Montag, 19. Dezember 2016

Entschlackung der buddhistischen Grundlagen im MMK


Für unseren buddhistischen Weg der Befreiung benötigen wir verlässliche Fakten und Grundlagen, sonst werden wir später enttäuscht und folgen irgendwelchen Versprechen, die nicht eingelöst werden. Was sind nun die verlässlichen Grundlagen? Buddha und Nagarjuna verstehen die Wirklichkeit als gemeinsames Entstehen in Wechsel-Wirkung und bauen darauf den WEG als menschlichen Prozess der Befreiung, Emanzipation und Weiterentwicklung auf. Nishijima Roshi und ich folgen ihnen dabei. Dazu gehört nicht zuletzt die Meditation des Achtfachen Pfads, zum Beispiel des Zazen nach Dogen: die Entleerung des Geistes von Verhärtungen, Vorurteilen und Doktrinen.

Im ersten Kapitel des MMK werden in einem „Rundum-Schlag“ Fehlentwicklungen, Dogmatisierungen, naiver Volks-Buddhismus, Populismus und unnötige intellektuelle Verwirrungen der damaligen Zeit konsequent angegangen und überzeugend richtig gestellt. Das ist ein radikales Vorgehen, das für mich auch in der heutigen Zeit ins „Schwarze trifft“.

Welche Eckpunkte werden behandelt?
Zunächst geht es um den falsche Glauben, dass Irgendetwas in der Welt total aus sich selbst entstanden sei, so etwas könne man in der Realität nicht erkennen. Alles entsteht in Wechsel-Wirkung und ist miteinander vernetzt; das wird auch eindeutig durch die Gehirnforschung nachgewiesen und hat weit reichende Folgen für den Buddhismus. Besonders wichtig ist dieser Fakt für die heutigen Menschen: Wer in narzisstischer Selbst-Überschätzung an sein eigenes Ich als alleinigen unwandelbaren Mittelpunkt der Welt glaubt, liegt völlig falsch. Irgendwann wird er dann vereinsamen, keine echte Freude im Leben haben und depressiv werden. Und: Der Starke ist am schwächsten allein, wenn er sich isoliert.

Und weiter. Nagarjuna nennt vier Faktoren dieser Wechsel-Wirkungen:
die Veranlassung, dass etwas Bestimmtes passiert (häufig als „Ursache“ bezeichnet);
die strukturellen Stütze z. B. die materiellen Umgebung;
die zeitliche Abfolge von Prozessen und
etwas Übergeordnetes, wie z. B. der Sinn in unserem Leben.

Weitere Faktoren gibt es nach Nagarjuna nicht. Sie sind m. E. direkt nachvollziehbar und im Einklang mit der modernen Systemtheorie. In manchen buddhistischen Linien gibt es einhundert und mehr derartige Faktoren, die dann noch weiter unterteilt werden. Davon hält der Autor also nichts. Ich folge ihm, weil das Zentrale des WEGes unsere eigene Entwicklung und Befreiung ist und keine komplizierten Schemata von statischen Bedingungen, die uns angeblich determinieren.

Durch unser eigenes Tun und Handeln, also durch unsere eigenen Kräfte, Energien und Therapien, können wir auf die genannten wechsel- wirkenden Faktoren einwirken. Wir müssen nicht alles passiv erdulden und hinnehmen, sondern können aktiv durch die von uns selbst gesteuerten Prozesse eingreifen. Dabei sind gute Lehrer besonders hilfreich, schlechte Lehrer aber sehr gefährlich, wie auch Dogen betont.

Wenn bei den Menschen überhaupt Nichts entsteht, also Statik oder Erstarrung vorherrscht, gibt es auch keine Veränderungen zum Guten. Dann verkümmert unser neuronales Netz in unserem Kopf immer mehr, und Kreativität und Freude im Leben verschwinden. Das passiert, wenn man Doktrinen einfach übernimmt und nicht hinterfragt, ganz gleich, ob sie nun als heilig verkündet werden oder nicht. Es kommt immer auf die eigene Erfahrung an.

