Als fünften Zweig des Achtfachen Pfades nennt Buddha
den rechten Lebenswandel bzw. den rechten Lebenserwerb. Darunter versteht
er den ethisch einwandfreien Erwerb für den eigenen Lebensunterhalt. Es geht
also um einen Beruf, der ethisch einwandfrei ist und wenn möglich anderen
Menschen hilft, um eine angemessene Erwerbstätigkeit, die andere nicht betrügt,
ausbeutet oder mit völlig überhöhten Gewinnen operiert. Dazu würde ich zum
Beispiel die Berufe im Gesundheitswesen, Umweltschutz oder Tierschutz zählen.
Keinesfalls gehören dazu berufliche
Tätigkeiten in der Prostitution, beim Menschenhandel, beim Handel mit Drogen,
Rauschmitteln und bei Glücksspielen oder im Zusammenhang mit der Ausbeutung von
Menschen und Umwelt. Neue Suchtgefahren werden durch das Internet erzeugt!
Ohne die rechte
Bemühung, also Anstrengung und Ausdauer, als sechstem Zweig kann man den
buddhistischen Weg der Überwindung des Leidens nicht gehen. Dieses Bemühen
umfasst den gesamten Körper-und-Geist und
verbindet im Klosterleben den Meister mit seinen Mönchen. Auch hier betont
Buddha, dass „üble unheilsame geistige Gegebenheiten entweder gar nicht erst
entstehen oder aber überwunden und abgebaut werden müssen“.[i] Dafür lohnt
es, sich anzustrengen, Willenskräfte zu entwickeln und auf dem Weg
durchzuhalten, denn es ist häufig durchaus notwendig, gewisse kämpferische
Energien zu entwickeln, um Schwierigkeiten überwinden zu können. Neues ethisches Handeln und Denken muss
entwickelt oder – wie es in der buddhistischen Literatur oft heißt
–„kultiviert“ werden. Wie wir aus der Gehirnforschung wissen, entstehen dabei
neue aktive Teilsysteme und Bahnungen im neuronalen Netz. So können psychische
Energien aus Konflikten für zukunftsweisende Lernprozesse mobilisiert werden.
Diese können durchaus mit Freude und Glücksgefühlen verbunden sein.[ii]
Der siebte Zweig ist die rechte Achtsamkeit in ihrer bereits erwähnten umfassenden
Bedeutung. Sie fordert vor allem Offenheit und Klarheit gegenüber sich selbst.
Wer ein ethisch unrechtes Leben führt und sich eine Weltanschauung
zurechtgelegt hat, die Ethik außer Acht lässt, wird nach meiner festen
Überzeugung große Schwierigkeiten haben, überhaupt zur Klarheit zu gelangen,
die Buddha hier anspricht, um entsprechend ein achtsames Leben gegenüber
anderen und sich selbst zu führen.
Die
Betrachtung und Analyse der eigenen Gefühle ist von zentraler Bedeutung, um
eine solche klare Sichtweise von sich selbst, von seinen eigenen Motiven,
Ängsten und Hoffnungen zu gewinnen. Die Betrachtung ohne Selbsthass und
Selbstbeschönigung ist natürlich nicht einfach und wird besonders erschwert,
wenn in der Gesellschaft verhärtete moralische Strukturen und Ideologien
vorherrschen und die Menschen in unnatürlicher Weise einengen.
Sigmund
Freud hat auf der Grundlage der weitgehend verlogenen Moral seiner Zeit das
Phänomen der Verdrängung erkannt und therapeutisch behandelt.[iii] Nach
seiner Theorie ist das von der Gesellschaft moralisch fixierte Wissen im
sogenannten Über-Ich zentralisiert, steuert das Bewusstsein und lässt viele
Gefühle überhaupt nicht zu. Dadurch entstehen Verdrängungen, die wiederum als
Krankheitssymptome zum Beispiel bei Zwangshandlungen und anderen neurotischen
Erkrankungen großen psychischen Schaden anrichten. Die Selbstanalyse wird aus Angst und aufgrund verdrängter bzw.
verzerrter Vorstellungen stark behindert oder unmöglich gemacht.
Dōgen kritisiert, dass einige buddhistische Gruppen
behaupten, Achtsamkeit sei überhaupt nicht erforderlich. Er bezeichnet solche
Menschen als Nicht-Buddhisten und zitiert dazu Bodhidharma, der zu seinen vier Schülern sagte: „Du hast meine
Haut, mein Fleisch, meine Knochen und mein Mark erhalten, und dies ist genau
die richtige Achtsamkeit des Achtfachen Pfades.“
Als letzten und achten
Zweig bespricht Buddha den Samādhi, also die Meditation und Sammlung. Er ist in
allen buddhistischen Schulen von zentraler Bedeutung, denn ohne Samādhi gibt es keine Erleuchtung. So
bezeichnet zum Beispiel Dōgen die Zazen-Praxis als „König der Samādhis“.[iv]
Mithilfe der Meditation könne man sich von Gedanken und Vorstellungen befreien
– auch von der einseitigen Abhängigkeit von den großen Meistern (!) und
buddhistischen Vorfahren im Dharma (!). Der Samādhi ist die „Lebendigkeit der
Nüstern“, die im alten China als Symbol für das wirkliche Leben galten, weil
man durch die Nase die Luft ein- und ausatmet. Die Meditation öffnet dabei
sozusagen das begrenzte „Denken unseres Schädels“.[v]
In den allgemeinen Richtlinien Dōgens zum Zazen (Fukan zazengi) heißt es, dass wir aus dem „Nicht-Denken denken sollen“ und damit das übliche, dualistische
und bewertende Ja-Nein-Denken überschreiten.[vi]
[i] Gäng, Peter: Meditationstexte des Pali-Buddhismus I,
S. 39ff.
[ii] Hüther, Gerald:
Was wir sind und was wir sein könnten
[iii] vgl. Freud, Sigmund: Psychologie des Unbewussten
[iv] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 3, S. 327ff.
[v] Dogen: Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 4, S. 24
[vi] Nishijima, Gudo Wafu; Seggelke, Yudo J.: Die Kraft der ZEN-Meditation. Im Auge
des Zen, Bd. 4, S. 35ff.