Dienstag, 10. Januar 2017

Es ist kein gewöhnlicher Name: Buddha-Natur



Als der Meister Dai-i einem ganz ungewöhnlichen Kind begegnete, fragte er: „Was ist dein Name?“
Dessen Antwort lautete: „Ich habe einen Namen, aber es ist kein gewöhnlicher Name.“

Die Formulierung „Was ist dein Name?“ bedarf der Erläuterung. In der Umgangssprache würden wir sicher fragen: „Wie ist dein Name?“ oder „Wie heißt du?“ Das Wort „was“ fragt hier aber nach der menschlichen Wirklichkeit, der wahren unfassbaren Existenz und der umfassenden Bedeutung eines Menschen. Es geht also darum, den zufällig von der Familie gegebenen Namen beiseitezulassen und auf das Wesentliche des Menschen zu kommen.

Selbstverständlich stellt sich hier die Frage, inwieweit ein Mensch überhaupt vollständig zu beschreiben ist und inwieweit sein Geist erfasst werden kann. Dôgen ist diesen Themen in mehreren Kapiteln des Shôbôgenzô tiefgründig nachgegangen.[i]

Kurz gesagt wird im Zen-Buddhismus gelehrt, dass der Geist und damit der Mensch insgesamt unfassbar ist, aber wirklich ist und existiert. Dies hört sich zunächst wie ein Gegensatz an, ist es aber nicht. Auch die moderne Systemtheorie spricht zum Beispiel davon, dass die Komplexität der Welt unendlich ist, also niemals vollständig erforscht werden kann.

Meister Dai-i fragte weiter: „Was für ein Name ist es?“
Der Junge antwortete: „Es ist die Buddha-Natur.“

Der Meister stellte daraufhin fest: „Du bist die Buddha-Natur, du bist ohne.
Soll das bedeuten, dass das Kind ohne Buddha-Natur ist? Das Gegenteil ist richtig, denn die Buddha-Natur selbst wird durch das Wort „ohne“ gekennzeichnet. Die Formulierung „ohne“ oder „nicht“ wird im Zen-Buddhismus dafür verwendet, dass der Mensch die Buddha-Wahrheit erlangt hat und gerade deshalb ohne Restriktionen, Vorurteile und Täuschungen lebt. Sein Körper-und-Geist sind eine Ganzheit und frei, das heißt, er ist die Buddha-Natur, sein Wahrheits-Wesen.

Und folgerichtig ergänzte der Meister: „Die Buddha-Natur ist Leerheit. Wir sagen daher, dass es das Wesen ohne (Täuschungen ist).“

Dôgen bringt in diesem Zitat zum ersten Mal den Begriff der Leerheit ein, der mit diesem Kôan-Gespräch tradiert wurde. Im Shôbôgenzô verwendet er diesen Begriff kaum, und auch Nishijima benutzt ihn selten. Denn die Leerheit ist immer wieder Anlass für Fehlinterpretationen und skurrile Vorstellungen, die nicht weit vom lebensfeindlichen Nihilismus und Sarkasmus entfernt sind, also mit Buddhismus nicht viel gemeinsam haben.

Anmerkung: Für zwei Wochen fahre ich morgen in den Urlaub.
Bis bald, Yudo






[i] vgl. auch Seggelke, Yudo J.: ZEN-Geist – Durchbruch zur Klarheit