Der große indische Meister Vasumitra war der siebten authentische Nachfolger Buddhas. Er lehrte: Der Geist ist die wirkliche Welt des Raumes. Der offene Raum ist die Vierte Vertiefung der Meditation, im Zen. Das war für Meister Dogen die offene Tür zur vollständigen Erleuchtung. Der im menschlichen Gehirn „eingesperrte“ primitiv- unterscheidende Geist ist leider durch die Schädel-Decke begrenzt. Aber im Erwachen öffnet sich der Geist und wird groß und weit wie der Raum, ohne Grenzen. Er verlässt dann den viel zu engen Schädel des Ego, befreit sich und durchdringt das Universum. Das erleben wir in der wahren Meditation.
Raum und Zeit haben seit dem Beginn der menschlichen Kultur immer wieder Philosophen und große Denker angeregt. Es wurden komplizierte Theorien und schwer verständliche Erklärungen hierfür entwickelt. Aber meist kamen die Philosophen nicht über nachträgliches Denken über den Raum hinaus, sie lebten nicht in der Fülle des Augenblicks. Was sagt dazu der Zen?
Über den Raum theoretisch nachzudenken, reicht nicht. Der Raum muss erlebt werden: Wunderbar, wenn die Begrenzungen sich auflösen. Das habt ihr sicher schon erlebt. Die Wahrnehmung der Form und des Räumlichen haben eine sehr große Bedeutung für unser Leben hier und jetzt. Denn was ist das Hier anderes als der Raum? Zeit, Raum und Leben im Augenblick lassen sich nicht wirklich trennen, weil man dann verarmt, leider.
In diesem Kapitel geht es um den höchsten dem Menschen
zugänglichen Zustand der umfassenden Wirklichkeit des Buddhismus. Das ist das
Erwachen, die Erleuchtung und die Lebensfreude: die ganze umfassende Wahrheit. Und das Erwachen und die Lebensfreude kann jeder Mensch nach Buddha verwirklichen, es hängt nicht allein von
intellektueller Geistes-Schärfe ab. Oft verhindert die Intellektualität sogar
die Befreiung und Öffnung zum Erlebnis des Raumes. Im Westen glauben viele
bekanntlich an einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Materiellem und
Ideellem. Aber das führt wirklich nicht weiter und ist eigentlich schon längst
Geschichte.
„In den Sūtras heißt es, dass ein Haar den großen
Ozean verschlingt und ein Mohn-Korn den Berg Sumeru umfasst. Sind dies auch
Beispiele übernatürlicher Fähigkeiten glänzender Leistungen oder sind sie nur wirkliche Tatsachen, wie sie sind?“
Wie reagierte der Nicht-Theoretiker Fuke? Er stieß
daraufhin mit einem kraftvollen Ruck den ganzen festlich gedeckten Tisch um, an
dem er und Rinzai als Gäste mit den vornehmen Gastgebern der Oberschicht saßen.
Er sagte laut und deutlich:
„Dies ist ein
Ort, wo etwas Unfassbares da ist.“
Fuke wollte klarstellen, dass Rinzais Überlegungen viel
zu theoretisch und spekulativ waren. Er handelte glasklar im Hier und Jetzt,
also im Raum und im Augenblick, allerdings nicht gerade höflich, als er den
Tisch umwarf. Wo soll man den sonst handeln als im Raum? Offensichtlich fand er Rinzais abstrakte Gedankengänge zu überspannt
und wollte die Gruppe ohne gelehrte Worte durch direktes Handeln in der Gegenwart von den theoretischen „Denknestern“ befreien. Seine Feststellung
„Dies ist ein Ort, wo etwas Unfassbares da ist“ ist dann in die Geschichte des Zen
eingegangen.
Dōgen zitiert eine Zeile aus einem Gedicht seines eigenen großen
Meisters:
„Der ganze
Körper ist wie ein Mund, der im Raum hängt.“
Diese Aussage erscheint zunächst eigenartig, Was ist
gemeint? Die Windglocke, die im Raum hängt, wird mit dem Mund gleich gesetzt und
ist viel mehr als ein physischer Ton oder ein unmelodisches Geräusch. Ich denke dabei
an unsere Sesshin in Südtirol, wo wir im Hof eines alten Kapuzinerklosters
Zazen praktizierten und die Windglocke uns bei jedem Windhauch ihre Melodie sang: Wir konnten so die Ganzheit von Raum, Zeit
und Windglocke selbst erleben.
1. Link: Ganz neuer Film, English, 8 awards (!) Zen
2. Link: Vertiefen: Raum und Leben