Aktive Wechselwirkung statt Abhängigkeit
Eine wirklich zentrale Aussage Buddhas zum menschlichen Leben wird bisher meist als "abhängiges Entstehen" oder "bedingtes Entstehen" übersetzt. Aber kann das eine wirklich korrekte Wiedergabe seiner Lehre sein? Denn er lehrt gerade die Selbstbestimmung und zunehmende Freiheit des Menschen auf dem Buddha-Weg, um die Abhängigkeit und das Leiden von äußeren und inneren Fesseln zu verringern oder sogar zu überwinden. Denn starke Abhängigkeit macht depressiv, erzeugt Stress und macht Angst. Wer will schon abhängig sein? Abhängigkeit und Glück passen nicht zusammen. Dass der Mensch andererseits nicht total isoliert lebt und leben kann, ist dabei ohne Zweifel richtig und von sehr großer Bedeutung. Denn Einsamkeit ist heute die häufigste Todesursache. Es geht also um die Klärung der Bedeutung von Abhängigkeit!
Ich bin überzeugt, dass bei der bisherigen Übersetzung des abhängigen Entstehens etwas nicht stimmt, dass sie zu begrenzt ist oder zumindest missverstanden
werden kann. Übrigens sagt auch Hegel, dass bedingtes
Leben Unfreiheit bedeutet und dass unbedingtes Leben, Denken und Handeln Freiheit des Individuums und der
Gesellschaft bedeutet.
Um diese zentrale Frage
anzugehen und gründlich zu klären, ist es ratsam, auf die verlässlichen Begriffe in Sanskrit
zurückgehen. Was hat Buddha wirklich gesagt, um uns in unserem Leben zu helfen? Er formulierte pratitya
samutpada und das bedeute in korrekter Übersetzung m. E. gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung. Also weder Abhängigkeit noch Isolation. Das Wort prati wurde bisher offensichtlich zu eng als abhängig oder bedingt interpretiert und daher nicht wirklich korrekt übersetzt. In keinem Sanskrit-Lexikon habe ich diese unkorrekte Übersetzung
gefunden, sie ist also in dieser Form nicht wirklich authentisch. Die wahre Bedeutung von
prati ist hin und zurück, entgegen, zurück und
wieder. Warum, wo und wie daraus die zu einseitige (unidirektional) Abhängigkeit als buddhistische Lehre wurde, ist sicher spannend. Die volle Wirklichkeit ist nicht so simpel wie die genannte einseitige Abhängigkeit. Was meinen Sie? Übrigens heißt abhängig korrekt auf Sanskrit paratantra oder samsakta aber nicht prati. Und wer wirklich abhängig ist, kann nicht frei und glücklich sein, er kann also sein Leiden nicht überwinden. Aber absolute Freiheit gibt es natürlich auch nicht, das wäre ein
unrealistisches und idealisiertes Extrem und eine psychische Sackgasse.
Heute benutzen wir für
diese realen Prozesse die Begriffe Vernetzung
oder Rückkoppelung. Das sind zentrale und unverzichtbare Zusammenhänge der Ökologie, Psychologie und Gehirnforschung. Sie sind wissenschaftlich bereits gut untersucht und verlässlich. Daher haben die Indologin Elisabeth
Steinbrückner und ich die Bezeichnung Wechselwirkung
gewählt. Um auch Hegel zu nennen: Für ihn ist die wechselseitige Anerkennung der Menschen von zentraler Bedeutung für
die moderne Welt und die nun mögliche Freiheit. Sein Denken hat also eine gewisse
Übereinstimmung mit Buddha, wobei im Buddhismus die praktische Wirkung und das gemeinsame
Handeln noch stärker betont werden. Das gilt besonders für den
Zen-Buddhismus.
Alpenrose in Südtirol
Buddha hat also vermutlich
als erster klar erkannt, dass wir grundsätzlich in einer vernetzten Welt leben. Diese Wissens ist dann wohl zum Teil verloren gegangen und hat die praktische Wirksamkeit seiner Lehre verringert. Es
kommt nun nämlich darauf an, die vorhandenen zu starken Abhängigkeiten zu
erkennen, zu vermindern und zu überwinden. Wodurch? Durch Selbststeuerung und auch durch
Selbstkontrolle können wir den eigenen Freiheitsraum nutzen und vergrößern. Dazu hat Buddha wirksame Übungen entwickelt, z. B. Meditation, Achtsamkeit und die Fokussierung im Augenblick. Dann finden wir und gehen wir in unserer vernetzen Welt den eigenen besseren Weg. Dieser eröffnet Befreiung und Selbstbestimmung, er lässt unser Leiden und unsere Schmerzen zur Ruhe kommen. Das ist genau das Anliegen Buddhas und der großen Meister. Resümèe: Die Übersetzung "abhängiges Entstehen" ist nicht ganz falsch aber zu begrenzt. Sie bezeichnet eine bestimmte abhängige Beziehung und ist richtiger Weise gegen das isolierte Entstehen gerichtet. Aber sie erschwert das Verständnis der Wirklichkeit und damit auch das Verständnis des MMK. Ist das ein Grund für die bisherigen vielen Missverständnisse und Fehlinterpretationen des MMK?
Dabei sind eigene und
direkte Erfahrungen im Hier und Jetzt und die Unabhängigkeit von den Medien sowie fake News wesentlich. Fatalistische Abhängigkeiten führen immer in die Sackgasse. Selbst erleben, selbst denken und handeln, ohne in eine Falle zu starker Abhängigkeit zu geraten, macht
glücklich und gibt Freiheit. Das ist m. E. die zentrale Botschaft Buddhas und der
großen Meister Nagarjuna und Dôgen. Wegen dieser Wahrheit hat der Buddhismus eine
weltweite positive Bedeutung erlangt und heilende Wirkung erfahren: auch und gerade für unsere heutige westliche
Welt. Machen Sie mit der buddhistischen Weisheit und Praxis Ihr Ding! Was sagt Buddha in den Grundlagen der Achtsamkeit über den buddhistischen Menschen? "Unabhängig lebt er und haftet an nichts in der Welt"