Nagarjuna fragt, was wir in unserem Leben realistisch erreichen und erzielen wollen. Welche Ergebnisse und welches „Erzieltes“ streben wir sinnvoller Weise an und welche romantischen Utopien oder Dumpfheiten schaden uns? Buddha sagt: "Es ist sinnlos zu wünschen, was nicht wünschbar ist". Wir müssen uns davor hüten zu glauben, dass ein erwünschtes Ergebnis ohne Wechsel-Wirkung und eigenes Tun „vom Himmel fällt, so als ob es schon fertig irgendwo vorhanden gewesen wäre (Doktrin einer unveränderlichen isolierten Substanz oder Entität). Das wäre eine Ideologie von Ergebnissen ohne zeitliche Prozesse, wie ein isoliertes unveränderliches Ding und ist besonders irreführend und realitätsfremd: Es ist die verführerische Scheinwelt von Populisten. Und solche gibt es nicht nur in der Politik sondern leider auch im Buddhismus.

In der vor-buddhistischen indischen Philosophie wurde angenommen, dass die Welt aus unveränderlichen Bausteinen, den Dharmas, aufgebaut und zusammengesetzt ist. Sie wurden sogar als ewige Dinge und Phänomene bezeichnet. Nagarjuna warnt uns eindringlich davor, dass wir uns diese Bausteine als unveränderliche und unteilbare Atome und Ideen vorstellen. Denn wenn sich alles in der Welt verändert, kann es auch keine unveränderlichen materiellen und geistigen Bausteine geben. Wir wissen heute, dass auch Atome teilbar sind und sich in kleinste Prozesse von Energien umwandeln können. Die Doktrin von Geistes-Bausteinen ist völlig unhaltbar.

Diese alte vor-buddhistische Philosophie kann nämlich Wechsel-Wirkungen, Prozesse und Veränderungen der Realität nicht erklären, sie ist daher mit Buddhas Lehre und unserer Erfahrung der sich entwickelnden Veränderungen überhaupt nicht vereinbar. Solche vagen und ungesicherten Doktrinen sind für uns Menschen und unsere geistigen und psychischen Prozesse der Befreiung, Emanzipation und Entwicklung völlig unbrauchbar und eindeutig irreführend. Sie waren zu Nagarjunas Zeiten unterschwellig in neuem Gewand wieder erstarkt und sind leider auch heute z. T. zu beobachten.

Im Buddhismus geht es um positive Veränderungen, deren Ergebnisse oft als Früchte oder Verdienste bezeichnet werden. Im Volks-Buddhismus gibt es zudem den Glauben und die Hoffnung, dass diese Früchte des jetzigen Lebens einfach und unverändert durch die Wiedergeburt zum nächsten Leben weitergegeben werden. Aber so einfach ist das nicht, wie Nagarjuna nachweist. Dabei würden auch die Früchte fälschlich als isolierte Dinge (Entitäten) und ohne Wechsel-Wirkungen verstanden.

Nagarjuna destruiert einen solchen Glauben, und sei er noch so feinsinnig mit scharfsinnigen angeblich unabweisbaren Argumenten begründet. Sie sind in sich widersprüchlich und nicht haltbar. Er warnt uns eindringlich davor, irgendetwas naiv und unreflektiert zu glauben oder uns auszudenken, was wir uns zwar so sehr wünschen, das aber nicht mit der erfahrbaren Wirklichkeit übereinstimmt. Es muss zu Enttäuschungen und Stillstand führen. Wir kommen so auf dem Weg der Befreiung nicht voran:


Nicht ein fernes erträumtes Ergebnis ist der Mittlere WEG der Überwindung von Hindernissen und Blockaden (abgehobener Idealismus), sondern Befreiung durch unser klares aufrichtiges Handeln im konkreten Hier und Jetzt!