Mittwoch, 10. August 2022

Lotos-Sūtra ist die Dharma-Blume der Wahrheit

Dōgens tiefe Erfahrungen im Zen vor allem in China und sein praktischen Handeln für Mönche und Laien hat ihm völlig neue Dimensionen dieses Sūtra eröffnet. Es handelt nicht von wundergläubigem Volksbuddhismus und auch nicht von metaphysischem zu abstrakten Mahayana. Es handelt von der Befreiung und Emanzipation des Menschen! Es hat dadurch große heilsame Wirkungen im Buddhismus bewirkt und ist auch für einfache Menschen wie Du und ich überzeugend. Es gibt kräftige Impulse zur Sinn-Findung und Sinn-Gestaltung in unserem Leben, auch hier und jetzt!

Häufig wurde das Lotos-Sūtra als romantisches und wirklichkeitsfremdes Märchen verstanden, sozusagen als Volksbuddhismus voller Wunder und übernatürlicher Wesen und Kräfte, die man anrufen kann und die uns helfen. Das ist viel zu mager und verdünnt. Denn das Lotos-Sūtra ist auch große Poesie.

Nach einer Überlieferung, die auf Daikan Enō (Huineng) zurückgeht, beschreibt das Lotos-Sūtra in genialer Weise seine eigene erleuchtete Version von Bewegung und Weiterentwicklung der höchsten dem Menschen zugänglichen Wahrheit. Er sagt, dass wir die Dharma-Blume der Welt und des Lebens selbst drehen und bewegen, wenn wir die wahre Freiheit erlangt haben. Wer sollte denn die Welt heilsam bewegen, wenn wir es nicht tun? Dōgen wählt dabei auch die Sprache des Dichters, um diesen höchsten Zustand des Menschen zu beschreiben, denn mit spitzfindiger Intellektualität ist dies nicht möglich. Der Zen ist nicht paradox und in sich widersprüchlich, denn er überschreitet einfach die Alltags-Logik vieler Menschen.

Beim Drehen der Dharma-Blume unterscheidet Dogen, ob sich ein Mensch in Täuschung befindet oder nicht. Diese Bewegung und Drehung der Dharma-Wahrheit kann man wissenschaftlich als selbstverstärkende Dynamik verstehen, die sich – einmal angestoßen – zu unserem erwachten Leben in der Wirklichkeit der Welt bewegt. Dadurch werden alte und neue Hemmnisse immer einfacher weg geräumt.

Die Suche nach dem wahren Dharma sei allerdings nicht einfach, sie wird mit dem Graben nach Grundwasser verglichen:

„Wenn Menschen Durst haben und Wasser suchen, graben sie zum Beispiel auf einer Ebene, die trocken und ausgedörrt erscheint. Wenn sie Ausdauer haben und tiefer kommen, entdecken sie feuchte Erde und wissen, dass sie auf dem richtigen Wege sind. Dann ist das Wasser nicht mehr weit. Wer dann ausdauernd weiter gräbt, stößt tatsächlich auf das Grundwasser.“

Dōgen gibt dann das Gedicht wieder, das Hui Neng dem Mönch Hōtatsu nach dessen Erwachen vortrug. Es nennt kurz und prägnant die Eckpunkte des Buddhismus, die dem Lotos-Sūtra eine ganz neue Tiefenschärfe geben:

„Wenn der Geist in Täuschung ist, dreht sich die Blume des Dharma (ohne dich).

Wenn der Geist in der Verwirklichung ist, drehst du die Blume des Dharma."

Wenn wir nicht Klarheit von uns selbst haben, wird das Lotos-Sūtra wegen seiner tiefgründigen Bedeutungen sogar unser Feind werden, ganz gleich, wie häufig wir es rezitieren. Also selber drehen!

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