(Von G. W.
Nishijima)
Aus meinem
Buch: "Stern-Stunden des Buddhismus"
"Durch das Sitzen werden Gleichgewicht und
Harmonie ermöglicht, von denen wir heute wissen, dass sie die Balance des
vegetativen Nervensystems ausmachen. Diese Zazen-Praxis bezeichne ich als die erste Erleuchtung, wenn sie
sich verwirklicht.
Sie kann aber nicht auftreten, wenn sich intellektuelle
oder andere unruhige Gedanken im Gehirn festsetzen, wenn Gefühle vorherrschen,
wenn verzerrte Wahrnehmung dominiert oder man gierig nach irgendetwas verlangt,
zum Beispiel auch nach der großen eigenen Erleuchtung. Besonders schädlich sind
die Gier nach Ruhm, Ansehen, eigener Wichtigkeit, Macht oder Profit und der
damit verbundene Stolz.
Daher ist es so wesentlich, durch Shikantaza ("Nichts-als-Sitzen") nicht
unbedingt irgendein „großartiges“ Ergebnis wie die Erleuchtung erlangen zu
wollen und sich nicht auf irgendetwas Spezielles zu konzentrieren. Besonders
starke Affekte verhindern das "Nichts-als-Sitzen". Vielmehr kommt es
darauf an, die richtige körperliche Haltung einzunehmen und das Sitzen als
Handeln zu verwirklichen. Nur dann wird sich die erste Erleuchtung bei der Zazen-Praxis
wie von selbst ereignen.
Gautama Buddha hatte im damaligen Indien zunächst versucht, durch die
bekannten Formen der Meditation und geistigen Konzentration sowie durch extreme
Übungen der Askese die Befreiung und das Erwachen zu erlangen und war dabei
gescheitert. Die damals in Indien gelehrte Philosophie des Idealismus, bei dem
Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Ideale vorherrschend waren, hatte nicht zum
ersehnten Erwachen geführt. Aber auch die materielle Lebensphilosophie, die
behauptet, allein die Wahrnehmung, Beobachtung und der sinnliche Genuss seien
wirklich, hatte sich für ihn als Sackgasse erwiesen. Auch Skeptizismus und
Nihilismus, die es schon damals als Denkrichtungen gab, führten nicht zum
Erwachen.
Schließlich erkannte Gautama Buddha beim Zazen und dem Leuchten des
Morgensterns, wie Meister Dōgen es ausdrückt:
„Die ganze Erde und alle Lebewesen
verwirklichen zusammen die Wahrheit.“
Ihm wurde plötzlich klar, dass er über das gewöhnliche unterscheidende
Denken und die übliche vordergründige Wahrnehmung hinausgehen musste, um die
Wahrheit und Wirklichkeit der Welt direkt zu erfahren und zu erleben. Dazu benutzte
er die Praxis des Zazen in der seit Langem bekannten Yogahaltung des halben
oder ganzen Lotossitzes.
Durch den einfachen Akt des Sitzens im Augenblick und im Hier und Jetzt
verlassen wir das oft quälende dualistische Bewusstsein von Körper und Geist.
Wir erfahren unser Leben im Einklang und in der Harmonie mit dem Universum
ganzheitlich und unmittelbar intuitiv. In der wirklichen Erfahrung des Zazen
können wir den Buddha-Dharma vollkommen verwirklichen, wenn wir, wie ich immer
wieder betone, zweimal täglich diese Übung praktizieren."