Der
große Meister Daisho[i] war
ein Nachfolger von Daikan Enō und ein sogar am Hofe des damaligen chinesischen
Kaisers äußerst geschätzter Meister. Einmal fragte ihn ein Mönch:
„Was ist der
Geist der ewigen Buddhas?“
Daisho
antwortete dem verblüfften Schüler:
„Zäune,
Mauern, Ziegel und Kieselsteine.“
Diese
berühmte Zen-Aussage zielt auf die ganz konkreten Dinge des damaligen täglichen
Lebens in China und betont die nur scheinbar materielle Seite dieser Welt. Sie
schneidet jede Spekulation und Illusion eines abgehobene Geistes ab, denn kaum
einer würde wohl vermuten, dass der Geist der ewigen Buddhas dasselbe ist wie zum Beispiel die Kieselsteine. In eindringlicher Weise
wird dadurch die Einheit von Buddha-Geist
und Wirklichkeit der Dinge und Phänomene ausgedrückt. Und die Antwort
Daishos bedeutet, dass wir uns den Geist der ewigen Buddhas nicht als etwas
Immaterielles und nur Ideelles vorstellen sollen.
Ich
muss gestehen, dass mir diese Aussage zunächst auch ziemlich unklar war, weil
sie dem europäischen Denken in der
Tat völlig entgegengesetzt ist. Wie kann der Geist dasselbe sein wie Ziegel und
Kieselsteine? Dann machte ich jedoch eine Beobachtung und gewann folgende
Erkenntnis: Bei einem Aufenthalt auf der Insel Lanzarote besuchte ich den zu einem Museum umgewandelten
Wohnbereich des großen Künstlers César
Manrique.
Einige
natürliche Höhlen, die sich als große Blasen in der ehemals fließenden Lava gebildet hatten, sind Teil dieses "Wohnkomplexes".
Nachdem ich die Höhlen verlassen hatte, saß ich noch eine Weile im Freien und
sah zu meinen Füßen einen mit Kieselsteinen
aufgeschütteten Platz. Plötzlich erinnerte ich mich an das obige Kōan und
betrachtete die Kieselsteine daraufhin sehr viel genauer: Sie waren vom Meer in
langen Zeitaltern rund und oval geschliffen und keinesfalls einheitlich oder
langweilig. Mir fiel auf, dass sie so ausdrucksvoll
und wunderbar geformt waren, als ob sie ein großer Künstler wie Manrique geschaffen hätte. Es schoss mir durch den
Kopf:
Das Meer als
Künstler der Kieselsteine? Ja, ohne Frage!
Dadurch
sprengten die Steine gewissermaßen ihre materielle Begrenztheit und
Nebensächlichkeit und fingen an, von der Schönheit und Vielfalt des Meeres und dieser
Welt zu reden und sich ganz neu zu manifestieren. Das musste es sein, was Meister Daisho
ausdrücken wollte: Der Geist der Buddhas und der Natur ist keine abstrakte Idee
oder Gedankenwelt, sondern lebt genau im ganz Konkreten vor uns und mit uns.
Wir müssen es nur erkennen, ganz offen sein.
Der
Geist der ewigen Buddhas ist zum Beispiel auch in den unzähligen Bäumen und
Hunderten von konkreten Pflanzen einschließlich der sogenannten Unkräuter. Diese buddhistische Wahrheit
ist dasselbe wie die sich öffnenden Blütenblätter
des Lotus, die wiederum vergleichbar sind mit der Entfaltung der Lehre und
Praxis des Buddhismus.
Dass
sich die Welt ereignet, seien Buddhas ewige Gesichter der Sonne und des Mondes
und
„die Haut,
das Fleisch, die Knochen und das Mark“
des
ewigen Buddhas. Diese Aussage wird Bodhidharma
bei der Dharma-Übertragung an seine Schülerin und drei Schüler zugeschrieben.[ii]
Von
zentraler Bedeutung ist, dass die ewigen Buddhas praktizieren und sich nicht in
philosophischen Spekulationen verlieren.
Sie stehen fest mit beiden Beinen auf der Welt, handeln im Sinne der
Bodhisattvas wie es die Situation erfordert, sind furchtlos, tatkräftig und von
außergewöhnlicher Klarheit: Wirkliche Vorbilder, an denen es heute mangelt.