(Aus meinem
Buch: Lotos-Sutra und Zen-Perle)
Buddhas Weissagung im Lotos-Sūtra:
Alle Menschen erlangen irgendwann die Erleuchtung und die buddhistische
Freiheit!
Ein
sehr wichtiger Teil dieses Sūtra ist die Aussage Buddhas zur Befreiung der
Menschen, selbst wenn sie noch so tief in Schwierigkeiten, Unkenntnis und
falschem Handeln verstrickt sind. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist
Buddhas Vetter Devadatta, der nach
buddhistischer Überlieferung die Sangha gespalten und Buddha verleumdet hat.
Aber sogar ihm wird im Lotos-Sūtra geweissagt, dass er irgendwann ein Buddha werden
wird.
Dōgens
Interpretation des Lotos-Sūtra bleibt nicht dabei stehen, die schöne, aber
unbewegliche Lotosblüte zu bewundern, sondern er bezieht den Buddha-Dharma ein,
indem er den berühmten Satz des großen Zen-Meisters Daikan Enō (Dajian Huineng) untersucht, der
erklärt, dass sich die Blume des Buddha-Dharma,
die durch die Lotosblume symbolisiert wird, dreht, und dass sich genau in
dieser Bewegung, Drehung und Dynamik die Gesundung der Welt und Befreiung des
Menschen ereignet.
Wer
dumpf und unklar ist, bemerkt diese befreiende Dynamik der sich drehenden
Dharma-Blume nicht. Aber wer auf dem Buddha-Weg Freiheit und handelnde Energie
erlangt hat, dreht selbst die Dharma-Blume
der Wahrheit und gestaltet zugleich sich
selbst zusammen mit dieser Welt.
Für
mich stellt diese Aussage zur Bewegung, Dynamik und, wie es hier heißt, Drehung
einen fundamentalen philosophischen Fortschritt gegenüber einem statischen Seins-Verständnis der Welt
dar. Bei Buddha und dem großen indischen Philosophen Nāgārjuna findet sich dazu
die tiefgründige Lehre von der Bewegung und Entwicklung: das wechsel-wirkende gemeinsame Entstehen,
pratitya samutpada. Ich bin sicher, dass Dōgen mit dem Zitat des Zen-Meisters
Daikan Enō genau diese zentrale Aussage des Buddhismus ansprechen wollte.
Im
Zusammenhang mit der Lehre von Bewegung und Entwicklung möchte ich nun den
großen buddhistischen Meister Padmasambhava,
den „Lotosentstandenen“, zu Wort kommen lassen. Er wurde im 8. Jahrhundert vermutlich
im Ost-Iran geboren und hat wesentlich in Tibet gewirkt (ohne Inder oder
Tibeter zu sein). Für ihn sind die Schönheit, die Bewegung der Welt, das Licht
und die Helligkeit von zentraler Bedeutung. Seine Texte zeichnen sich aus
meiner Sicht durch tiefe Poesie und große Glaubwürdigkeit aus:
„Aus dem
Zentrum des Daseins, die reine sichtbare Erscheinungsform, der dem Himmelsraum
(gleichenden) wirbelnden Spiralbewegung (des Seins)
haben sich
unaufhörlich schöpferische Fähigkeiten als ein strahlendes Licht manifestiert:
Die
seinsmäßige Turbulenz hat sich als meine schöpferische Fähigkeit erwiesen.
Und das
strahlende Licht ist die schöpferische Kraft meines Spiels (und meiner
freudigen Bewegung).“
Wie
der Übersetzer und Kommentator Herbert Guenther mit Peter Gäng zurecht betont,
sind die Arbeiten Padmasambhavas bisher viel zu wenig beachtet worden und
verdienen es, in buddhistischen Kreisen gründlich gelesen und stärker
wahrgenommen zu werden.[1]