Dienstag, 8. Januar 2019

Gutes Leben und Buddhas Achtfacher Pfad, Teil 2

(Aus meinem neuen Buch "Sternstunden des Buddhismus")


Als fünften Zweig des Achtfachen Pfades nennt Buddha den rechten Lebenswandel bzw. den rechten Lebenserwerb. Darunter versteht er den ethisch einwandfreien Erwerb für den eigenen Lebensunterhalt. Es geht also um einen Beruf, der ethisch einwandfrei ist und wenn möglich anderen Menschen hilft, um eine angemessene Erwerbstätigkeit, die andere nicht betrügt, ausbeutet oder mit völlig überhöhten Gewinnen operiert. Dazu würde ich zum Beispiel die Berufe im Gesundheitswesen, Umweltschutz oder Tierschutz zählen. Keinesfalls gehören dazu berufliche Tätigkeiten in der Prostitution, beim Menschenhandel, beim Handel mit Drogen, Rauschmitteln und bei Glücksspielen oder im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Menschen und Umwelt. Neue Suchtgefahren werden durch das Internet erzeugt!

Ohne die rechte Bemühung, also Anstrengung und Ausdauer, als sechstem Zweig kann man den buddhistischen Weg der Überwindung des Leidens nicht gehen. Dieses Bemühen umfasst den gesamten Körper-und-Geist und verbindet im Klosterleben den Meister mit seinen Mönchen. Auch hier betont Buddha, dass „üble unheilsame geistige Gegebenheiten entweder gar nicht erst entstehen oder aber überwunden und abgebaut werden müssen“.[i] Dafür lohnt es, sich anzustrengen, Willenskräfte zu entwickeln und auf dem Weg durchzuhalten, denn es ist häufig durchaus notwendig, gewisse kämpferische Energien zu entwickeln, um Schwierigkeiten überwinden zu können. Neues ethisches Handeln und Denken muss entwickelt oder – wie es in der buddhistischen Literatur oft heißt –„kultiviert“ werden. Wie wir aus der Gehirnforschung wissen, entstehen dabei neue aktive Teilsysteme und Bahnungen im neuronalen Netz. So können psychische Energien aus Konflikten für zukunftsweisende Lernprozesse mobilisiert werden. Diese können durchaus mit Freude und Glücksgefühlen verbunden sein.[ii]

Tanahashi Kasuaki 

Der siebte Zweig ist die rechte Achtsamkeit in ihrer bereits erwähnten umfassenden Bedeutung. Sie fordert vor allem Offenheit und Klarheit gegenüber sich selbst. Wer ein ethisch unrechtes Leben führt und sich eine Weltanschauung zurechtgelegt hat, die Ethik außer Acht lässt, wird nach meiner festen Überzeugung große Schwierigkeiten haben, überhaupt zur Klarheit zu gelangen, die Buddha hier anspricht, um entsprechend ein achtsames Leben gegenüber anderen und sich selbst zu führen.

Die Betrachtung und Analyse der eigenen Gefühle ist von zentraler Bedeutung, um eine solche klare Sichtweise von sich selbst, von seinen eigenen Motiven, Ängsten und Hoffnungen zu gewinnen. Die Betrachtung ohne Selbsthass und Selbstbeschönigung ist natürlich nicht einfach und wird besonders erschwert, wenn in der Gesellschaft verhärtete moralische Strukturen und Ideologien vorherrschen und die Menschen in unnatürlicher Weise einengen.

Sigmund Freud hat auf der Grundlage der weitgehend verlogenen Moral seiner Zeit das Phänomen der Verdrängung erkannt und therapeutisch behandelt.[iii] Nach seiner Theorie ist das von der Gesellschaft moralisch fixierte Wissen im sogenannten Über-Ich zentralisiert, steuert das Bewusstsein und lässt viele Gefühle überhaupt nicht zu. Dadurch entstehen Verdrängungen, die wiederum als Krankheitssymptome zum Beispiel bei Zwangshandlungen und anderen neurotischen Erkrankungen großen psychischen Schaden anrichten. Die Selbstanalyse wird aus Angst und aufgrund verdrängter bzw. verzerrter Vorstellungen stark behindert oder unmöglich gemacht.

Dōgen kritisiert, dass einige buddhistische Gruppen behaupten, Achtsamkeit sei überhaupt nicht erforderlich. Er bezeichnet solche Menschen als Nicht-Buddhisten und zitiert dazu Bodhidharma, der zu seinen vier Schülern sagte: „Du hast meine Haut, mein Fleisch, meine Knochen und mein Mark erhalten, und dies ist genau die richtige Achtsamkeit des Achtfachen Pfades.“


Als letzten und achten Zweig bespricht Buddha den Samādhi, also die Meditation und Sammlung. Er ist in allen buddhistischen Schulen von zentraler Bedeutung, denn ohne Samādhi gibt es keine Erleuchtung. So bezeichnet zum Beispiel Dōgen die Zazen-Praxis als „König der Samādhis“.[iv] Mithilfe der Meditation könne man sich von Gedanken und Vorstellungen befreien – auch von der einseitigen Abhängigkeit von den großen Meistern (!) und buddhistischen Vorfahren im Dharma (!). Der Samādhi ist die „Lebendigkeit der Nüstern“, die im alten China als Symbol für das wirkliche Leben galten, weil man durch die Nase die Luft ein- und ausatmet. Die Meditation öffnet dabei sozusagen das begrenzte „Denken unseres Schädels“.[v] In den allgemeinen Richtlinien Dōgens zum Zazen (Fukan zazengi) heißt es, dass wir aus dem „Nicht-Denken denken sollen“ und damit das übliche, dualistische und bewertende Ja-Nein-Denken überschreiten.[vi]





[i] Gäng, Peter: Meditationstexte des Pali-Buddhismus I, S. 39ff.
[ii] Hüther, Gerald: Was wir sind und was wir sein könnten
[iii] vgl. Freud, Sigmund: Psychologie des Unbewussten
[iv] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 3, S. 327ff.
[v] Dogen: Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 4, S. 24
[vi] Nishijima, Gudo Wafu; Seggelke, Yudo J.: Die Kraft der ZEN-Meditation. Im Auge des Zen, Bd. 4, S. 35ff.