Montag, 21. September 2015

Koan-Gespräche sind fruchtbare Dialoge


In dem berühmten Kōan-Gespräch des Zen-Meisters Daisho und des indischen buddhistische Gelehrten Sanzō geht es darum zu zu prüfen, ob Sanzō selbst überhaupt die Kraft und Klarheit hat, sich grundsätzlich mit dem wahren Geist, hier des Meisters Daisho, anderer zu beschäftigen und wesentliche Inhalte oder Bereiche dieses Geistes zu „erkennen“.

Darauf aufbauend kann es dann zu einem fruchtbaren und kreativen Dialog kommen. So vermute ich, dass Meister Daisho durchaus die Hoffnung hatte, ein weiterführendes Kōan-Gespräch mit dem Inder zu führen, um sich seinerseits von ihm anregen zu lassen.

Eine solche Situation wird häufig in den Kōan-Geschichten überliefert, denn sie sind keine einseitige Dharma-Lehre eines Meisters, sondern gewinnen ihre Kraft im Dialog, wobei scheinbare oder tatsächliche Gegensätze von zentraler Bedeutung sind und weiterführen: das ist die Einheit der Differenz. Nicht zuletzt gewinnen die Kōans dadurch für nachfolgende Schüler ihre große pädagogische Kraft.

In ähnlicher Weise lässt sich die Wirkung der philosophischen Dialoge des griechischen Denkers Platon erklären, der seine Lehre nicht systematisch, sondern weitgehend in Form von Dialogen konzipierte und an die Nachwelt übermittelte. Dabei liegt jedoch ein gravierender Unterschied zu den Kōan-Gesprächen des Zen vor: Platons Dialoge werden von fingierten Gesprächspartnern geführt, sie entspringen also allein seinem eigenen Geist, es findet kein realer geistiger Austausch zweier verschiedener Menschen statt.

Die Partner in den meisten Kōan-Gesprächen haben eine solide gemeinsame Basis der Lehre und Praxis, die bei dem Inder Sanzō allerdings fehlt. Deshalb ist es hier schwierig, überhaupt einen inhaltsreichen und weiterführenden Dialog zu führen.
Niklas Luhmann nennt dies die „Anschlussqualität“ des einen Gesprächspartners, die kreative Impulse für den anderen setzt, sodass dadurch eine wirkliche, innovative Kommunikation in Gang kommt, die mehr ist als die Addition des Denkens und Wissens der Einzelnen.

Eine solche soziale Kommunikation hat m. E. auch der Philosoph und Sozialkritiker Habermas im Sinn; er betont dabei die repressionsfreie Dialogführung. Allerdings fehlt bei ihm häufig ein wirklicher Dialog mit fundierten Antithesen, sodass die von ihm herausgearbeitete Fundmentalkritik zuweilen einseitig bleibt. Eine ausgewogene Argumentation würde für Manche vielleicht fruchtbarere Anregungen ergeben und Ähnlichkeiten zum Mittleren Weg aufweisen. Manche Schriften aus seinem Umfeld verlieren sich ganz in polemisch überspitzten Kritiken, die keine weitere Dialektik mehr zulassen und aus buddhistischer Sicht eher als Hemmnis einzuschätzen sind, das im Sūtra über die Grundlagen der Achtsamkeit als Zweifelsucht bezeichnet wird.[i]

Wenn Sanzō in der Lage gewesen wäre, die Frage von Meister Daisho wirklich aufzunehmen, hätte er durch seine eigene Erfahrung der Lehre und Praxis den wahren buddhistischen Geist kreativ ausdrücken und indische Kulturströmungen einbringen können. Das war aber nicht der Fall.

Dōgen analysiert die Frage Daishos in Form von Teilfragen –

"Was ist dieser alte Mönch?“, „Genau jetzt ist welche Art von Augenblick?“ –

und der berühmten Aussage im Zen über den Menschen:

Dies ist ein Ort, wo etwas Unfassbares existiert“.

Denn der Meister ist etwas Unfassbares, das niemals durch Worte und Denken vollständig erfasst werden kann, so wichtig unsere Sprache in der Tat ist. Körper-und-Geist sind einerseits ganz real und können nicht als pure Ideen oder Vorstellungen wegdiskutiert werden, aber andererseits sind sie mit dem analytischen Verstand und verbalen Beschreibungen nicht voll auszuloten.

Dōgen kritisiert an Sanzō nicht nur dessen konkrete eigenartigen Antworten, sondern stellt fest, dass Sanzō sich nicht ansatzweise auf dem Niveau des damaligen Chan-Buddhismus Chinas bewegen kann und überhaupt keine Voraussetzung für einen Dialog mitbringt. Dōgen fragt weiter, wie es überhaupt möglich sei, sich anzuschicken, den Geist eines anderen Meisters zu beurteilen und zu erkennen, wenn man nicht einmal Klarheit über seinen eigenen Körper und Geist hat. Und eine solche Klarheit benötigt die Praxis des Zazen:

"Das Denken aus dem Nicht-Denken"




[i] vgl. Gäng, Peter (Hrsg.): Meditationstexte des Pali-Buddhismus I, S. 39 f.