Bei
einem Gespräch der beiden großen Meister, Jōshū[i] und
Seppō[ii],geht
es um ein klares gegenseitiges intuitives Erkennen, das nicht von Äußerlichkeiten oder vom Rang abhängt. Dann kommen auch wortreiche Argumentationen zum
Stillstand, die eher verhindern, dass die Klarheit des Buddha-Dharma erlebt
wird.
Es
gibt dazu eine treffende Kōan-Geschichte[iii],
sie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Meister Seppō wurde von einem Mönch
gefragt:
„Was ist es,
wenn wir in einem ewigen Tal oder einer kühlen Quelle sind?“
Seppō
gab die verblüffende Antwort:
„Selbst wenn
wir unsere Augen weit öffnen, können wir den Grund nicht sehen.“
Der
Mönch fragte weiter:
„Was ähnelt
dem, wenn wir es trinken?“
Und
Seppō antwortete:
„Wasser wird
nicht in den Mund hineinkommen.“
Nishijima
Roshi erläutert, dass das ewige Tal und die kühle Quelle den höchsten Stand der Erleuchtung im Buddhismus bedeuten. Ein
solcher Zustand sei von außen mit den Augen aber nicht erkennbar; das meint
Meister Seppō, wenn er sagt, dass man den Grund mit den Augen nicht sehen
könne. Der Mönch stellt dann die Frage, ob man es trinken kann. Aber die sinnliche Wahrnehmung allein ist
ungeeignet, um den höchsten Zustand im Buddhismus zu erkennen. Das gilt sowohl
für das Sehen als auch das Hören und das Spüren des Wassers im Mund.
Die
Kōan-Geschichte geht aber noch weiter: Meister Jōshū wurde von einem Mönch genau das Gleiche gefragt wie Meister
Seppō. Jōshū antwortete jedoch wesentlich kürzer
und drastischer:
„Es ist schmerzhaft!“
Auf
die weitere Frage des Mönchs, was passiert, wenn man es trinken würde,
erwiderte er ebenso deutlich:
„Wir werden
sterben.“
Seppō
war von dieser Aussage Jōshūs sehr
beeindruckt und nannte ihn einen ewigen
Buddha. Warum? Nishijima Roshi erklärt, dass Jōshū sehr viel konkreter und
realistischer geantwortet hat als Seppō, dessen Antwort einen gewissen Grad der
Abstraktion aufweist. Jōshū wollte mit seinen Worten darauf hinweisen, dass wir
uns beim höchsten Zustand der Erleuchtung keinen
Illusionen und Träumereien hingeben dürfen, denn nicht alle Lebensprobleme
sind mit der Erleuchtung auf einen Schlag beseitigt.
Der
höchste Zustand bedeutet die Wirklichkeit selbst, die allerdings nicht immer
angenehm und lieblich ist. Auch körperliche Qualen wie etwa eine schwere
Krankheit können einen erleuchteten Menschen treffen.
Jōshūs
Aussage, dass wir sterben würden, hat aber noch eine weitere, tiefere
Bedeutung: Nachdem wir die Wahrheit erlangt haben, „stirbt“ die Abhängigkeit vom festgelegten
Denken, von Vorurteilen,
abstrakten Lehren sowie von der vordergründigen Sinneswahrnehmung,
und die alten, festgefahrenen
Lebensphilosophien werden überwunden.
Das
gilt sowohl für wirklichkeitsfremdes, idealistisches Denken als auch für den
unbegrenzten Glauben an die materielle Welt der Wahrnehmung. Dieses „Sterben“
ist die Voraussetzung für die Balance von Körper und Geist. Jōshū besaß also
die Fähigkeit, mit ganz wenigen Worten den Kern der buddhistischen Lehre
auszudrücken, ohne in theoretische Abstraktionen zu verfallen.
Seppō vermied
es von da an seinerseits, wie es in der Geschichte heißt, weitere abstrakte
Aussagen zu machen und sich in theoretische Diskussionen einzulassen.