Sonntag, 12. Februar 2017

Klare Existenz ist unser wahre Buddha-Name


Im Gespräch zwischen Meister Dai-i und dem ungewöhnlichen Jungen Daiman heißt es: Die Aussage des Jungen „Ich habe einen Namen, aber es ist kein gewöhnlicher Name“ besagt, dass es nicht um den Familiennamen geht, sondern um das wahre Leben und die klare Existenz selbst. Nach Dôgen sagt Daiman also nichts anderes als:

„Klare Existenz ist unser (wahre Familien-)Name“,

und fügt hinzu, dass das existenzielle Leben im Hier und Jetzt gemeint ist – ganz konkret und nicht im abstrakten allgemeinen Sinne.

Bei dem Gespräch geht es um ein konkretes „Dieses hier“ und um das unfassbareWas“ des Menschen. Dôgen formuliert:

„Wir können (das Was) zum Beifuß-Tee[i], zum Grünen Tee und zum alltäglichen Tee und zum Essen jedes Tages machen.“

Dann verdeutlicht er, dass „Dies“ die Buddha-Natur und unser natürliches Leben ist. Damit betont er das Konkrete des Hier und Jetzt und schließt das Ausweichen auf abstrakte Vorstellungen und Theorien von der Buddha-Natur aus. Was und Dies sind identisch mit Buddha, also mit dem erwachten

Zustand. Nishijima und Cross[ii] erläutern hierzu, dass die konkrete Wirklichkeit genau im Hier und Jetzt, in jeder Umgebung und unter allen Umständen immer die Buddha-Natur ist. Dies ist eine ganz zentrale und bedeutsame Aussage, denn die Wirklichkeit gibt es nur im Handeln und der Klarheit des gegenwärtigen Augenblicks. Das ist unsere wahre Natur, die aber nicht durch ein abgegrenztes Ich verwirklicht werden kann, sondern nur in der ethischen, verantwortungsvollen Ganzheit mit anderen Menschen, der Umwelt und dem ganzen Universum. Diese Wirklichkeit besteht auch, wenn wir falsch handeln, also das „Dies“ nicht richtig ist. Aber dann entwickeln wir uns an der Wahrheit des "Dies". Die Wirklichkeit ist ja unabhängig von Fehlleistungen und Bewertungen.

„Daher ist Dieses (hier) das Was, und es ist Buddha. Und wenn es frei und rein geworden ist, ist es zur gleichen Zeit immer ein Name.“

Das ist ein typische scheinbar paradoxe Zen-Aussage. Aber scheinbare Paradoxien habe oft gerade eine wahren starken Kern, der in der Umgangssprache durch die Logik "weg-geschafft" wurde, weil diese Wahrheit umgangen werden sollte. Was sagt nun Dôgen? Er erläutert, dass ein solcher Name auch der Familienname sein kann, der dann aber über seine herkömmliche gesellschaftliche Bedeutung hinausgeht. Dann sind Name und Buddha-Natur identisch! Damit ist jedoch der gewöhnliche Familienname nicht überflüssig, denn er hat durchaus eine notwendige Funktion in der Gesellschaft.

In diesem Sinne sind laut Dôgen auch Bilder und Vorstellungen nicht sinnlos, denn auch sie haben eine bestimmte, aber begrenzte Funktion in der sozialen Welt, in der wir leben. Er erläutert dies an dem berühmten Beispiel vom Bild eines Reiskuchens, das im Zen-Buddhismus von Schülern oft fälschlicherweise nur negativ verstanden wird, da man das Bild eines Reiskuchens nicht essen könne.[iii] Das ist zweifellos richtig, denn Bilder sind keine physische Nahrung. Aber sie können eine sehr wichtige Bedeutung erhalten und haben wichtige Funktionen auch und gerade im Buddhismus. Analog haben Bilder, Fresken und die Glasmalerei im Christentum tiefe spirituelle Bedeutungen.[iv] Es kommt darauf an, ob das Bild uns die direkte Wirklichkeit und spirituelle Wahrheit bringt oder nicht.[v] Und ob eine weiterführende Wechsel-Wirkung mit uns in Gang kommt: Buddha-Natur in diesem Augenblick!



[i] Englisch: mugwort
[ii] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 9, Fußnote 39
[iii] Kap. 40, ZEN Schatzkammer, Bd. 2, S. 133 ff.: „Was bedeutet das Bild eines Reiskuchens? (Gabyô)
[iv] vgl. Avila, Teresa von: Wohnungen der Inneren Burg
[v] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 9, Fußnote 40, Kap. 40