Sonntag, 5. Juli 2015

Buddha-Weg: Dranbleiben ist das Wichtigste



Dōgen sagt über Meister Eka, dass dieser beharrlich und ausdauernd versucht hatte, den Geist und die Natur des Buddhismus darzulegen, aber dass das zunächst für ihn unmöglich gewesen war, weil er den Zustand der Wahrheit noch nicht erlangt hatte. Durch die andauernde Übung, vor allem des Zazen, machte er jedoch Fortschritte und konnte schließlich den Zustand der Wahrheit seines Lehrers Bodhidharma erlangen.

In diesem Zusammenhang gibt es jedoch verschiedene Interpretationen, die Dōgen aber für falsch und unsinnig hält. So wird zum Beispiel die irrige Meinung vertreten, dass Eka zunächst verzweifelt und mit aller Gewalt versucht hatte, den Geist und die Essenz des Buddhismus darzulegen und auszudrücken.

Erst als er dieses Vorhaben aufgegeben hätte, also nichts mehr darlegen wollte, konnte er den Zustand der großen Wahrheit erlangen. Dōgen kritisiert, dass dabei völlig vernachlässigt werde, dass man erst mit einem Geist wie Hecken und Mauern in der Lage ist, in die Wahrheit einzugehen. Und er fügt hinzu, dass wir durch die Praxis und Übung in die Richtung des Buddha-Dharma gehen, nachdem wir den Bodhi-Geist erweckt haben. Obgleich wir zunächst immer wieder und ausdauernd praktizieren,

„treffen wir in hundert Anstrengungen niemals das Ziel.“

Aber mit der Unterstützung guter Lehrer und der Sūtras, welche die Wahrheit über den Geist lehren und ausdrücken, werden wir langsam fähig, das Ziel zu erreichen. Indem man einfach aufgibt, gelingt das nicht. Auch ohne die buddhistischen Schriften, die Sūtras, ist der Gang auf dem Buddha-Weg m. E. nicht zu gehen; Geist-Feindlichkeit bringt uns zurück und nicht weiter.

„Einen Treffer des Ziels gibt es jetzt durch die Tugend und Kraft von Hunderten von vergeblichen Versuchen in der Vergangenheit. Es ist eine Reifung durch Hunderte von Fehlern.“

Die "vergeblichen Versuche" sind gar nicht vergeblich, denn sie sind jeweils ein wichtiger Lernschritt. Ganz schlicht: Wir müssen einfach dranbleiben.

Dabei ist es notwendig, dem Lehrer zuzuhören, die Wahrheit zu üben und den Zustand der Erfahrung der Wirklichkeit zu erlangen. Denn die vielen Fehlversuche auf dem Übungsweg sind Teil des Lernprozesses und unerlässlich, um schließlich das Ziel zu treffen und Geist und natürliche Essenz auszudrücken. Einen anderen Weg gebe es nicht. Wer den Buddha-Weg nicht gemeistert hat, sei kaum in der Lage, diese Grundwahrheiten zu verstehen.

Dōgen fügt ein aussagekräftiges Gleichnis hinzu: Wenn jemand tausend Meilen geht, gehören der erste und der letzte Schritt dazu. Sie bilden eine Einheit auf dem Weg der tausend Meilen. Obgleich der erste Schritt sich vom letzten unterscheidet, sind beide notwendig, um die Strecke zu bewältigen. Alle Schritte gehören dazu und keiner kann ausgelassen werden, wenn wir das Ziel erreichen wollen. Es kommt also nicht nur darauf an, den Weg des Buddhas zu gehen, nachdem wir die Wahrheit erlangt haben, sondern der gesamte anfängliche Lernprozess gehört dazu und ist wesentlich. Nur derjenige kann darüber Klarheit haben, der den ganzen Weg als praktische Erfahrung gemeistert hat, betont Dōgen.

Damit sagt er klipp und klar, dass wir ausdauernd und mit langem Atem den Buddha-Weg gehen sollen und auf keinen Fall wegen anfänglicher Misserfolge aufgeben dürfen. Dies steht in krassem Gegensatz zu manchen dubiosen buddhistischen Versprechungen, dass man bei der Teilnahme an einem Kurs bei einem bestimmten selbsternannten Lehrer im Schnellverfahren die Erleuchtung erlangen könnte. Ein solches Schnellverfahren kann es nicht geben, das sagt uns nicht zuletzt die heutige Gehirnforschung zum Lernen.

