Freitag, 30. Dezember 2016

Buddhas Mittlerer WEG bei Erregung: Vertreibung von "Teufels"-Doktrinen



In diesem Kapitel des MMK gibt Nagarjuna einen Einstieg, wie wir auf dem Mittleren Weg mit starken Gefühlen, Affekten, Erregung, großer Liebe, großem Mitgefühl und letztlich mit Gier, Neid und Hass im Buddhismus richtig umgehen können und welche Doktrinen wir vor Allem destruieren sollten. Es ist klar, dass wir Extreme vermeiden sollten, um uns und anderen nicht zu schaden und unsere eigene Befreiung voran zu bringen.

In Sanskrit verwendet der Autor den Begriff raga, der aus Farbe und Färben abgeleitet ist: Wie werden Geist, Psyche und Körper durch Affekte, große Gefühle oder durch emotionale Fesseln und eruptive Durchbrüche verändert und gefärbt? Wie kann man sie steuern? Und weiter: Welches belastbare buddhistische Wissen gibt es dazu und was ist falsches Schein-Wissen, das heute im Internet auch als fake bezeichnet wird?

Fake-Informationen sind zunehmend zum drückenden Problem geworden, davon ist auch der Buddhismus leider nicht ausgenommen. Schnell-Erleuchtung ist ein wenn auch wirkungsloses Markt-Produkt geworden. In diesem Sinne ist es daher unsere Aufgabe, die tradierte verzerrte Lehre der Erregung und emotionaler Extreme gründlich zu entschlacken.

Buddha nennt bei den Hemmnissen des Erwachens Folgendes:„auf Sinnlichkeit gerichtetes Wollen“ sowie „Aufgeregtheit und Unruhe“, also materiell-sinnliche Gier und psychische Hektik. Sie sind oft unbewusst und können von manchen nicht mehr gesteuert werden. Das sind auch in der heutigen Zeit wichtige Probleme, die nicht einfach wegdiskutiert werden können.

Dem stellt Buddha bei den sieben Faktoren des Erwachens die Achtsamkeit, Energie, Gestilltheit und vor Allem die Freude gegenüber. Damit gibt er die Richtung für unserer Weiter-Entwicklung vor, nämlich die Überwindung von Kummer, Jammer, Gram Verzweiflung, Angst, Stress, Hoffnungslosigkeit und Zukunfts-Horror, unter denen heute so viele Menschen zu leiden haben. Bei der Betrachtung unserer Gefühle rät uns Buddha mit Achtsamkeit zu erkennen:“ Ein freudiges Gefühl empfinde ich“ oder „ein leidiges Gefühl empfinde ich".

Wichtig ist es deren Entstehen und Vergehen zu betrachten und zu „verstehen“, um daraus für die Gestaltung und Veränderung des eigenen Lebens Klarheit zu gewinnen: So werden neue Impulse und Energien wirksam. Dabei ergeben sich die Kraft, Motivation und der Mut zur Veränderung besonders durch Freude und nicht durch depressive und zerstörerische Selbst-Vorwürfe, wie manche verzerrt tradierte Religionen uns vielleicht weismachen wollen!

Wie baut der Autor nun dieses kurze und wichtige Kapitel auf?
Er beschreibt die vor-buddhistische Auffassung, dass Erregung und der erregte Mensch verschiedene und getrennte Sachen und Entitäten seien. Das hört sich kompliziert an. Was soll damit gesagt werden? Die Erregung wird dabei wie eine getrennte Wesenheit verstanden, die herbeikommt, den Menschen ergreift oder in ihn fährt. 

Die Teufel von Arezzo

Das erscheint recht skurril, ist aber auch in unserer Kultur in ähnlicher Form durchaus zu finden: Es erinnert mich an das berühmte mittelalterliche Bild der italienischen Stadt Arezzo, wo der heilige Franziskus die Teufel austreibt, die in die Bürger eingefahren waren. Die Menschen waren von den Teufeln besessen, die von ihnen getrennte böse Wesenheiten waren. Nach der Austreibung waren die Menschen von ihnen befreit und hatten ihre ursprüngliche Natur zurück gewonnen. Die Austreibung wurde nicht von ihnen selbst geleistet, sondern bedurfte einer höheren Macht. Nach dem Bild war es so möglich, dass die Teufel wieder ausgetrieben wurden: Und man sieht sie über den Dächern von Arezzo fliegend und zerknirscht verschwinden.
                                                 
