Samstag, 25. Juli 2015

Der Geist: ein fruchtbares Reisfeld




Im Zen wird ein gut bestelltes und fruchtbares Reisfeld gern als Symbol für unser Glück verwendet. So heißt es in dem Gedicht zum Lob des buddhistischen Gewandes Kashaya: „Ohne Form; Feld des Glücks, Robe![i]

Das Feld des Glücks ist fruchtbar, das sind der Geist und die Natur des Buddha-Dharma. Wer ein fruchtbares Reisfeld besitzt, hat genug zu essen, und Reis ist ein sehr gutes Nahrungsmittel. Außerdem strahlen bewirtschaftete Reisfelder und Reisterrassen eine besondere Schönheit und Ausgeglichenheit aus. Sie sind ein anschauliches Beispiel dafür, dass die Natur sich selbst zum Ausdruck bringt.

Die Darlegung des Geistes erfolgt auch, ohne dass ein Mensch als Subjekt eine solche Darlegung vornimmt. Es gibt also einen Zustand, der unabhängig von einem Menschen ist, in dem der Geist sich ausdrückt. Dies ist ein wichtiger Aspekt im Zen-Buddhismus. In vielen Fällen ist es sinnvoll und notwendig, von den individuellen Menschen abzusehen. In dem wichtigen Kapitel über die Verwirklichung des Lebens und Universums[ii] charakterisiert Dōgen den Lernprozess und Buddha-Weg dadurch, dass wir unser Ich vergessen. Auf diese Weise befreien wir uns von den Einengungen und Verhärtungen, die mit einem isolierten Ich verbunden sind. Insofern sind der Buddha-Dharma und der Geist unabhängig von einer bestimmten Person.

Als Nächstes formuliert Dōgen die folgenden Kernsätze:
„Weil die Darlegung des Geistes und die Darlegung der Natur (als Essenz) die Darlegung der Buddhas und die Darlegung der Vorfahren im Dharma sind, sollten wir der (Darlegung) mit den Ohren begegnen, und wir sollten ihr mit den Augen begegnen.“

Damit schließt sich der Bogen vom wahren Geist und der wahren Natur zu Buddha und den großen Meistern der authentischen Übertragung. In der Tat sind diese nicht denkbar, ohne dass sie den Buddha-Dharma lehren. Die Darlegung und Lehre der Theorie und Praxis sind zentrale Bereiche ihres Handelns und Lebens. Dabei möchte ich an die erste Dharma-Rede Gautama Buddhas erinnern: Nachdem er beim ersten Leuchten des Morgensterns erwacht war und das Leben und die Welt als Wirklichkeit erlebte, erschien es ihm zunächst unmöglich, diese große Erfahrung an andere weiterzugeben.

Er dachte, dass diese Wirklichkeit einerseits zu einfach und deren Erfahrung andererseits zu schwierig und komplex sei. Schließlich entschloss er sich aber doch zu lehren, was er entdeckt und erfahren hatte, und machte sich auf den Weg zu seinen vier Mit-Asketen, mit denen er jahrelang in extremer Entbehrung und Askese gelebt und geübt hatte. Als er sie bei seinem Abbruch der Askese verlassen hatte, verachteten sie ihn bekanntlich, weil sie meinten, er habe nicht durchgehalten, und die Anstrengungen seien zu groß für ihn gewesen. In Wirklichkeit hatte Gautama Buddha jedoch erkannt, dass der Weg der Askese zur Befreiung des Körpers und Geistes völlig ungeeignet ist und dass durch die extremen Entbehrungen des Körpers auch der Geist krank wird. Der Geist ist dann kein Feld des Glückes mehr.

Als die vier Asketen den Buddha von Weitem kommen sahen, beschlossen sie, ihn zu ignorieren und ihm ihre Missachtung zu zeigen. Sie wollten ihn einfach übersehen. Als er jedoch näher kam, so wird berichtet, hatte er eine so starke positive, leuchtende Ausstrahlung, dass sie sich ihm zuwandten und wieder in ihre Mitte aufnahmen.

Sein Körper-und-Geist hatte eine so starke positive Präsenz, dass sie sich dem nicht entziehen konnten und auch nicht wollten. Gautama Buddha hielt dann seine erste Dharma-Rede nach seiner Erleuchtung für die vier ehemaligen Asketen, die dann seine Schüler wurden. Er lehrte die Vier Edlen Wahrheiten vom Leiden und dessen Überwindung.




[i] Nishijima, Gudo Wafu: Aus meinem Leben. Wirklichkeit und Buddhismus, S. 206 f.
[ii] Kap 3, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 43 ff.: „Das verwirklichte Leben und Universum (Genjō-kōan)“; vgl. auch mein Buch: ZEN ohne Mythos und Ideologie. Im Auge des Zen, Bd. 1