Genauso unsinnig ist es, bei immer neuen Lehrern anzufangen und den Weg nicht konsequent weiterzuverfolgen. Man braucht in der Tat eine gewisse Anfangsstabilität des eigenen Selbstwertgefühls, um nicht aufzugeben und frustriert abzubrechen. Die vollmundigen Versprechen und Ankündigungen der sogenannten Lehrer können dabei die spätere Frustration und Enttäuschung noch wesentlich verstärken. Ganz wichtig ist es auch, dass wir nicht nur im Seminar oder in einem Sesshin lernen, sondern jeden Tag praktizieren, um so Schritt für Schritt voranzukommen.

Es muss nicht immer lange sein!


Freitag, 3. Juli 2015

ZEN-Kurzfim auf Festival in Berlin


Die jungen Filmemacherin Beatrice Madach hat einen viel beachteten

Kurzfim zum ZEN gedreht.

Er wurde für ein Festival in Berlin ausgewählt und wird am

Montag, den 6. Juli

im Rahmen eines spannenden Programm gezeigt.

Das Festival ist für jeden geöffnet!

Hier der Link:
ZEN-Kurzfilm
http://www.berlinshort.com/screenings-2015


Mit herzliche Grüßen
Yudo Seggelke


Donnerstag, 25. Juni 2015

Meister Eka antwortete mit „Mu“!



Weder die Buddha-Natur noch die Dharma-Natur lässt sich gedanklich voll erfassen, denn sie würden dann nur in der Lebensphilosophie des Idealismus bleiben. Auf dieser Ebene kann man auch zum Beispiel die Frage, ob es die Buddha-Natur gibt oder nicht, überhaupt nicht beantworten und nicht einmal sinnvoll angehen. Es ist die falsche Ebene. Dōgen sagt dazu:

„Der Geist, den die großen buddhistischen Meister ausdrücken (und lehren), ist die Haut, das Fleisch, die Knochen und das Mark. Die Essenz, die die großen buddhistischen Meister bewahren, ist ein Bambusrohr und ein Stab.“

Der Geist umfasst damit die ganze Wirklichkeit des Denkens, Redens, Lehrens, der materiellen Wirklichkeit der Natur sowie das Handeln und ist das erwachte Leben selbst.

Dōgen betont im Hinblick auf den Geist in besonderer Weise das Handeln beim Hören, Darlegen, Praktizieren und Erfahren dieses Zustandes des Geistes. Genau dieses Handeln sei der Geist und die Essenz des Buddhismus:

„(Die großen Meister) bewahren und lernen im Handeln diesen Zustand des Tiefgründigen und Feinen.“

Wer kein solches Verständnis und Erleben hat, taumelt durch die Zeiten seines Lebens und schwankt zwischen Erlangen und Nicht-Erlangen der Wahrheit hin und her. Nach Nishijima und Cross geht es um die intuitive Betrachtung „unmittelbar vor und nach einer Handlung“. Dies sei nichts anderes, als den Geist zu erklären und die Natur darzulegen.[i] Einen anderen Weg und eine andere Möglichkeit gibt es im Buddhismus nicht.

Dōgen zitiert dann den ersten Zen-Meister Bodhidharma, der zu seinem Nachfolger Taiso Eka sagte:

„Wenn du genau die externen Bindungen enden lässt und in deinem Geist keine Unruhe und keine Hektik sind, wird dein Geist wie Hecken und Mauern sein, und du kannst in die Wahrheit eingehen.“

Eka konnte mit diesen Aussagen zunächst nichts anfangen. Aber plötzlich erlangte er eine tiefe Betrachtung und Einsicht und sagte zu Bodhidharma, dass er zum ersten Mal die Bindungen an die Außenwelt beendet habe. Dieser erkannte, dass Eka bereits im Zustand der Verwirklichung und des Erwachens war und wollte von ihm eine genaue Bestätigung dazu haben. Deshalb stellte er die scheinbar entgegengesetzte Frage:

„Du hast die Beendigung (der Bindung an die äußere Welt) nicht verwirklicht. Nicht wahr?“

Eka antwortete mit „Mu“, dessen Bedeutung sich etwa mit dem deutschen Ausdruck umschreiben lässt „nein es gibt nichts“ oder „ich habe nichts“. Mu ist keine einfache Negation und überhaupt keine nihilistische Aussage, sondern verweist auf eine Ebene, die mit simplen Worten und dem unterscheidenden Verstand nicht zu erfassen ist. Sie verweist also auf die Unfassbarkeit des Geistes.

