Sonntag, 23. Oktober 2016

Das Floß zum anderen Ufer, zum großen Frieden


Buddha erklärt seinen Schülern das Gleichnis vom Floß, das zum Überqueren des trennenden Wassers benutzt wird. Er fragt: Sollte das Floß danach auch am anderen sicheren Ufer aufbewahrt und weiter benutzt werden? Sollen wir es auf dem Rücken mühsam an Land weiter tragen?
„Ein Wanderer sieht auf seinem Wege vor sich eine große breite Wasserflut. Das diesseitige Ufer ist unsicher und gefährlich, das jenseitige Ufer dagegen sicher und ohne Gefahr. Er möchte daher unbedingt an das andere Ufer. Es ist aber kein Schiff zum Übersetzen und keine Brücke zum anderen Ufer vorhanden. Da überlegt er: vielleicht könnte ich Holzstämme, Zweige, Schilf und trockene Blätter sammeln, mir daraus ein Floß bauen und auf diesem Floß mit Händen und Füßen rudernd heil an das andere Ufer gelangen?“

Diesen Plan führt er aus und kommt tatsächlich heil an das andere Ufer. Dort angelangt denkt er: „Dieses Floß war mir von großem Nutzen, ich will es mir auf den Kopf und auf die Schultern laden und mitnehmen, wohin ich auch an Land weiter gehen werde.“

Buddha fragt daraufhin seine Mönche, ob dies ein sinnvolles, praktikables und wirkungsvolles Vorgehen sei, denn in der Tat war das Floß ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um auf das sichere Ufer zu gelangen und sich aus Schwierigkeiten und Problemen an die andere Seite zu retten.
Die Mönche antworteten völlig zu Recht, dass das kein sinnvolles Verhalten sei, weil das Floß auf dem hiesigen sicheren Lande überhaupt keinen Nutzen mehr habe. Es sei daher besser, das Floß zurückzulassen, nicht weiter mit sich zu schleppen und in der neu gewonnenen Freiheit auf dem Land unbeschwert seinen neuen Weg zu gehen.

Dieses Gleichnis formuliert den buddhistischen Weg der Emanzipation und Befreiung, für dessen schwierigen Teil man Hilfen und Werkzeuge gut gebrauchen kann oder deutlicher gesagt: Ohne solche Hilfsmittel ist das Übersetzen in eine bessere Lebenswelt kaum möglich. Solche Hilfsmittel sind für die Unterstützung durch die buddhistische Lehre sinnvoll: zum Beispiel die Vier Edlen Wahrheiten und die Vermeidung von Extremen, durch Beratung, die gemeinsame Arbeit mit Lehrern und anderen Menschen und durch buddhistische Werkzeuge.

Das Ziel des Buddhismus ist es also, dass man die Theorie der buddhistischen Lehre übersteigt und überflüssig macht und sich auch von Lehrern und Meistern durch eigene Praxis und Erfahrung unabhängig macht. Jeder geht schließlich seinen eigenen Wahrheits-Weg, entsprechend seiner ganz bestimmten Konstitution und nach seinen Möglichkeiten und Potentialen für die Weiterentwicklung und Emanzipation. Die buddhistische Lehre ist also keine Doktrin, abstrakte Metaphysik oder Ontologie, die immer und überall in gleicher Weise für alle Menschen die absolute Wahrheit garantieren soll. Diese gibt es nicht als Paket. Es kommt viel mehr auf das eigene Erleben und die sich laufend erweiternde Klarheit und Weitsichtigkeit auf dem buddhistischen Weg an. Dieser ist zum Beispiel im Achtfachen Pfad der Vier Edlen Wahrheiten zur Überwindung des Leidens beschrieben, aber kein Dogma.

Wo liegt denn eigentlich das trennende Wasser, das mit dem Floß überquert werden muss, um den großen Frieden in unserem Leben zu finden und darin zu verweilen und zu handeln?
Allein in uns selbst und besonders in unserem trennenden und getrennten Geist! Der große Frieden ist aber von uns selbst eigentlich überhaupt nicht getrennt. Unsere Vorurteile, inneren Schranken und zementierte Ideologien trennen uns ab. Und das ist ganz unnatürlich und überflüssig, um im großen Frieden zu leben!