Der
indische Gelehrte Sanzō, der angeblich den Geist Anderer lesen konnte, fragte
Daisho:
„Meister,
ihr seid der Lehrer des ganzen Landes. Warum seid ihr zum Westfluss gegangen,
um ein Bootsrennen anzusehen?“
Dabei
unterstellt er, dass der Meister einem Bootswettbewerb zuschauen möchte und
erweckt den Eindruck, dass er dies im Geist des Meisters „gelesen“ habe.
In
dieser Kōan-Geschichte wird nicht erwähnt, wo sich die beiden gerade befinden
und ob vor ihren Augen überhaupt ein Bootsrennen stattfindet.
Offensichtlich
spielt dies für das Wesentliche des Kōans keine Rolle. Ich gehe allerdings
davon aus, dass beide nicht direkt am Wasser standen, sondern dass Sanzō
meinte, dies im Geist Daishos erkannt zu haben. Er antwortet also nur in einer
konkretistischen und wie mir scheint hoch spekulativen Weise auf die umfassend
gemeinte buddhistische Frage Daishos:
"Sage
mir, wo ich jetzt bin, (dieser) alte Mönch?“
Diese
Frage bezieht sich direkt auf die Kernpunkte des Zen – nämlich dass das Jetzt
die Sein-Zeit und damit die Wirklichkeit
ist, und dass die Frage, was ein Mensch wirklich ist, und vor allem der Geist
des Meisters nicht intellektuell zu
erfassen sind.
Bei
wohlwollender Interpretation des Kōan-Gesprächs kann man sagen, dass Daisho
zunächst die Grundlagen mit dem Inder Sanzō abklären wollte, um dann die
eigentliche Frage anzugehen, was ein anderer Mensch im Geist des Meisters oder
eines normalen Menschen erkennen könne. Aber Daisho kann mit dieser Antwort des Inders überhaupt nicht zufrieden sein
und wiederholt daher seine Frage. Er erhält darauf eine ähnliche und daher
genauso inhaltsleere Antwort:
„Meister,
ihr seid der Lehrer des ganzen Landes. Warum seid ihr auf der Tientsin-Brücke,
um (jemanden) zu beobachten, der mit einem Affen spielt?“
Damit
wird der Dialog noch skurriler. Wir können sicher davon ausgehen, dass der Meister in diesem Augenblick, in dem er mit
seinem Gesprächspartner aus Indien die Kernpunkte des Buddhismus klären wollte,
nicht an einen Affen denkt. Was Sanzō mit seiner Frage ansprechen oder gar
bewirken wollte, bleibt weitgehend unklar und wird im Kōan-Gespräch auch nicht
erläutert.
Daisho wiederholt seine Frage noch ein
weiteres Mal und erhält dann aber nach einer längeren Pause überhaupt keine Antwort mehr. Der
indische Gelehrte ist offensichtlich total verwirrt. Daraufhin kritisiert
Daisho ihn scharf und spricht ihm die
Fähigkeit ab, den Geist anderer zu erkennen. Sanzō konnte noch kein
tiefgehendes Gespräch über die buddhistische Lehre und den Geist im Sinne des
Buddha-Dharma führen. Was ist die Bedeutung dieses Kōans?
Dōgen beginnt seine Analyse
des Gesprächs mit der grundsätzlichen Absicht Daishos bei der Prüfung des
indischen Gelehrten:
„Beim ersten Mal sagt der nationale
Meister: ‚Sage mir, wo (dieser) alte Mönch genau jetzt ist.‘
(Dies) ist seine fundamentale Absicht
zu fragen, ob Sanzō Augen hat, den Buddha-Dharma zu sehen und zu hören.“
Der Zen-Meister sucht also
eine gemeinsame Basis des Verständnisses der buddhistischen Lehre und Praxis
und prüft im gleichen Zug, ob der Inder diese Grundlagen überhaupt zur
Verfügung hat, um die schwierige Aufgabe realistisch anzugehen, wie der
umfassende Geist eines Zen-Meisters erkannt werden kann.