In diesem Sinne äußerte sich auch Meister Eka:

„Ich erkenne es immer sehr klar, daher kann ich es nicht mit Worten ausdrücken.“
Meister Bodhidharma bestätigte daraufhin, dass dies genau die wesentliche Essenz des Geistes ist, die seit der Vergangenheit von den Buddhas weitergegeben wird:

„Nun hast du es erlernt, du musst es jetzt selbst gut bewahren.“




[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 3, S. 54, Fußnote 17

Montag, 8. Juni 2015

Die Täuschung von sich selbst


Dōgen zitiert folgende Aussage Sōkōs:

„Weil die Menschen es heute schätzen, über den Geist zu lehren und über die Natur Aussagen zu machen, und sie es zudem lieben, über das Tiefgründige und Feine zu diskutieren, erlangen sie die Wahrheit (nur) langsam. Wenn wir einfach die Dualität von Geist und Natur weggeworfen und sowohl das Tiefgründige als auch das Feine vergessen haben, dann erfahren wir wirklich den Zustand (der Wahrheit), sodass keine dualistischen Formen entstehen.“

Wenn man Sōkōs Ausführungen nicht genau liest, wirken sie durchaus eingängig. Aber stimmen sie mit dem Buddha-Dharma wirklich überein? Bevor ich Dōgens Interpretation untersuche, möchte ich einige eigene Anmerkungen vorwegschicken. In seinem zweiten Satz sagt Sōkō, dass wir die Dualität von Geist und Natur „einfach wegwerfen“ sollen.

Dies ist sicher leichter gesagt als getan. Gleiches gilt für seine Aufforderung, dass wir das Tiefgründige und Feine „einfach vergessen“ sollen. Wegwerfen und Vergessen sind mentale Willensentscheidungen und keine ganzheitlichen Erfahrungen, die der kritischen Reflexion über deren Realität standhalten.

Nach Nishijima Roshi bewegen sich die Aussagen Sōkōs in der Dimension der Ideen und des Idealismus, sie sind weder konkret noch in die buddhistische Praxis eingebunden. Allein mit der Lebensphilosophie des Idealismus ist es aber unmöglich, den Zustand der Wirklichkeit und Erleuchtung zu erlangen.

Aufschlussreich ist es auch, eine Verbindung zum Kapitel über die Verwirklichung des Lebens und des Universums herzustellen. Dort sagt Dōgen, dass es auf dem Buddha-Weg notwendig ist, sich selbst zu vergessen.[i] Das ist aber etwas ganz anderes, als bestimmte Objekte des Bewusstseins wie Dualität, Tiefgründiges und Feines zu vergessen.

Das Vergessen von uns selbst ist ein ganzheitlicher Ablösungsprozess von den bisherigen vorgefassten Meinungen, Selbsttäuschungen, Illusionen und Verdrängungen. Nach Dōgen ergibt sich dabei auf natürliche Weise und gewissermaßen als automatische Folge, dass der Dualismus bei der Verwirklichung der höchsten Lebensphilosophie überwunden wird, da er nur im Idealismus und Materialismus vorkommt.

Sōkō spricht aber vom Dualismus wie von einem Objekt des Bewusstseins. Er behauptet, dass wir den Dualismus einfach vergessen sollen und können, und damit sei das Problem des Dualismus gelöst. Durch diesen einfachen Entschluss zu vergessen, würden wir direkt in der Wirklichkeit und Wahrheit ankommen.

Das ist jedoch ein fataler Irrtum! Sōkōs „Patentrezept“ beruht auf schweren spirituellen, existentiellen und sogar psychologischen Fehlern. Etwas bewusst vergessen zu wollen, heißt ja im Kern, etwas bewusst zu verdrängen. Aber eine solche Verdrängung gelingt entweder überhaupt nicht oder hat die bekannten psychischen Probleme zur Folge.

Im ersten Teil des Zitates meint Sōkō etwas abfällig, dass es leider modisch sei, über den Geist und die Essenz des Buddhismus zu reden. Dies sei überhaupt nicht notwendig und sinnvoll, weil wir ja einfach den Dualismus wegwerfen sollen. Er vertritt sogar die Ansicht, dass es für den buddhistischen Weg und das Erreichen der Wahrheit schädlich sei, wenn wir über den Geist reden und das Wesentliche des Buddhismus erläutern und in Gesprächen vertiefen. Auch daran wird deutlich, dass Sōkō im krassen Gegensatz zu Dōgens Ausführungen steht.

Nach meinem Verständnis hat Sōkō den Geist und die Essenz des Buddha-Dharma falsch gelehrt und irreführend dargelegt. Das Ergebnis kann nur die Täuschung von sich selbst und anderen sein.




