Donnerstag, 5. Mai 2022

Der Wille zur Wahrheit ist Kompass in unserem Leben

Über den Willen zur Wahrheit sagt Dōgen:

„Bei dem Streben nach Buddhas Wahrheit sollten wir den Willen zur Wahrheit als das Wichtigste ansehen. Menschen, die wissen, was es mit dem Willen zur Wahrheit auf sich hat, sind (leider) selten. Wir sollten diese (Wahrheit nur) unter solchen Menschen erkunden, die sie klar erkennen.

Im Zen und im authentischen Buddhismus wird Wahrheit  pragmatisch und nicht absolut oder dogmatisch verstanden: Es geht um das Hier und Jetzt, sehr konkret um Handeln, Denken und Fühlen. Jeder Mensch, wird nach eigenem Erleben, eigenen Erfahrungen und eigenem Bedenken vorankommen. Die Lehre und ein Lehrer oder Meister können die Richtung weisen, fundierte und bewährte Hilfestellungen geben und hoffen, dass der Funke der Suche nach der Wahrheit überspringt. Dann können eigene Kräfte und Energien beim Schüler freisetzt und entwickelt werden. Der Wille zur Wahrheit wird sich auf dem Buddha-Weg immer mehr verfeinern und genauer werden. Das ist der fortschreitende Lernprozess . Das ist der Kompass, der uns auch bei Sackgassen und Fehlentwicklungen immer wieder in die richtige Richtung zurückführt. Aber Dōgen sagt nicht, dass diese Wahrheit ein abgegrenztes intellektuelles oder philosophischen Wissen ist, das sich nicht mehr weiterentwickelt und quasi dinghaft und endgültig ist. Denn Philosophie heißt Philosophieren und nicht nur statisches Wissen.

Dōgens Kapitel über den Willen zur Wahrheit hat also eine direkte Verbindung zum Achtfachen Pfad der Befreiung und eines heilsamen Lebens. Die Achtsamkeit und Meditations-Praxis spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle. Dōgen selbst hatte auf seiner langen Suche nach der wahren buddhistischen Lehre in Japan und auch in China viele Schwierigkeiten zu überwinden, bis er endlich seinen wahren Lehrer gefunden hatte. Durch die Zazen-Praxis in Wechselwirkung mit der buddhistischen Lehre fand er schließlich den befreienden Ausweg aus dem Lebenslabyrinth

Er macht unmissverständlich deutlich, dass nur in dieser unauflösbaren Verbindung von Theorie und Praxis, von fundierter Lehre und Meditation, wirkungsvoll nach dem authentischen Buddha-Lehre gesucht werden kann. Auf diesem Weg verändert sich der ganze Mensch, es kommt zur Transformation der Persönlichkeit und zu einer neuen Klarheit psychischer und spiritueller Zustände und Wechselwirkungen.

Dogen gibt ein überraschendes Zitat für die Suche nach der Wahrheit:

"Die Praxis ist nicht durch das Sitzen selbst begrenzt, sondern sie schlägt den (großen) Raum an und klingt wie das Anschlagen der Glocke, das sich vor und nach dem Glockenschlag fortsetzt.“

In diesem Gleichnis wird die Wirkung der Meditation poetisch auf den Punkt gebracht: Wenn wir morgens und abends meditieren, bleibt die Wirkung am Tag in der Folgezeit erhalten, gibt Kraft und verleiht uns Klarheit und Handlungsfähigkeit im Alltag. Nishijima Roshi nennt dies die dauernde Kraft des Zazen:

„Der Einfluss der Zazen-Praxis ist niemals auf die Zeit begrenzt, in der man tatsächlich Zazen praktiziert.“

Dōgen rät uns, einen wirklich überzeugenden Menschen und Lehrer zu suchen, der die Wahrheit des Lebens klar erkannt und sein Leben deutlich danach eingerichtet hat. Gleichzeitig warnt er vor solchen Lehrern, die zwar behaupten, dass sie den Willen zur Wahrheit besitzen, aber in Wirklichkeit nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Man erkenne aber nicht immer sofort, ob jemand tatsächlich den Weg der Wahrheit suche oder es nur vorgebe.

Links: Neu: Buddhismus für Einsteiger

Vertiefung zur Wahrheit.