Freitag, 6. März 2015

Der Geist der großen Meister, die ewige Buddhas sind (Kobusshin)



Der japanische Begriff ko bedeutet „alt“ oder „ewig“, butsu (im Titel verkürzt zu bus) heißt im Deutschen „Buddha“, und shin ist der „Geist“. Wörtlich übersetzt lautet der Titel demnach: „Der Geist der ewigen Buddhas“.

In diesem 44. Kapitel behandelt Dōgen viele Bereiche der umfassenden buddhistischen Lehre des Shōbōgenzō verhältnismäßig kurz, aber sehr aussagekräftig.[i] Er zitiert hierzu verschiedene Aussagen der großen Zen-Meister aus Indien und China, die er häufig die ewigen Buddhas nennt. Wir sollten uns jedoch bei dem Begriff „ewig“ nicht die unerreichbare Zukunft der linearen mechanischen Zeit vorstellen, denn Dōgen verbindet den gegenwärtigen Augenblick damit. Es geht also darum, was hier und jetzt wirklich ist – in diesem Fall die Kraft und der Geist der großen Meister in Indien und China.

Er erläutert, dass der Geist nicht als unabhängig vom Körper und von den vielen Dingen und Phänomenen der Welt verstanden werden darf. So ist der Geist der alten Meister und Vorfahren im Dharma ganzheitlich zu betrachten, und er umfasst mehr als nur das Denken und die Wahrnehmung mithilfe der Sinnesorgane.

Die Weitergabe von Buddhas wahrem Geist
Zunächst geht Dōgen darauf ein, wie wichtig die authentischen Übertragungslinien und verlässliche authentische Lehrer im Buddhismus sind. Wir würden heute vor allem deren Empathie in den Vordergrund stelle: Nicht von oben herab sondern von Mensch zu Mensch und gemeinsam auf dem Buddha-Weg. Denn auch jeder Lehrer lernt hinzu!

Dōgen bezeichnet die großen Meister als „lebendige Ader“ und arbeitet heraus, dass die Dharma-Übertragung, also die Weitergabe der großen buddhistischen Wahrheit, von einem Buddha zum anderen erfolgt. Neben dem historisch belegten Shākyamuni Buddha bezieht er auch die vorherigen legendären Buddhas ein.

Bei der Weitergabe der Buddha-Lehre von einem Meister zum nächsten geht es um die spirituelle Einheit des umfassenden Geistes von Meister und Schüler sowie Lehre und Praxis. Der Schüler wird danach selbst zum Meister. Dies vollzieht sich bei der Dharma-Übertragung in einem lebendigen ganzheitlichen Vorgang und im gegenwärtigen Augenblick des Hier und Jetzt und sicher nicht nach Aktenlage.

Dabei hat jeder Meister selbstverständlich seine Besonderheiten, weil er eben auch ein wirklicher Mensch ist. Dieser Augenblick des Empfangens und der Weitergabe des wahren Dharma ist laut Dōgen nicht mit den Vorstellungen der linearen Zeit zu erfassen, vielmehr findet dieser Vorgang unmittelbar in der Sein-Zeit statt, die Dōgen in einem eigenen Kapitel[ii] tiefgründig erläutert.

Im Buddha-Dharma und im Zazen empfängt man das wahre Selbst, das aber nicht mit dem abgegrenzten, egoistischen Ich verwechselt werden darf. Man benutzt das Selbst, indem man handelt oder etwas Wichtiges geschehen lässt. Dadurch verwirklicht sich das Selbst.

Dōgen erklärt, dass die Buddhas mit der großen Wahrheit aufsteigen und sich wieder zu den Schülern herabneigen, um den Buddha-Dharma lehren. Im Zen hat die authentische Weitergabe des Buddha-Dharma eine durch nichts zu ersetzende Bedeutung, weil damit die wahre Lehre und Praxis lebendig und verlässlich übertragen werden.

Nur so bleibe der wahre Geist Gautama Buddhas und der großen indischen, chinesischen und japanischen Meister lebendig. Ihr Handeln und Lehren verblassen damit nicht zu historischen Gegebenheiten und bedrucktem Papier, sondern sie entwickeln vitale Kraft im Hier und Jetzt.




[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 3, S. 23 ff.; deutsche Fassung, Bd. 3, S. 54 ff.
[ii] Kap. 11, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 110 ff: „Die Sein-Zeit der Wirklichkeit im Hier und Jetzt (Uji)