[i] Kap. 3, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 43 ff.: „Das verwirklichte Leben und Universum (Genjō-kōan)

Donnerstag, 4. Juni 2015

Die spirituelle Einheit der großen Meister im Augenblick


Dōgen zählt mehrere Beispiele aus der buddhistischen Überlieferung auf, die veranschaulichen, wann und wie der Geist gelehrt und die Natur-Essenz dargelegt wird:

eine Blume in den Händen zu halten,
ein Zeichen mit den Augen zu geben,
ein Gesicht, in dem ein Lächeln erscheint,
Niederwerfungen zu machen und
bei der Dharma-Übertragung auf seinem Platz zu stehen.



Diese Beispiele sprechen die Dharma-Übertragung von Gautama Buddha auf Mahākāshyapa und von Bodhidharma auf Meister Eka an. In diesen besonderen Augenblicken werden keine Worte verwendet, denn die spirituelle Interaktion vollzieht sich durch Handeln in vollständiger Übereinstimmung der Menschen.

Auch in den anderen Beispielen aus der Zen-Geschichte, die Dōgen noch aufführt, haben die Meister vor allem durch Handeln und Gesten den umfassenden Geist gelehrt und die Essenz des Buddhismus dargelegt.

Diese Zustände des Geistes präzisiert Dōgen, indem er die Augenblicke der Wirklichkeit anspricht sowie die Einheit von Geist und konkreten Dingen und Phänomenen betont:

„(Es sind Augenblicke,) wenn die Wahrheit verwirklicht wird, dass das Entstehen des Geistes (gleichzeitig) das Entstehen der vielfältigen wirklichen Dharmas (Dinge und Phänomene) ist. Außerdem wird die Wahrheit verwirklicht, dass das Vergehen des Geistes das Vergehen der vielfältigen wirklichen Dharmas ist. In diesen Augenblicken wird der Geist gelehrt, und in diesen Augenblicken wird die Natur dargelegt.“

Damit unterstreicht er die Einheit von Geist und konkreten Dingen und Phänomenen, die sich genau in den Augenblicken verwirklichen, die kommen und gehen, entstehen und vergehen. Demgegenüber behaupten diejenigen Menschen, die den Buddha-Dharma nicht kennen, dass der Geist unabhängig von den konkreten Dingen und Phänomenen wie den Zäunen, Hecken, Ziegeln und Kieselsteinen und überhaupt der Natur sei. Sie lehren nicht den Geist und legen nicht die Essenz dar, sondern sie reden nur über den Geist.

Sie sind fest davon überzeugt, dass kluges, intellektuelles Reden das Wesentliche sei und dass sich dabei der Geist und die Natur manifestieren würden. Dōgen distanziert sich von dieser Sichtweise, weil Lehre und praktisches Handeln beim Geist und bei der Natur im Augenblick immer identisch sind und es keinen von dieser umfassenden Wirklichkeit losgelösten, denkenden oder redenden Geist gibt. Dem Irrtum eines unabhängigen Geistes unterliegen diese Menschen laut Dōgen hauptsächlich deshalb,

weil sie nicht kritisch darüber nachdenken, ob sie die große Wahrheit durchdrungen haben oder nicht.“

Dann berichtet er von einem gewissen Meister Sōkō, der gleichzeitig mit dem großen Meister Wanshi im 12. Jahrhundert lebte. Er kritisiert Sōkōs oberflächliches und nicht authentisches Verständnis des Geistes und der Wirklichkeit, das er leider auch als Buddha-Lehre im damaligen China verbreitet habe.

Sōkōs Aussagen wirken zunächst recht glaubhaft und stimmen scheinbar mit der wahren buddhistischen Lehre und Praxis überein. Bei genauerer Untersuchung stellen wir jedoch fest, dass es sich um theoretische und intellektuelle Aussagen, um nicht zu sagen Behauptungen, handelt, die keine Einheit von Lehre, Praxis und Zazen beinhalten.

In einem anderen Kapitel[i] schildert Dōgen die Geschichte von Sōkō detaillierter und stellt fest, dass dieser den wahren Dharma nicht erlangt und keinen Zugang zu einem wahren Meister gefunden hat. Sōkō war auch einer der Initiatoren und Gründer einer bestimmten Richtung des Kōan-Zen, die Dōgen nicht immer schätzte. Der dabei versprochene schnelle Weg zur Erleuchtung erweist sich meist als Sackgasse. Ich folge Dōgen, wenn er betont, dass seine und Wanshis Praxis des Zazen in der Einheit mit der authentischen Lehre weniger Gefahren birgt, vom wahren buddhistischen Weg abzuirren.






[i] Kap. 75, ZEN Schatzkammer, Bd. 3, S. 134 ff.: „Der Samâdhi als Erfahrung des Selbst (Jishō-zanmai)