Mir drängt sich der Vergleich mit Nagarjunas praktischer Philosophie auf: Die teuflischen Doktrinen sind wie die obigen Teufel schon immer irgendwo vorhanden und die Menschen sind dann noch natürlich und frei von den Täuschungen. Dann kommen die Doktrinen durch Erregung und Verlust der Mitte herbei, fahren in die Menschen ein und besetzen sie von innen: Die Menschen sind dann von den teuflischen Ideen, Vorurteilen, Konzepten und Spekulationen besessen. Durch den Mittleren WEG Buddhas und durch eigenes Handeln werden diese schädlichen Doktrinen wirkungsvoll vertrieben und die Menschen können erwachen. Sie haben sich befreit und sind leer von den teuflischen täuschenden Doktrinen

In ähnlicher Weise beschreibt Nagarjuna die altindische Doktrin einer getrennten "Erregung" (Entität), die fast einer eigenen Wesenheit gleicht, und dann mit dem Menschen zusammenkommt und ihn so erfasst. Damit wird ein psychischer Prozess körperlich und sogar materiell verstanden. Daraus ergeben sich spitzfindige theoretische philosophische Fragen, ob die Erregung vor dem Menschen da war und ihn dann ergriffen hat oder ob die Erregung umgekehrt erst später hinzu gekommen ist. Wenn die Erregung nun den Menschen ergriffen hat, stellt sich weiter die Frage: Sind die Erregung und der erregte Mensch dann eine Einheit oder nicht? Das ist im Übrigen die Frage von Identität oder Verschiedenheit, die auch in der westlichen Philosophie diskutiert wird

Buddha lehrte nun im Achtfachen Pfad ganz direkt, wie wir uns selbst befreien und emanzipieren können und verzichtet auf philosophische Spitzfindigkeiten, die praktisch wenig helfen. Auch Nagarjuna macht deutlich, dass er von derartigen Wesenheiten und Verdinglichungen psychischer Prozesse wenig hält. Aus der Gehirnforschung wissen wir, dass es um Bahnungen und synaptische Spuren im neuronalen Netz und deren Veränderungen geht. Damit ist auch wissenschaftlich begründet, dass die dargestellte Philosophie von getrennten Entitäten der Erregung wenig bringt.

Die weiteren von Nagarjuna behandelten theoretischen Themen sollen hier nur aufgezählt und nicht im Einzelnen behandelt werden: Kann es überhaupt einen Erregten geben, der immer und dauernd ein Erregter ist? Es könne keine Erregung geben, wenn kein erregter Mensch existiert. Und was ist der Fall, wenn Erregung und Erregter zwar gleichzeitig aber unabhängig und getrennt von einander „aufkommen". Kann man Erregung und erregten Mensch wie "Gefährten" verstehen oder nicht?

Nagarjuna spricht die damalige buddhistische Doktrin an: Geht es um das erwünschte Ziel, dass zunächst getrennte dauerhafte Entitäten von erregtem Mensch und Erregung angenommen würden, die dann durch den Buddhismus wunderbar vereint würden.

Schließlich verallgemeinert Nagarjuna den obigen entschlackten Zusammenhang auf alle Dinge, Phänomene und Prozesse (Dharmas) dieser Welt: Es gäbe in der Wirklichkeit nicht die totale Gleichheit und nicht den totalen Unterschied. Das sei ein Problem unseres Denkens oder unserer Sprache aber nicht der unteilbaren Wirklichkeit. Dies wurde im Zen-Buddhismus später weiter pragmatisch vertieft, soll hier aber nicht weiter behandelt werde.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Narajuna lehnt eine Doktrin metaphysischer gesonderter Entitäten für Erregung, Affekte und starke Gefühle, die getrennt von uns angeblich irgendwo existieren, und uns dann überfallartig wie eine Krake ergreifen oder uns ohne Gegenwehr überschwemmen, ab. Sie stimme mit dem authentischen Buddhismus nicht überein. Dabei möchte ich noch einmal an die mittelalterliche bildliche Darstellung der von Teufeln besessenen Menschen von Arezzo erinnern, die dann befreit werden. Es hat als Bild natürlich seine religiöse Kraft und Bedeutung und soll keineswegs herabgemindert werden.


Allerdings führt uns der buddhistische WEG der Befreiung und Emanzipation in konkreter Weise durch den Achtfachen Pfad Buddhas zum Gleichgewicht, zur Selbst-Steuerung und Selbst-Kontrolle. Er überwindet die Abhängigkeit von Erregungs-Zuständen oder explodierenden Affekten und umfasst ganz konkret: Rechte Sichtweise, rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebenswandel, rechte Bemühung, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung (Meditation). Er kann am besten als „gemeinsames Entstehen in Wechsel-Wirkung“ verstanden und gegangen werden.