Eher ungewöhnlich in den Nachkriegsjahren, beschäftigte sich Yudo Jürgen Seggelke früh mit Buddhismus, zunächst über Bücher, schließlich fand er in Berlin eine Gruppe. Vor allem Zen und die damit verbundene Kultur begeisterten ihn. Während einer beruflichen Reise 1996 nach Tokio arrangierten seine Gastgeber deshalb ein Treffen mit Gudo Wafu Nishijima, der sein Lehrer werden sollte. Diese Begegnung, die anschließenden mehrfachen Aufenthalte in dessen Zendo in Tokio, die formale Ausbildung in der Dogen-Sangha, aber auch die persönliche Freundschaft und kurz sogar eine Wohngemeinschaft mit Nishijima prägten sein weiteres Leben. Die Übertragung des Dharma durch ihn sah Yudo Jürgen Seggelke immer als Auftrag, das Werk von Nishijima weiterzuführen.
Nishijima und Ritsunen Gabriele Linnebach planten um die Jahrtausendwende eine deutsche Ausgabe von Dogen Zenjis Shobogenzo. Da Yudo Jürgen Seggelke als Mitübersetzer von buddhistischen Texten einer koreanischen Meisterin bereits entsprechende Erfahrung hatte, konnte er an der Übertragung der ersten drei Bände der im Kristkeitz verlegten Ausgabe mitarbeiten. Diese intensive Beschäftigung mit Dogens Hauptwerk wurde zugleich zur Grundlage für viele seiner weiteren Bücher und Vorträge.
In den Folgejahren hat er zunächst einen Verlag gegründet. Dort erschienen neben seinen Kommentaren zu allen 95 Faszikeln des Shobogenzo auch von ihm übersetzte Texte, Radiovorträge und Aufsätze seines Lehrers Nishijima. In weiteren Büchern fasste er einzelne Kapitel des Shobogenzo thematisch zusammen, etwa zur Buddhanatur, zur buddhistischen Ethik oder zum Erwachen, und erläuterte ausführlich deren Bedeutung für die Gegenwart.
Als 2011 Nishijimas englische Ausgabe des Mulamadhyamakakarika, der Lehrstrophen über die grundlegenden Lehren des Mittleren Weges, erschien, dieses Hauptwerkes des buddhistischen Philosophen und Lehrers Nagarjuna, entschloss sich Yudo Jürgen Seggelke, den Text direkt aus dem Sanskrit neu zu übersetzen und ihn mit Bezug auf den Kommentar seines Lehrers sowie ausführlichen eigenen Erläuterungen für Interessierte vorzulegen. Unterstützt wurde er dabei von Elisabeth Steinbrückner. Die Arbeit an diesem Werk sollte sieben Jahre beanspruchen und drei Bände mit etwa 1 000 Seiten und abschließend eine für eine breitere Öffentlichkeit gedachte Zusammenfassung zum Ergebnis haben.
Seit etwa 15 Jahren nutzte Yudo Jürgen Seggelke die Möglichkeiten des Internets, beschrieb seine Erfahrungen beim Zazen und veröffentlichte Beiträge zum Bogenschießen (kyudo), zum Spiel der japanischen Bambusflöte (shakuhachi) sowie über Mystik in der christlichen Tradition, besonders zu Franz von Assisi.
Seine Energie reichte, dass er wenige Wochen vor seinem Tod noch sein nun letztes großes Projekt zu Ende bringen konnte: die Übersetzung und Kommentierung eines Lehrgedichtes von Vasubandhu, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des Mahayana. Es wird ein besonderes Vermächtnis sein.
Yudo Jürgen Seggelke war, bei allem Einsatz für ein verbessertes Verständnis von Zen aus der Tradition Dogen Zenjis, kein doktrinärer Eiferer. In den Beschreibungen seiner Begegnungen mit den für ihn wichtigen Menschen, Büchern und Traditionen schwingt die Offenheit mit, die ihn am Zen-Weg begeistert hat. Wer ihn kennenlernen durfte, hat auch ihn als begeisternd erlebt.
Eberhard Gensa Kügler