Mein Lehrer, der große Zen-Meister Nishijima, sagt
zur zentralen Bedeutung des Lotos-Sutra: "Wie wunderbar ist das Universum,
in dem wir leben".
Diese
Sutra ist eines der wichtigsten Schriften des Mahayana-Buddhismus und besonders
in Ost-Asien sehr weit verbreitet. Es wird häufig mit der Bibel im Christentum
verglichen und fasst die zentralen Lehren Buddhas zusammen.
Was
ist die Kernaussage? Was ist das Verständnis des Buddhismus und die Sicht von
Meister Dogen? Dieser nennt das für ihn außerordentlich wichtige Lotos-Sutra: "Die Dharma Blume der großen Wahrheit des Dharma dreht die
Blume des Dharma der Welt." Schon dadurch wird klar, dass der Buddhismus
nicht pessimistisch oder gar nihilistisch ist.
Das
Zitat erscheint dir vielleicht als doppelte Aussage und als redundante
Wiederholung. Es ist jedoch von großer spiritueller Tiefe, obgleich man das
eventuell nicht gleich erkennt. Häufig wird das Lotos-Sutra allerdings wie ein
buddhistisches Märchenbuch mit fantastischen idealistischen Lehren und
Gleichnissen verstanden. Aber das ist nicht richtig. Es übersteigt bei weitem
den schwärmerischen naiven Volks-Buddhismus mancher Gegenden.
Ich
möchte es nach meinem Verständnis erklären und beziehe mich auf die Meister
Dogen, Nagarjuna und Nishijima. Von zentraler Bedeutung sind Dogens Aussagen:
"Wenn der Geist in Täuschung ist, dreht sich die Blume des Dharma.
Wenn der Geist in Verwirklichung ist, drehen wir die Blume des Dharma"
Wenn
man dabei das Sutra häufig nur zitieren würde, aber die wahre Bedeutung nicht
versteht, kehrt es sich nach Dogen sogar gegen uns selbst. Es wird unser Feind
und verhindert gerade unsere Befreiung und unser Erwachen. Dies wird vor Allem
durch den Dualismus und andere unheilsamen Dogmen verursacht. Sie haben keine
heilsamen Wirkungen und können das Leidens nicht überwinden.
In
der ersten Zeile dreht die Dharmablume für sich, getrennt und ganz ohne uns.
Wir sind dann isoliert von Buddhas
Weisheit und dessen heilenden Praxis. Dann sind wir unfrei, vereinsamen und leiden vielfach in unserem Leben.
In
der zweiten Zeile sind wir mit dem blühenden Dharma verbunden und in heilsamer Wechselwirkung, zum eigenen Besten.
Damit verbindet Dogen seine Aussage mit Meister Nagarjuna, der den Dualismus,
also den gespaltenen isolierten Geist, mit philosophischer Präzision
kritisierte. Er sagt mit Buddha: Das zentrale Gesetz der lebendigen Welt ist
das gemeinsame Entstehen in
Wechselwirkung. Es ist Grundlage für unseren gesamten Heilungs- und Therapie-Prozess.
Denn
wir selbst sind Teil dieser aktiven Wechselwirkung und gestalten und formen damit
den wahren Sinn unseres Lebens. So sagt Buddha vom befreiten Menschen:
"Unabhängig lebt er und haftet an nichts in der Welt." Genau dann drehen wir die Blume des Dharma und
handeln für andere. Das ist das Bodhisattva-Ideal
des Buddhismus: Geben ist besser als
nehmen. Das ist durch die moderne Gehirnforschung übrigens wissenschaftlich
präzise bestätigt. Wer zuviel will und voller Gier nimmt, wird unglücklich und vereinsamt. Der Egoismus will immer
mehr, als er hat, er macht unglücklich und macht uns gerade nicht glücklich.
In
der Wechselwirkung erkennen wir die Natur, wie sie ist; das Handeln wie es ist
und erkennen das wahre Selbst, wie
es ist. So finden wir unsere Mitte und unser Gleichgewicht. Und das ist in der
Tat in der heutigen gestressten von geistigen Extremen beschädigten Welt besonders wichtig. Das ist die beste
Medizin für die jetzige Corona-Krise: Geben ist besser als nehmen. Dann
vereinsamen wir nicht und haben echte
Freude im Leben.