(Von Gudo Wafu Nishijima)
Aus meinem Buch Sternstunden des Buddhismus, Band 1
Aus meinem Buch Sternstunden des Buddhismus, Band 1
"Meine eigene Lehre stützt sich neben Gautama Buddha selbst auf die genialen Meister Nagārjuna, Bodhidharma und vor allem auf Meister Dōgen. Ich habe bei meinen zahlreichen Vorträgen und Gesprächen in Asien, Europa und Amerika festgestellt, dass sich die Kernpunkte der Theorie und Praxis des wahren Buddhismus in der heutigen Zeit immer klarer herauskristallisieren und besser verstanden werden. Dies betrachte ich als große Hoffnung. Es wäre von großem Wert für die gesamte Menschheit, wenn der Buddhismus im Westen neue Kraft und Klarheit erlangt.
Welches sind nun die maßgeblichen Kernbereiche des Buddha-Dharma? Lassen
Sie mich dabei zunächst kurz auf das Leben und die Erfahrungen von Meister
Dōgen eingehen. Er wurde 1200 n. Chr. geboren und erlebte schon in früher
Jugend schwere Schicksalsschläge, weil sein Vater und seine Mutter früh starben
und er auf diese Weise bitter erfahren musste, dass das Leben endlich ist.
Dies mag der Grund dafür sein, dass er schon in jungen Jahren nach dem
Sinn und der Wahrheit des Lebens und der menschlichen Wirklichkeit suchte. Er
trat mit zwölf Jahren in ein buddhistisches Kloster ein und hatte sich nicht
zuletzt wegen seiner überragenden Intelligenz und Beharrlichkeit schon bald die
verschiedenen buddhistischen Lehren im damaligen Japan erarbeitet und sie
durchdrungen.
Der junge Dōgen war nicht nur außergewöhnlich begabt, sondern auch
überaus ehrlich sich selbst gegenüber, sodass ihn der damals in Japan gelehrte
sehr theoretische und spekulative Buddhismus trotz besten Willens und großer
Anstrengung nicht überzeugte.
Er entschied sich daher, nach China in das Ursprungsland des
Zen-Buddhismus zu gehen. Auch dort erlebte er zunächst Enttäuschungen, bis er
schließlich und fast am Ende der Reise seinem Meister Tendō Nyojō begegnete, der neben der fundierten Lehre des
Buddhismus vor allem die Praxis des Zazen und das Handeln im Alltag in den Mittelpunkt
des buddhistischen Lebens stellte. Tendō Nyojō hatte selbst viele Jahre lang
einen wahren Meister gesucht, aber nicht gefunden. Solche großen Meister gab es
zu jener Zeit nur noch wenige in China.
Zazen ist keine geistige Meditation, bei der die Konzentration auf ein
Meditationsobjekt, zum Beispiel auf ein Thema oder ein Bild, auf den Atem, auf
das Zählen oder auch auf die paradoxe Frage eines Kōans gerichtet ist. Zazen
ist genau das Gegenteil, nämlich praktisches Handeln ohne diskursives Denken in
Form des Sitzens in der richtigen Zazen-Haltung. Zazen ist gegenstandslose
Meditation: einfach Sitzen.
Dabei stellt sich beim Menschen ein bestimmtes Gleichgewicht ein, und
alle Gedanken, Gefühle und die normale Wahrnehmung verschwinden früher oder
später. Dadurch befreit sich unser Geist von Grund auf. Nach neuen
wissenschaftlichen Erkenntnissen handelt es sich dabei vor allem um das
Gleichgewicht des vegetativen
Nervensystems, wenn die Aktivität und Spannung des einen Teilsystems –
Sympathikus – und die Passivität und Entspannung des anderen – Parasympathikus
– im Gleichgewicht sind.
Das japanische Wort „Shōbōgenzō“ bedeutet: der wesentliche Kern oder die
Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, also des Buddhismus. Dieser kostbare
Schatz der Lehre ist aus der Sicht von Meister Dōgen zusammen mit der Praxis
des Zazen die umfassende Lehre des Gautama Buddha. Er beschreibt sie in seinen
Lehrreden (Sūtras) sehr genau und hat sie, wie wir wissen und erfahren, an
seine Schüler und an uns weitergegeben.
Was sind nun die Kennzeichen der Zazen-Praxis, die Meister Dōgen sehr
umfassend lehrt?[i]
Er führt die folgenden vier wesentlichen Bereiche auf:
(1) Das Überschreiten des üblichen unterscheidenden
Denkens mit dem Verstand durch die besondere Art des „Nicht-Denkens“;
(2) Das regelmäßige Sitzen im Zazen in der richtigen
Körperhaltung, die von Dōgen exakt beschrieben wird. Dieses Sitzen ist
praktisches Tun, umfasst damit den ganzen Menschen und beschreibt wie im Yoga
die körperliche Dimension als Grundlage des Handelns und des Geistes.
(3) Dōgen beschreibt das wirkliche Handeln und
Erleben bei der Zazen-Praxis mit den Worten „das Fallenlassen von Körper und
(denkendem) Geist“ und meint damit, dass wir uns von den Fesseln des Körpers
und des gewöhnlichen Verstandes, die uns in unserem Leben so häufig einengen
und quälen, befreien. Ich interpretiere diese von Dōgen formulierte Tatsache
als das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, das durch die Zazen-Praxis
erreicht wird.
(4) Die Praxis des Zazen wird durch das japanische
Wort Shikantaza beschrieben, das
übersetzt etwa heißt „nichts anderes tun als sitzen“. Damit will Dōgen vor
allem klarmachen, dass wir uns bei der Zazen-Praxis nicht auf ein vorgestelltes
Objekt, also ein Thema, Ziel oder Kōan, konzentrieren sollen, sondern dass das
richtige Sitzen selbst die wesentliche Übungspraxis ist."
Ergänzung: Zazen ist also direktes Handeln, das Körper, Geist und Psyche befreit von Ideologien, Vorurteilen und falschen Doktrinen. Das ist auch die Kern-Aussage von Nagarjunas großem Werk "Mittlerer Weg": Die Leerheit von irreführenden Doktrinen des Selbst sowie der Dinge und Phänomene, den Dharmas.
Ergänzung: Zazen ist also direktes Handeln, das Körper, Geist und Psyche befreit von Ideologien, Vorurteilen und falschen Doktrinen. Das ist auch die Kern-Aussage von Nagarjunas großem Werk "Mittlerer Weg": Die Leerheit von irreführenden Doktrinen des Selbst sowie der Dinge und Phänomene, den Dharmas.
[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 311ff.