Montag, 17. August 2015

Was kann die Sprache: Einheit von Geist und Natur?


Dōgen behandelt  die Wirklichkeit und Einheit von Geist und Natur als Essenz der buddhistischen Wahrheit, und er erklärt, wie man sie mit Worten vermittelt. Was kann man mit Worten überhaupt sagen? Wie kann wir diese Einheit im menschlichen Dialog angehen? Ist das überhaupt möglich?

Im Zen-Buddhismus zur Zeit Dōgens, aber auch noch heute, halten es manche Buddhisten für sinnlos oder sogar gefährlich, dass man die Wirklichkeit des Geistes und der Natur mit Worten beschreibt und erläutert. Sie haben jedoch laut Dōgen nur halb verstanden, was mit der Aussage „Der Geist kann nicht erfasst werden“ tatsächlich gemeint ist. Zwar weist auch Dōgen selbst häufig auf die wahre Wirklichkeit jenseits vom unterscheidenden Denken und argumentativen Sprechen hin.

Aber die Lehre und Theorie des Buddha-Dharma müssen so weit wie möglich auch mit Worten und Gesten erklärt werden. Dōgen betont im Shōbōgenzō, dass die Sūtras, also die geschriebene Lehre, sowie die mündlichen Dharma-Vorträge der wahren Meister unbedingt auf dem buddhistischen Weg erforderlich seien. Die grundsätzliche Ablehnung von Worten und Erklärungen erweist sich damit als gefährliche Sackgasse.

Die Kritik Dōgens richtet sich aber auch gegen einseitige und abstrakte Theorien des Geistes, die allein auf dem unterscheidenden Verstand basieren, sich von der Wirklichkeit abgelöst haben und keinen Bezug zur Praxis besitzen. Auch eine abstruse, angeblich buddhistische Lehre, die sich in Paradoxien, Widersprüchlichkeiten und geheimnisvoller Esoterik gefällt, sieht Dōgen nicht als hilfreich an.

Eine solche Lehre lehnt die Vernunft und Logik bei der buddhistischen Theorie grundsätzlich ab. Die Vernunft spielt aber gerade im Buddhismus von Dōgen und Nāgārjuna eine zentrale positive Rolle, sie reicht allerdings über abgehobenes Theoretisieren hinaus.

Im Buddhismus geht es für den Geist nicht zuletzt um den Bereich der intuitiven, klaren Vernunft.

Es kommt also nicht darauf an, Lehre und Theorie abzulehnen, sondern ihren eigentlichen Wert und Nutzen zu erkennen, gleichzeitig aber deren Grenzen klar zu sehen und einzuhalten.

Das theoretische Verständnis der buddhistischen Lehre besitzt im Einklang mit der Praxis des Zazen bei Dōgen einen sehr hohen Stellenwert. Er arbeitet in aller Klarheit heraus, dass man den Geist jedoch nicht abstrakt und isoliert verstehen darf. Er ist niemals von der Natur und dem Körper getrennt und bezieht sich immer auf das Hier und Jetzt, also auf den Augenblick je in der Gegenwart.

Wer seinen Geist nicht benutzen und nicht denken will, ist aus Dōgens Sicht bequem und unbeweglich, um nicht zu sagen denkfaul. Für Dōgen ist die Wirklichkeit des Geistes und der Natur von zentraler Bedeutung für den Buddha-Dharma. Er hält es für unerlässlich, dass sie im Gespräch zwischen Lehrer und Schüler, zwischen den Schülern im Sangha und nicht zuletzt im Dialog der Meister untereinander erläutert und ausgedrückt wird.

Als negatives Beispiel nennt Dōgen den Zen-Meister Sōkō, der von 1089 bis 1163 lebte, also einer späten Phase des Zen-Buddhismus in China angehörte. Diese Zeit zeigte aus Dōgens Sicht bereits erhebliche Verfallserscheinungen. Er kommentiert Sōkōs Reden kurz und bündig:

„Wer so redet, hat die genauen (Anweisungen) der Buddhas und Vorfahren im Dharma nicht verstanden, und er hat nichts von ihren königlichen Juwelen (der Dharma-Reden) gehört. (Sōkō) spricht so, weil er den Geist nur auf das verstandesmäßige Denken, Wissen und die sinnliche Wahrnehmung beschränkt. Er hat nicht gelernt, dass auch das Denken, das Wissen und die Wahrnehmung (das natürliche Wirken) des Geistes sind.“