Samstag, 24. Dezember 2016

Lotos-Sutra: Alle Menschen erlangen Erleuchtung

(Aus meinem Buch: Lotos-Sutra und Zen-Perle)


Buddhas Weissagung im Lotos-Sūtra: Alle Menschen erlangen irgendwann die Erleuchtung und die buddhistische Freiheit!
Ein sehr wichtiger Teil dieses Sūtra ist die Aussage Buddhas zur Befreiung der Menschen, selbst wenn sie noch so tief in Schwierigkeiten, Unkenntnis und falschem Handeln verstrickt sind. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist Buddhas Vetter Devadatta, der nach buddhistischer Überlieferung die Sangha gespalten und Buddha verleumdet hat. Aber sogar ihm wird im Lotos-Sūtra geweissagt, dass er irgendwann ein Buddha werden wird.

Dōgens Interpretation des Lotos-Sūtra bleibt nicht dabei stehen, die schöne, aber unbewegliche Lotosblüte zu bewundern, sondern er bezieht den Buddha-Dharma ein, indem er den berühmten Satz des großen Zen-Meisters Daikan Enō (Dajian Huineng) untersucht, der erklärt, dass sich die Blume des Buddha-Dharma, die durch die Lotosblume symbolisiert wird, dreht, und dass sich genau in dieser Bewegung, Drehung und Dynamik die Gesundung der Welt und Befreiung des Menschen ereignet.

Wer dumpf und unklar ist, bemerkt diese befreiende Dynamik der sich drehenden Dharma-Blume nicht. Aber wer auf dem Buddha-Weg Freiheit und handelnde Energie erlangt hat, dreht selbst die Dharma-Blume der Wahrheit und gestaltet zugleich sich selbst zusammen mit dieser Welt.

Für mich stellt diese Aussage zur Bewegung, Dynamik und, wie es hier heißt, Drehung einen fundamentalen philosophischen Fortschritt gegenüber einem statischen Seins-Verständnis der Welt dar. Bei Buddha und dem großen indischen Philosophen Nāgārjuna findet sich dazu die tiefgründige Lehre von der Bewegung und Entwicklung: das wechsel-wirkende gemeinsame Entstehen, pratitya samutpada. Ich bin sicher, dass Dōgen mit dem Zitat des Zen-Meisters Daikan Enō genau diese zentrale Aussage des Buddhismus ansprechen wollte.

Im Zusammenhang mit der Lehre von Bewegung und Entwicklung möchte ich nun den großen buddhistischen Meister Padmasambhava, den „Lotosentstandenen“, zu Wort kommen lassen. Er wurde im 8. Jahrhundert vermutlich im Ost-Iran geboren und hat wesentlich in Tibet gewirkt (ohne Inder oder Tibeter zu sein). Für ihn sind die Schönheit, die Bewegung der Welt, das Licht und die Helligkeit von zentraler Bedeutung. Seine Texte zeichnen sich aus meiner Sicht durch tiefe Poesie und große Glaubwürdigkeit aus:

„Aus dem Zentrum des Daseins, die reine sichtbare Erscheinungsform, der dem Himmelsraum (gleichenden) wirbelnden Spiralbewegung (des Seins)
haben sich unaufhörlich schöpferische Fähigkeiten als ein strahlendes Licht manifestiert:
Die seinsmäßige Turbulenz hat sich als meine schöpferische Fähigkeit erwiesen.
Und das strahlende Licht ist die schöpferische Kraft meines Spiels (und meiner freudigen Bewegung).“
Wie der Übersetzer und Kommentator Herbert Guenther mit Peter Gäng zurecht betont, sind die Arbeiten Padmasambhavas bisher viel zu wenig beachtet worden und verdienen es, in buddhistischen Kreisen gründlich gelesen und stärker wahrgenommen zu werden.[1]





[1] Guenther, Herbert: Wirbelndes Licht, S. 47