Das japanische Japanischen Wort Inmo.[i]
bedeutet ursprünglich „etwas ganz Selbstverständliches“, das „Etwas“ und das
„Es“. Häufig wird es mit „Soheit“ übersetzt und meint damit etwas
Tatsächliches, das so selbstverständlich ist, dass man es eigentlich nicht
erklären müsste. Und in der Tat kann man es mit Worten nur unzureichend
beschreiben. Nach Zen-buddhistischer Lehre sind die Wirklichkeit und Wahrheit
durch Denken und Überlegen nicht vollständig fassbar und mit der Sprache nicht
oder nur sehr begrenzt auszudrücken.
Der Zen-Geist kann nicht erfasst werden, aber er ist wirklich und real.
Genau um diese Wirklichkeit geht es auf dem Buddha-Weg zum Erwachen, zur
Klarheit und zur Freiheit in unserem Leben; das ist der Zen-Geist. Für
europäisches Denken mag die Unbestimmbarkeit der umfassenden Wahrheit
einerseits und deren klare Realität andererseits ein unüberbrückbarer
Widerspruch sein. Dieser besteht aber nur auf der Ebene des unterscheidenden
Denkens, nicht im Augenblick des Handelns selbst.
Ich möchte nun die Bedeutung von Inmo,
also des Etwas, anhand des bekannten Buches Zen
in der Kunst des Bogenschießens von Eugen Herrigel erläutern.[ii] Er
kam als deutscher Philosoph in den 1920er-Jahren nach Japan, um dort zu lehren
und den Buddhismus, insbesondere den Geist im Zen-Buddhismus, zu studieren.
Seine dortigen Freunde überzeugten ihn, dass er eine praktische, buddhistische
Disziplin erlernen müsse, um diesen Geist zu „verstehen“, und so wählte er die
Kunst des Bogenschießens.
n seinem Buch berichtet er, wie er sich unter der Leitung eines
erfahrenen Meisters Schritt für Schritt in die körperlichen und geistigen
Bereiche des Bogenschießens einarbeitete und dabei so manche schwerwiegende,
grundsätzliche Fehler beging, die nicht zuletzt durch seine europäische kulturelle
Herkunft und seine Philosophie bedingt waren. Unter anderem bereitete es ihm
ein großes Problem, dass sich der Schuss des Pfeils in der höchsten Spannung
des Körpers und Bogens wie von selbst lösen sollte, was ihm immer wieder gründlich
misslang. Sein bewusster Wille, den Schuss zu lösen, erbrachte nicht die erstrebte
Wirkung, dass der Schuss „wie eine reife Frucht“ fallen sollte.
Je angestrengter er versuchte, den Schuss willentlich auszulösen, desto
mehr verkrampfte er, und desto mehr wich er von dem Geist der „reifen Frucht“
ab, den sein Meister ihm vorgegeben hatte. Dies führte schließlich dazu, dass
der Meister den Unterricht abrupt beenden wollte, weil sein Schüler, wie er
meinte, zu eigensinnig vorging, um endlich „Erfolge“ zu erzielen, wodurch er
gerade die Aufmerksamkeit für das richtige Spannen und Auslösen des Schusses
vernachlässigte. Nur durch Vermittlung seiner japanischen Freunde konnte
Herrigel sein Training bei dem Meister doch noch fortsetzen, und er wurde dabei
viel einfacher und bescheidener, so schreibt er.
Eines Tages löste sich dann ein Schuss wie von selbst genau im
Augenblick der höchsten Spannung des Bogens und des Körper-und-Geistes, die
gleichzeitig locker und natürlich war. Das war es! Das war das lange gesuchte
„Etwas“! In der vollständig lockeren Haltung von Körper-und-Geist und
gleichzeitig in der höchsten Spannung des Bogenschützens musste sich der Schuss
von selbst lösen. Zur größten Überraschung des Philosophen Herrigel verneigte
sich dann sein Meister vor ihm und dem Bogen und sagte:
„ES hat
geschossen.“
Der Meister erläuterte anschließend, dass die Ehrung durch die
Verbeugung nicht ihm als Person gegolten habe, sondern dem Umstand, dass sich
das „Etwas“ des Körper-und-Geistes verwirklicht habe. Er wollte damit
ausdrücken, dass dieses Etwas genau die buddhistische Wahrheit ist, die beim
Handeln über das Denken, die Wahrnehmung und alles Persönliche hinausgeht. Es
ist zugleich die Spannung, Klarheit und das entspannte Gleichgewicht des
Geistes und des Körpers.
In diesem Sinne verwendet der Zen-Meister Kurt Österle (KyuSei) als
Titel für sein Buch über den Bogenweg den Kōan-Ausspruch
„Wenn der Bogen
zerbrochen ist – dann schieß!“[iii]
Damit wird klar, dass nicht ein materielles, physikalisches Verständnis
des Bogens gemeint ist. Der isolierte, unnatürliche Geist „schießt“ nicht. Der
Bogen steht hier aus meiner Sicht für das alte Ego, das zerbrechen muss, damit es wirklich schießt.