Montag, 14. Februar 2022

Erwachen, scharfer Geist und Blüten: Harmonie oder Gegensatz?

 Zaubernuss, Hamamelis

Ein alter Meister hatte über dreißig Jahre seines Lebens Zazen praktiziert. Das ist die spezielle im Zen täglich geübte Meditation, die keine  besondere Konzentration erfordert, sondern vor Allem in richtiger Körperhaltung verwirklicht wird. Meister Dogen sagt dazu; "Körper und Geist fallen lassen" oder "Nichts als sitzen". Das ist nach meinem Verständnis die authentische Meditation Buddhas der Vierten Vertiefung, Jhana, also einfach ohne Grenzen und offen in Wechselwirkung mit dem Universum sitzen.

Eines Tages blickte der alte Meister auf einer Wanderung in den Bergen von einer Anhöhe hinab in ein anmutiges Tal. Es war Frühling und die Pfirsichbäume standen in voller Blüte. Er war im Jetzt und Augenblick, ohne etwas Besonders zu wollen und ohne Ziel-Orientierung und ohne Ziel-Objekt. Er war entspannt und relaxt, wie wir heute sagen würden.

Plötzlich verwirklichte sich die große Wahrheit, direkt, ohne sich anzustrengen mit Glückswellen, die ihn durchströmten. Eigentlich ganz einfach. Ihm kam spontan folgendes Gedicht in den Sinn:

„Dreißig Jahre lang ein Wanderer auf der Suche nach dem Schwert.

Wie viele Male fielen die Blätter und sprossen die Knospen?

Mit einem Mal die Pfirsichblüten hier im Tal.

Angekommen im Jetzt. Ich habe keine Zweifel mehr.“

Das Schwert ist ein Symbol für die Präzision des Geistes, oft falsch gedeutet als Intellekt und Gedanken-Schärfe. Angeblich kann man durch äußerste gedankliche Konzentration die Leerheit verstehen und Erleuchtung erlangen. Man müsse sich nur genügend anstrengen. Das scharf trainierte Schwert werde alle Verwirrungen und Knoten des Lebens zerschlagen, so dass man zur Wirklichkeit gelangt: Schöne Worte, richtig beeindruckend! Da stimmt aber etwas nicht. Philosophie reicht eben nicht.

Das Schwert hat eine ähnliche symbolische Bedeutung wie der Diamant, der durch seine Schärfe das Dickicht aus vorgefassten Meinungen, Bewertungen und angelernten Gedanken zerschneiden soll. Müssen wir unseren Diamanten hart trainieren und mit aller Härte scharf machen?

Das Gedicht sagt etwas ganz anderes! Und ich finde es glaubhaft: Ein direktes klares Gefühl der Einheit in der Schönheit der Natur, die von selbst eine klaren Geist entstehen lässt. Ein intuitives Gemeinsames, das Ruhe, Gleichgewicht und Freude entstehen lässt. Der Frühling ist dafür eine besonders gute Zeit.


Aber ganz von allein kam die Befreiung und das Glück natürlich nicht: Der alte Meister hatte jeden Tag Zazen praktiziert und sich damit von unnötigen Zwängen des allzu normalen Lebens befreit. Das nennt mein Lehrer Nishijima Roshi die erste Erleuchtung. Er kannte natürlich die buddhistischen Schriften wie die Vier Edlen Wahrheiten und den Mittleren Weg; vor Allem die Lehren der großen Zen-Meister. Denn im Gedicht geht es um die große Erleuchtung. 

 Meister Dogens Texte:  zur Natur 

                             Das verwirklichte Universum 

                             Zen-Meditation