betonte, hatte er erhebliche Übereinstimmungen mit dem berühmten fundamentalen
Werk Shōbōgenzō von Zen-Meister Dōgen festgestellt, und er wollte herausfinden,
ob dieser Ansatz einer vertieften Analyse standhalten würde. Er fragte sich:
Haben diese großen Meister den authentischen und wahren Buddhismus verwirklicht
und in die Sprache gebracht? Zweifellos waren sie selbst buddhistische Meister und
keine Wissenschaftler und hatten daher eigene tiefe Erfahrungen. Denn wer nicht
selbst praktiziert und meditiert, kann nicht authentisch vom Buddhismus durch
eigene Wirklichkeit berichten.
So hat sich Nishijima Roshi
über 25 Jahre lang gründlich mit dem MMK beschäftigt, bis ins hohe Alter daran
gearbeitet und dabei seine Fassungen immer wieder verfeinert. Zusammen mit
seinem Schüler, dem bekannten buddhistischen Lehrer und seinem Nachfolger Brad Warner, hat Nishijima ein
umfassendes Werk zu Nāgārjuna herausgegeben.[i] Das war
aus meiner Sicht ein Meilenstein in eine neue Ära das Buddhismus. Dabei ist er
ganz neue Wege des Verständnisses und der Auslegung gegangen. Auf der Grundlage
seiner tiefen praktischen und theoretischen Erfahrungen im Zen-Buddhismus und,
wie er selbst sagt, durchaus mit diesem Raster des tiefen Verstehens im
Buddhismus ist er meines Erachtens in ganz neue Bereiche der Bedeutung des
MMK vorgestoßen. Die Reaktionen in der Fachwelt reichten von begeisterter
Zustimmung bis zur deutlichen Ablehnung. Das war nicht anders zu erwarten. Nishijimas
Roshis Arbeitsbasis möchte ich nun weiter ausbauen. Ich habe mehr als 17 Jahe mit ihm zusammen gearbeitet.
Vor seiner Übersetzung des
MMK hatte Nishijima Roshi bereits in über 40-jähriger sorgfältiger Arbeit das
fundamentale japanische Werk Shōbōgenzō
(„Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“) des großen Zen-Meisters Dōgen völlig neu bearbeitet und zusammen
mit seinem Schüler Chodo Cross ins
Englische übertragen. Diese vierbändige Fassung hat sich in Fachkreisen
weltweit durchgesetzt und bildet heute eine zentrale Grundlage der Arbeiten zum
Zen-Buddhismus und insbesondere zu Meister Dōgen.[ii]
Einige Jahre nach der
englischen Übersetzung des Shōbōgenzō
durch Nishijima und Cross legte Ritsunen
Linnebach eine deutsche Fassung vor, an der ich etwa acht Jahre lang
mitgearbeitet habe.[iii] Ein wichtiger Band des Shobogenzo ist zudem in Spanisch erschienen (Luis Diaz).
Tanahashi: Kraftvolle Mitte
In der Zwischenzeit wurde eine zweite m. E. ausgezeichnete englische Ausgabe des Shōbōgenzō unter der Leitung von Kazuaki Tanahashi [iv] herausgegeben, sodass uns im Westen nun drei wirklich verlässliche Fassungen dieses Grundlagenwerks des Zen-Buddhismus zur Verfügung stehen. Dadurch erlebte die Dōgen-Forschung einen nachhaltigen Aufschwung, und viele irritierende und ungenaue Darstellungen des Zen-Buddhismus sind hinfällig geworden. Insbesondere muss der Irrglaube ausgeräumt werden, dass paradoxe unverständliche Aussagen das Wichtigste des Zen seien, denn gerade das Gegenteil ist der Fall. Allerdings ist der Zen trans-intellektuell und von weit ausholender und tiefgründiger Vernunft, die umfassend die Dynamik von Geist-Psyche-Körper untersucht. Philosophisch möchte ich diese Methode als Phänomenologie bezeichnen, im Buddhismus übrigens weit früher entwickelt als in der westlichen Philosophie. So hat Buddha m. E. schon vor 2500 Jahren die Vernetzung der Natur und des Menschen erkannt. Im Westen haben wir etwas länger gebraucht! Der Zen geht seine Themen, Fragen und Probleme aus unterschiedlichen Sichtweisen an. Das mag manchen westlichen Leser verwirren, da die einfache Logik von Ja-oder-Nein-Aussagen verlassen wird. Auf diese Weise werden jedoch die zentralen Bereiche des sich entwickelnden und emanzipierenden Menschen erst in der nötigen Klarheit und Tiefe sichtbar und können gefördert werden. Der Mensch ist keine Maschine, die entweder funktioniert oder kaputt ist.
Tanahashi: Kraftvolle Mitte
In der Zwischenzeit wurde eine zweite m. E. ausgezeichnete englische Ausgabe des Shōbōgenzō unter der Leitung von Kazuaki Tanahashi [iv] herausgegeben, sodass uns im Westen nun drei wirklich verlässliche Fassungen dieses Grundlagenwerks des Zen-Buddhismus zur Verfügung stehen. Dadurch erlebte die Dōgen-Forschung einen nachhaltigen Aufschwung, und viele irritierende und ungenaue Darstellungen des Zen-Buddhismus sind hinfällig geworden. Insbesondere muss der Irrglaube ausgeräumt werden, dass paradoxe unverständliche Aussagen das Wichtigste des Zen seien, denn gerade das Gegenteil ist der Fall. Allerdings ist der Zen trans-intellektuell und von weit ausholender und tiefgründiger Vernunft, die umfassend die Dynamik von Geist-Psyche-Körper untersucht. Philosophisch möchte ich diese Methode als Phänomenologie bezeichnen, im Buddhismus übrigens weit früher entwickelt als in der westlichen Philosophie. So hat Buddha m. E. schon vor 2500 Jahren die Vernetzung der Natur und des Menschen erkannt. Im Westen haben wir etwas länger gebraucht! Der Zen geht seine Themen, Fragen und Probleme aus unterschiedlichen Sichtweisen an. Das mag manchen westlichen Leser verwirren, da die einfache Logik von Ja-oder-Nein-Aussagen verlassen wird. Auf diese Weise werden jedoch die zentralen Bereiche des sich entwickelnden und emanzipierenden Menschen erst in der nötigen Klarheit und Tiefe sichtbar und können gefördert werden. Der Mensch ist keine Maschine, die entweder funktioniert oder kaputt ist.
Die beiden Werke von Nāgārjuna
und Dōgen markieren für mich Sternstunden
des buddhistischen Lebens und Geistes. Auf ihnen möchte ich meine weitere
Arbeit aufbauen. Dabei folge ich grundsätzlich der Zielsetzung Nishijima
Roshis, beide Denker und großen buddhistische Meister in Beziehung zueinander
zu setzen, zur fruchtbaren Wechselwirkung zu bringen und für den Westen
verfügbar zu machen.
Link: English Version
Link: English Version
[i] Nagarjuna:
Fundamental Wisdom of the Middle Way. Nagarjuna’s Mulamadhyamakakarika.
Translation by Gudo Wafu Nishijima, Commentary by Gudo Wafu Nishijima and Brad
Warner
[ii] Dogen: Shobogenzo
(translated by Gudo Nishijima and Chodo Cross), englisch
[iii] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, deutsch
[iv] Dogen; Tanahashi,
Kazuaki (Editor): Shobogenzo. Treasury of the True Dharma Eye